(sf) Stell Dir
vor, Du warst vor ein paar Jahren mit ein paar Singles in den UK-Top 10 und
spielst jetzt vor knapp 80 Leuten in der österreichischen Provinz – wie fühlst
Du Dich dabei? Manch einem mag das einen Knacks im Ego bescheren, andere
hingegen scheint es zu beflügeln, es noch besser zu machen und dem sehr
spärlichen Publikum eine richtig geile Show zu bescheren und es in seiner
Entscheidung zu bestärken, trotzdem gekommen zu sein. Im Februar durfte ich
diese Erfahrung bereits mit Therapy? machen und gestern waren es WE ARE
SCIENTISTS, die das großartige Conrad Sohm in Dornbirn beehrten und ihre Fans
mit einem fetten Grinsen im Gesicht in die Nacht entließen.
Den Anfang
machten jedoch MOZES & THE FIRSTBORN aus Eindhoven (Niederlande) bzw.
Antwerpen (Belgien), die mir richtig leid taten, fanden sich doch zu deren
Auftritt gerade mal 30 Interessierte vor der Bühne ein, die dann allerdings
nicht bereut haben dürften, pünktlich im Club aufgeschlagen zu sein. Apropos
Club: das Conrad Sohm liegt am Fuße des Dornbirner Hausbergs Karren, allerdings
ca. einen Kilometer in den zu dieser Jahreszeit doch schon recht finsteren Wald
rein. Als ich das erste Mal dort hinfuhr, hab ich unterwegs mal umgedreht, weil
ich dachte, da kommt eh nix mehr, aber doch, da kam noch was. Und das Conrad
Sohm ist den Besuch wert: ich habe selten so eine lässige Halle erlebt, das
Personal ist total entspannt, der Sound gibt auch Einiges her, mit Beschwerden
der Anwohner ist aufgrund der Lage auch eher nicht zu rechnen und wenn man unbedingt
etwas kritisieren möchte, dann sind das die einen Tick zu hohen Getränkepreise
– vielleicht eine Reminiszenz an die doch recht nahe Schweiz…
Aber zurück
zum Wesentlichen: MOZES & THE FIRSTBORN erinnerten zunächst musikalisch an
die ein oder andere US-College Rock-Band, wurden dann aber doch kontinuierlich
härter, vor allem Sänger und Drummer ließen es ordentlich krachen und auch die
Interaktion mit den Zuschauern war sehr sympathisch. Die Niederländer/Belgier
teilten jedoch leider das Schicksal vieler Vorbands: trotz Talent und
Enthusiasmus seitens der Musiker hielt sich das Interesse der meisten Besucher
arg in Grenzen und auch am Merch-Stand war der Ansturm eher überschaubar,
obwohl das auf der Bühne Gezeigte durchaus Potenzial hat, zukünftig mehr
Publikum anzuziehen.
Punkt 21.30
Uhr gings dann aber endlich los mit WE ARE SCIENTISTS, nachdem Sänger Keith
Murray vorher schon Stunden lang versucht hatte, Shirts, CDs, Vinyl und
handbeschriebene Textblätter (aus meiner Sicht ein überragender Merch-Artikel!)
an den Mann bzw. die Frau zu bringen und dabei so unscheinbar rüberkam, dass
man gar nicht auf die Idee gekommen wäre, dass der später auf der Bühne so
abgehen würde.
Mit ihrem Album „With Love And Squalor“ hatten sich die Amerikaner 2005 einen Namen gemacht und innerhalb eines halben Jahres gut 100.000 Einheiten verkauft, der Nachfolger „Brain Thrust Mastery“ schaffte es im UK sogar auf Platz 11 der Album-Charts. Danach wurde es jedoch in der breiten Wahrnehmung ein wenig ruhiger um Keith Murray und seinen kongenialen Partner Chris Cain, doch umtriebig waren die beiden (und Live-Drummer Keith Carne) jederzeit: neben weiteren Alben produzierten WE ARE SCIENTISTS die MTV-Fernsehserie „Steve Wants His Money“ und auch zahlreiche Touren auf der ganzen Welt standen auf der Agenda.
Im April 2016
folgte schließlich „Helzer Seltzer“, das fünfte Studioalbum, das die Amerikaner
nun auch auf europäische Bühnen bringen und Gas geben wie zu besten bzw.
erfolgreichsten Zeiten. Doch nicht nur mit ihrer Musik wissen WE ARE SCIENTISTS
zu überzeugen, auch das komödiantische Talent Murrays und Cains ist beachtlich
und die Dialoge der beiden sind fast schon legendär. In Dornbirn beispielsweise
gaben die beiden die Entstehungsgeschichte des Conrad Sohm zum Besten: angefangen
mit der (korrekten) Aussage, sie hätten vor ein paar Jahren schon mal an selber
Stelle gespielt, schaukelten sie sich mit jedem Wortwechsel derart auf und
weiter in die Vergangenheit, dass man WE ARE SCIENTISTS plötzlich geradezu
bildlich im Flußbett der Dornbirner Ach neben einem Biberdamm performen sieht,
bis einem der wenigen Zuschauer die zündende Idee kommt: an dieser Stelle
sollte man unbedingt einen Club bauen, um auch anderen Bands die Möglichkeit zu
bieten, an diesem idyllischen Ort auftreten zu können! Die Biber gibts übrigens
immer noch, sie leben jetzt allerdings im Keller des Conrad Sohm und freuen
sich über das Dach über dem Kopf…
Ja gut, ich
bin mal wieder abgeschweift, aber so lief das gestern eben. Musik gabs aber
natürlich auch und das nicht zu knapp: WE ARE SCIENTISTS boten einen
beeindruckenden Querschnitt durch ihr Schaffen, meine persönlichen Höhepunkte
waren dabei „Nice Guys“, sowie die Klassiker „Nobody Move, Nobody Get Hurt“,
„This Scene Is Dead“, „Inaction“, „It’s A Hit“ und „The Great Escape“. Sehr
geil auch, als Keith Murray unvermittelt samt Mikro von der Bühne stieg,
schnurstracks durchs Publikum marschierte und erst kurz vor dem Pissoir kehrt
machte, um zur Bar zu gehen, diese zu erklimmen und dort abzugehen.
Nach 1 ½ Stunden
war dieses in jeder Hinsicht bemerkenswerte Konzert leider viel zu schnell vorbei, doch
es gab mit Sicherheit niemanden, der sein Kommen bereut hat. So schön es auch
war, WE ARE SCIENTISTS in einem derart intimen Rahmen erlebt zu haben, so sehr
wünsche ich der Band, dass wieder auf die Erfolgsspur einbiegt und zukünftig
wieder mehr Zuschauer anzuziehen, denn musikalisch und vom Unterhaltungsfaktor
her gibt es vermutlich wenige Bands, die es mit den Amerikanern aufnehmen
können.
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