Donnerstag, 6. Oktober 2016

We Are Scientists - Live @ Conrad Sohm


(sf) Stell Dir vor, Du warst vor ein paar Jahren mit ein paar Singles in den UK-Top 10 und spielst jetzt vor knapp 80 Leuten in der österreichischen Provinz – wie fühlst Du Dich dabei? Manch einem mag das einen Knacks im Ego bescheren, andere hingegen scheint es zu beflügeln, es noch besser zu machen und dem sehr spärlichen Publikum eine richtig geile Show zu bescheren und es in seiner Entscheidung zu bestärken, trotzdem gekommen zu sein. Im Februar durfte ich diese Erfahrung bereits mit Therapy? machen und gestern waren es WE ARE SCIENTISTS, die das großartige Conrad Sohm in Dornbirn beehrten und ihre Fans mit einem fetten Grinsen im Gesicht in die Nacht entließen.

Den Anfang machten jedoch MOZES & THE FIRSTBORN aus Eindhoven (Niederlande) bzw. Antwerpen (Belgien), die mir richtig leid taten, fanden sich doch zu deren Auftritt gerade mal 30 Interessierte vor der Bühne ein, die dann allerdings nicht bereut haben dürften, pünktlich im Club aufgeschlagen zu sein. Apropos Club: das Conrad Sohm liegt am Fuße des Dornbirner Hausbergs Karren, allerdings ca. einen Kilometer in den zu dieser Jahreszeit doch schon recht finsteren Wald rein. Als ich das erste Mal dort hinfuhr, hab ich unterwegs mal umgedreht, weil ich dachte, da kommt eh nix mehr, aber doch, da kam noch was. Und das Conrad Sohm ist den Besuch wert: ich habe selten so eine lässige Halle erlebt, das Personal ist total entspannt, der Sound gibt auch Einiges her, mit Beschwerden der Anwohner ist aufgrund der Lage auch eher nicht zu rechnen und wenn man unbedingt etwas kritisieren möchte, dann sind das die einen Tick zu hohen Getränkepreise – vielleicht eine Reminiszenz an die doch recht nahe Schweiz…

Aber zurück zum Wesentlichen: MOZES & THE FIRSTBORN erinnerten zunächst musikalisch an die ein oder andere US-College Rock-Band, wurden dann aber doch kontinuierlich härter, vor allem Sänger und Drummer ließen es ordentlich krachen und auch die Interaktion mit den Zuschauern war sehr sympathisch. Die Niederländer/Belgier teilten jedoch leider das Schicksal vieler Vorbands: trotz Talent und Enthusiasmus seitens der Musiker hielt sich das Interesse der meisten Besucher arg in Grenzen und auch am Merch-Stand war der Ansturm eher überschaubar, obwohl das auf der Bühne Gezeigte durchaus Potenzial hat, zukünftig mehr Publikum anzuziehen.

Punkt 21.30 Uhr gings dann aber endlich los mit WE ARE SCIENTISTS, nachdem Sänger Keith Murray vorher schon Stunden lang versucht hatte, Shirts, CDs, Vinyl und handbeschriebene Textblätter (aus meiner Sicht ein überragender Merch-Artikel!) an den Mann bzw. die Frau zu bringen und dabei so unscheinbar rüberkam, dass man gar nicht auf die Idee gekommen wäre, dass der später auf der Bühne so abgehen würde.

Mit ihrem Album „With Love And Squalor“ hatten sich die Amerikaner 2005 einen Namen gemacht und innerhalb eines halben Jahres gut 100.000 Einheiten verkauft, der Nachfolger „Brain Thrust Mastery“ schaffte es im UK sogar auf Platz 11 der Album-Charts. Danach wurde es jedoch in der breiten Wahrnehmung ein wenig ruhiger um Keith Murray und seinen kongenialen Partner Chris Cain, doch umtriebig waren die beiden (und Live-Drummer Keith Carne) jederzeit: neben weiteren Alben produzierten WE ARE SCIENTISTS die MTV-Fernsehserie „Steve Wants His Money“ und auch zahlreiche Touren auf der ganzen Welt standen auf der Agenda.

Im April 2016 folgte schließlich „Helzer Seltzer“, das fünfte Studioalbum, das die Amerikaner nun auch auf europäische Bühnen bringen und Gas geben wie zu besten bzw. erfolgreichsten Zeiten. Doch nicht nur mit ihrer Musik wissen WE ARE SCIENTISTS zu überzeugen, auch das komödiantische Talent Murrays und Cains ist beachtlich und die Dialoge der beiden sind fast schon legendär. In Dornbirn beispielsweise gaben die beiden die Entstehungsgeschichte des Conrad Sohm zum Besten: angefangen mit der (korrekten) Aussage, sie hätten vor ein paar Jahren schon mal an selber Stelle gespielt, schaukelten sie sich mit jedem Wortwechsel derart auf und weiter in die Vergangenheit, dass man WE ARE SCIENTISTS plötzlich geradezu bildlich im Flußbett der Dornbirner Ach neben einem Biberdamm performen sieht, bis einem der wenigen Zuschauer die zündende Idee kommt: an dieser Stelle sollte man unbedingt einen Club bauen, um auch anderen Bands die Möglichkeit zu bieten, an diesem idyllischen Ort auftreten zu können! Die Biber gibts übrigens immer noch, sie leben jetzt allerdings im Keller des Conrad Sohm und freuen sich über das Dach über dem Kopf…

Ja gut, ich bin mal wieder abgeschweift, aber so lief das gestern eben. Musik gabs aber natürlich auch und das nicht zu knapp: WE ARE SCIENTISTS boten einen beeindruckenden Querschnitt durch ihr Schaffen, meine persönlichen Höhepunkte waren dabei „Nice Guys“, sowie die Klassiker „Nobody Move, Nobody Get Hurt“, „This Scene Is Dead“, „Inaction“, „It’s A Hit“ und „The Great Escape“. Sehr geil auch, als Keith Murray unvermittelt samt Mikro von der Bühne stieg, schnurstracks durchs Publikum marschierte und erst kurz vor dem Pissoir kehrt machte, um zur Bar zu gehen, diese zu erklimmen und dort abzugehen.

Nach 1 ½ Stunden war dieses in jeder Hinsicht bemerkenswerte Konzert leider viel zu schnell vorbei, doch es gab mit Sicherheit niemanden, der sein Kommen bereut hat. So schön es auch war, WE ARE SCIENTISTS in einem derart intimen Rahmen erlebt zu haben, so sehr wünsche ich der Band, dass wieder auf die Erfolgsspur einbiegt und zukünftig wieder mehr Zuschauer anzuziehen, denn musikalisch und vom Unterhaltungsfaktor her gibt es vermutlich wenige Bands, die es mit den Amerikanern aufnehmen können.

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