Donnerstag, 22. Juli 2021

Alex Mayr - Park

Foto: Sarah Ungan
(ms) Zeit. Zeit war für viele Menschen in den vergangenen eineinhalb Jahren genug da. Ihr wisst schon. Zum Glück gibt es viele Kreative, die sie produktiv und mit hörbar phantastischem, ästhetischem Ergebnis nutzen können. Anfang 2020, als noch alles ganz normal war, veröffentlichte Alex Mayr ihr letztes, wundervolles Album Wann Fangen Wir An. Gut 18 Monate später kommt schon der Nachfolger. Park heißt das Album, das am 9. Juli schienen ist. Ein Ort, der für Mayr zuletzt das logische Areal des Hingehens und Zeitvertreibs war, als sonst nicht so viel möglich war. Ein C.- und Konzeptalbum also. 

Auch für diese Platte hat sie mit ihrem Drummer Konrad Henkelüdeke und dem großartigen Konstantin Gropper zusammen gearbeitet, was - wie beim Vorgänger - extrem gut aufging. Sehr gut hör- und spürbar in Dramatik und zum Teil sehr gut eingesetzter Opulenz, die in keinem einzigen Takt drüber zu sein scheint. 

Das sind Elemente, die sich also auf beiden Alben finden. Ich finde es großartig, dass sie 'einfach' auf diesem Weg weitermacht. Auf Park gesellen sich auf andere Stilrichtungen neben den Artpop, den sie verinnerlicht hat. Beispielsweise ein etwas retrohafter Pop, wie ihn unter anderem Sofia Portanet praktiziert. Das alles ergänzt sich auf den elf Stücken ganz hervorragend. Auch thematisch bleibt sie sich treu: Liebe, Vergangenheit, Wurzeln, Schräges, Träume und Humor.
Nun ist oft zu hören, dass das zweite Album das schwerste sei. Ich bin kein professioneller Musiker. Es kann also durchaus sein. Manch eineR werkelt jahrelang am Debut und sieht sich dann gezwungen nachlegen zu müssen. Ich denke jedoch, wenn sich die Musizierenden auf ihre Stärken berufen und diese gut kennen, dass es dann gar nicht so schwer ist, Album Nr. 2 zu entwickeln und einzuspielen.
Bei Alex Mayr war ich nach dem Hören der ersten Singles etwas skeptisch, ob sie mich nochmal so begeistern kann wie bei Wann Fangen Wir An. Ich bin sehr froh, dass sie es mit einer zauberhaften Wucht geschafft hat, mich erneut baff zurück zu lassen. Park hält das hohe Niveau des Vorgängers und verfeinert die Höhepunkt in Musik und Text an vielen kleinen Stellen. Und was eventuell noch wichtiger ist: Ihr ist es (erneut) gelungen, die überraschenden Momente genau richtig zu portionieren und einzusetzen!

Die Park-Metapher wird mit Eingang perfekt zu Beginn in Szene gesetzt. Gezupfte Gitarre, ein bisschen Bass, klare Stimme. Bis Sekunde 46. Ein Donner tritt auf. Ein wunderbarer, sehr harmonischer Bruch. "Wenn ich gehe, geh ich / wenn ich lebe, leb ich." Dies ist ein sehr dynamischer und abwechslungsreicher Beginn, quatsch, Eingang zu dieser Platte also. Das macht direkt Lust auf mehr. Aufs Eintauchen in ein wundervolles Album! Auf Alle macht sie sich von Konventionen frei. Ein Gedanke, der mich extrem anspricht, weil ich mich in der Haltung wiederfinde. Gesellschaftslemminge. Weil alle das machen, beispielsweise Hausbau, ist das halt gut und deshalb machen wir das auch. Ganz schön einschränkend. Hier wird der Rhythmus durch feine Klatscher ergänzt. Generell die Musik: Sie ist hier in ihren Details so fein. Der tanzende Bass, der mit dem Schlagzeug im Gleichschritt geht. Sehr geschickt, sehr gut.

Der Portanet-Pop tritt mit Margaritas an dieser Stelle auf. Zuerst fand ich das Lakonische in diesem Track gepaart mit dem Hall in der Gitarre ja zu platt. Aber dann kam es. Dann kam der Effekt. Er beschwingt in brutaler Zurückhaltung. Vermutung: Das Tambourin im Refrain war Groppers Idee. Schwelgen in schönem Glückstaumel, für den man auch einen Kater in Kauf nimmt. Flüchtige, romantische Begegnungen, die einfach nur im Hier und Jetzt stattfinden. Traumhaft!
Alex Mayr hat an der Popakademie Mannheim Sounddesign studiert. Das Western-Pfeifen als Start auf Zeit passt absolut dazu! Und dann der passende Gesamtsound mit markanter Gitarre und treibendem Schlagzeug. Einer der vielen Beweise, dass das hier kein normaler Pop ist. Beim letzten Mal habe ich Alex Mayr mit Mine vergleichen. Das hier ist viel besser und runder im Text und Arrangement als bei Mines aktuellem Album. Die Hektik der Gesellschaft wird hier mit opulenten Bläsern aufs Korn genommen. Packende Dramatik mit edlem, knallendem Sound! Was für ein Stück! Phantastisch! 

Chanson und Melancholie kann sie auch. Auf Allein ist sie sanft, leise, klar. Es muss nicht immer an jeder Ecke den neuen Höhepunkt in klanglichen Überraschungen geben. Auch das ein absolutes Zeichen klugen Songwritings.
Statue ist erneut Retropop, der mit hier sehr gut gefällt. Humor ist eine feine Sache in der Musik. Und Alex Mayr beweist es erneut. Auf dem Vorgänger gab es eine Liebeshymne auf ein altes Shirt. Auch wenn dieser Track durchaus wunderschönen Pathos aufweist, ist es natürlich auch schmunzelnd, wenn sie die Parkstatue im Text mit Leben versieht und ans Meer schickt.
Es ist immer wieder so fein, wie sie direkt mit ihren Geschichten einsteigt. "Er holt sie ab im Cabrio" singt sie auf Geisterbahn, da ist alles klar. Eine schaurige Kirmesgeschichte, dessen Ende sich der Cabriofahrer wohl anders vorgestellt hat. Ein Lied, das insbesondere textlich genossen werden muss. Das ist schon sehr cineastisch, sarkastisch, wunderbar! Dazu wünsche ich mir das kommende Video!

Ohrfeige: Ohja! Ich bin ganz entzückt und enorm angetan und total baff, wie sie zum Ende des Albums nochmal knallhart direkte Gesellschaftskritik raushaut. Es geht um Ignoranz gegenüber Menschen, Natur, Regelungen. Und diese lässt Mayr absolut nachvollziehbar ideenlos zurück. Nazis, Internettrolle und Internetaktivisten, ach-so-gute-Ratschläge der Yoga-Heinis. Puh. Einmal ein- und ausatmen. Der spoken-word-Teil kommt richtig gut. Alex Mayr. Enorm! Doch irgendwie muss man es nicht nur aushalten, sondern auch dagegen an arbeiten. Dass das letzte Stück Ausgang heißt, ist natürlich klug gemacht vom Albumaufbau her. Kaum zu glauben, dass nach dem extrem ruhigen Start dieses Liedes noch so ein brutales Feature kommt. Ein Lied, das voller wahrer, unkitschiger Zeilen strotzt! Frech, dass Alex Mayr uns Hörende mit so einem Brett aus diesem Album hinaus begleitet. Frech, frech, frech, grandios!

Das zweite Album also. Alex Mayr hat es mit Leichtigkeit gemeistert! Was für eine facettenreiche, kluge, humorvolle, einfallsreiche Künstlerin! Das kann man sich zum Glück bald hier anschauen:

30.07.21 Mannheim - Seebühne Luisenpark
06.08.21 Lüneburg - Kulturforum/Konzertscheune
07.08.21 Magdeburg - Moritzhof
08.08.21 Mainz - Fenster zum Hof
11.08.21 Mannheim - Delta Konzerte Sommerbühne (supporting Maeckes)
12.08.21 Bremen - Golden City Hafenbar (wir sehen uns hier!)
14.08.21 Oberhausen - Gdanska
15.08.21 Stuttgart - ClubCANN
26.08.21 Paderborn – Paderborner Kultursommer
29.08.21 Mannheim - 5. Zeltfestival Rhein-Neckar (supporting Olli Schulz)
03.09.21 Mannheim - Maifeld Derby 
04.09.21 Hannover - Komm raus! (freier Eintritt)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (siehe Blog-Startseite unten) und in der Datenschutzerklärung von Google.