Freitag, 7. Mai 2021

KW 18, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: mvv-muenchen.de
(ms/sb) Momentan ist der muslimische Fastenmonat Ramadan und da kann man mal höflich und zuvorkommend zu seinen Mitmenschen sein. Hier ein kleines Serviceangebot aus der Bildungslounge. Trifft man einen Menschen muslimischen Glaubens während des Ramadan, grüßt man mit "Ramadan karim". Dies geschieht normalerweise zu Beginn des Fastenmonats, geht aber auch, wenn man diese Person während des Ramadan zum ersten Mal trifft. Am 12./13. Mai endet der Ramadan mit dem Zuckerfest. Der passende Gruß dazu lautet "Eid Mubarak". Aus meinem eigenen beruflichen Alltag weiß ich, dass es die Menschen freut. Meines Erachtens ist es nicht nur ein Zeichen der Höflichkeit und Angemessenheit. Denn: Wir zwingen diesen Menschen den ganzen Weihnachts- und Osterscheiß auf und sie wissen alle Bescheid. Wir wissen mal wieder nichts. Wer hat sich hier anzupassen?! Eben! Leider höre ich momentan - auch im Arbeitsumfeld - Sätze wie: "Die Zahlen sind weiterhin hoch, die halten sich ja eh nicht dran, bald ist ja auch Zuckerfest." Da habe ich letztens mal recht energisch zwei Kolleginnen drauf hingewiesen, wie pervers die Politik auf Lockerungen zu Weihnachten gepocht hat. Zehn Leute während krasser Zahlen waren ja kein Problem! Wer hat sich hier anzupassen?! Eben!

Hauptsächlich sind wir aber für die musikalische Grundversorgung verantwortlich. Selektiert, gerne!
 
David Newlyn
(sb) Ich gehe mal davon aus, dass David Newlyn für die meisten von Euch ein unbeschriebenes Blatt ist. Ging mir auch so, bevor ich sein neues Album Tapes and Ghosts (VÖ: 30.04.) gehört habe. Der Brite ist jedoch ein anerkannter Ambient/Elektronik-Künstler mit treuer Fanbase, dem es mit seinem aktuellen Werk einmal mehr gelingt, seinen Sound einfach erscheinen zu lassen und doch komplex aufzubauen. Atmosphärische Töne, schwebende Noten, erstaunliche Kompositionen - begleitet Newlyn auf seiner epischen Klangreise. Für mich persönlich der perfekte Soundtrack, um nebenher konzentriert zu arbeiten.

Altrogge
(ms) Programmatische und leicht verschwurbelte Musik zu hören, kann auch immer etwas anstrengend werden. Ich halte es selten durch, länger am Stück PeterLicht oder Die Sterne zu hören, obwohl ich beide verehre. Bei Altrogge beschleicht mich ein ähnliches Gefühl. Was charakteristisch an den Stücken auf seinem heute (!) erscheinenden Album Barfuß Zum Duell ist, ist die Mischung aus eigentümlichem Gesang und eigentümlicher Instrumentierung. Wobei von Gesang wirklich nur partiell die Rede sein kann. Viel mehr trägt er mit rhetorischer Finesse seine Texte vor, die zwischen Kapitalismuskritik, Unterhaltung, Augenzwinkern und Liebe mäandern. Das weiß in jedem Fall zu gefallen, weil schön anspruchsvoll und ungewohnt. Und aus den eigenen, verrosteten Bahnen muss man dringend regelmäßig raus! Die Instrumentierung ist das andere wichtige Element auf dieser Platte: Sie bewegt sich zwischen fetzigem Jazz und Artpop, der aus einem Kellerclub wummert, und sie muss nie mit dem Gesang harmonieren. Atlrogge ist kein Mann im besten Alter, der sich als musikalisches Genie beweisen muss. In diesen Gefilden ist er seit Jahren unterwegs. Zuerst während NDW-Zeiten, dann als Berater der Branche und nun hat er sich nochmal neu erfunden. Sehr hörenswert - man muss sich darauf einlassen.


Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys
(sb) Ci sono canzoni che non mi stanco mai di acoltare. Bisher haben Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys ihre traditionellen Hits für den deutschen Markt ja ins teutonische Gewand gepresst, doch jetzt präsentieren sie sich, wie Liebesgott Eros sie schuf: italienisch und voller Amore. Die Herren vom Gardasee melden sich zurück aus der Corona-Zwangspause und das mit ganz viel Liebe. Amore Sul Mare schickt sich schon am Tag seiner Veröffentlichung an, ein Klassiker des Italopops zu werden. Andiamo subito, amore mio!


Gisbert zu Knyphausen & Kai Schumacher
(ms) Manche Bands und MusikerInnen höre ich eher in zeitlichen Wellenformen. Beispiel 1: Placebo. Läuft nur selten im Jahr, dann aber äußerst intensiv, weil seit Jahren geil. Beispiel 2: Gisbert zu Knyphausen. Ich mag seine Musik auf extreme Art und Weise, doch in die alltägliche heavy Rotation hat sie es seltsamer Weise nie so richtig geschafft. Das Licht Der Welt ist ein umwerfend schönes Album, doch es läuft viel zu selten und ich weiß nicht so richtig wieso. Es gibt wieder einen hörenswerten Anlass genau das zu ändern, denn der Weinadel ist umtriebig. Letztes Jahr bereits trat er mit dem Pianisten Kai Schumacher auf und bot Lieder von Franz Schubert dar. Wundervolle Idee, die nun in Albumformat nachzuhören sein wird! Lass Irre Hunde Heulen wird die Platte heißen - na, wenn das nicht die Vorfreude steigert?! Seit heute ist das erste Lied dazu zu hören. Plus Video! Das wurde im wunderbaren Duisburg gedreht, meines Erachtens nach im besuchenswerten Landschaftspark Nord, wo das Traumzeit Festival beheimatet ist. Der Wegweiser ist nur der erste von vielen tollen Streichen, die demnächst folgen werden!

 
La Cafetera Roja
(sb) Englisch, Französisch, Spanisch, Hochdeutsch, Österreichisch - bei La Cafetera Roja gehts international zu. Und nicht nur sprachlich variiert die Band ungemein, sondern auch bei den verwendeten Musikstilen. Was auf Mozaik (VÖ: 04.06) zu hören ist, ist die Verweigerung von Etiketten. Das Sextett ist nicht Rock, nicht Trip-Hop, nicht Reggae, nicht Chanson, nicht Jazz, nicht Latino. Klingt anstrengend? Mitnichten! Über weite Strecken kommt das sehr lässig daher und lädt zum Mitwippen ein. Sehr, sehr angenehm und ein guter Soundtrack, um sich schön langsam in Richtung wärmerer Jahreszeit einzugrooven.

 
Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen
(ms) 2020 - Das Erotische Jahr. Da flackern direkt die Ohren und man stutzt ungläubig über die Maske, die man mal wieder entsorgen sollte, dieser miese Müll überall. Doch, hey! Erstens sind wir keine Schwarzmalenden, zweitens gibt es Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen. Wenn es eine Band auf diesem Planeten gibt, die für adrette Kleidung und Höflichkeit steht, dann das Quintett aus Hamburg! Des Weiteren stehen die Gentlemen für sehr gute Musik. Lieder, die auf jeden Fall bewegen, begeistern, benebeln, belustigen. Denn genau auf diesem schmalen Grad zwischen Ulkigem und bekloppter Begeisterung tanzen Carsten Friedrichs und Co. seit vielen Jahren einen locker leichten Balanceakt! Der nächste Streich kommt also in diesem Sommer, vielleicht wird es ja auch ein Erotischer! Gschichterln aus dem Park Café wird die Platte heißen, die selbstredend bei Tapete Records erscheinen wird und selbstredend sehr gut sein wird. Dafür stehen sie mit ihrem guten Namen. Zwischen lockerer Unterhaltung, Hüftschwinger für jedes Alter und Oden auf die Kurzlebigkeit wird sich bestimmt auch das kommende Meisterwerk bewegen. Am 9. Juli ist es dann soweit! Ich mach' schon mal einen Prosecco auf!


Squid
(ms) Wie kann Neues nur so unverschämt nach einem Sound klingen, der für die 90er oder 00er Jahre steht? Der so typisch für die Hochzeit des Indie-Britpop war? Knarzig, unangepasst und doch irgendwie einprägsam?! Das sind Squid und die bringen heute (!) ihr erstes Album raus. Bright Green Field ist nicht nur aufgrund seines typisch untypischen Sounds ein wahrer Hinhörer! Zum Einen aufgrund des herrlich breiten britischen Englisch, das Anton, Louis und Olli singen. Zum Anderen, weil letzterer den Leadgesang übernimmt und gleichzeitig Schlagzeug spielt! Absolute Seltenheit - geil! Auch herrlich ungewöhnlich: Recht lange Spieldauer der einzelnen Lieder, viele sind um die acht Minuten lang. Hier will niemand in ein Format passen oder sich assimilieren. Auf Streaming-Klicks also direkt gepfiffen, das weiß zu überzeugen. Apropos Spieldauer: Der Erstling hat eine Länge von über 50 Minuten. Auch das für eine Gitarrenrockplatte eher selten, doch dem Quintett aus Brighton herrlich egal. Wie kann man nur mit der reinen Herangehensweise an Musik schon so viele Sympathiepunkte sammeln - unverschämt! Es gibt also viel, was gegen einen Erfolg dieses Album spricht, aber jeder einzelne Punkt spricht auch absolut dafür! Das hier bleibt haften! Die fünf haben sogar für den Herbst Termine gebucht, hoffen wir, dass sie stattfinden können:

11.10.21 - Köln, Numann & Sohn
12.10.21 - Hamburg, Molotow
18.10.21 - Berlin, Berghain Kantine
21.10.21 - München, Heppel & Ettlich
23.10.21 - Zürich, Bogen F
24.10.21 - Düdingen, Bad Bonn


Last Days Of April
(ms) Die beiden Schreiberlinge hier haben keineswegs den gleichen Musikgeschmack, aber eine sehr große Schnittmenge. Das, worauf wir uns wohl oft einigen können: Punkrock, guter Rap, funkelnde Klaviermusik und der gute, alte Indierock. Den bescheren Last Days Of April schon seit einer gefühlten Ewigkeiten. Das gefällt mir immer besonders gut, wenn Bands so lange existieren und sich treu bleiben. Logo, ein kluger Kurswechsel kann auch überzeugen. Das was Karl Larsson und Co. seit 25 Jahren (in Worten: fünfundzwanzig) abliefern, ist einfach gut. Da kann man nicht dran rütteln. Es ist nicht immer überragend, aber sehr, sehr stabil. Indierock halt. Indierock mit gefühlvollen Texten wie bei Death Cab For Cutie oder Nada Surf. Alles Bands, die immer schon da waren und immer gut abliefern. Heute erscheint das nächste Album der Schweden: Even The Good Days Are Bad. Die alten Hoffnungsbringer! Und was soll man sagen? Es ist eine schöne, tolle Platte. Unaufgeregt mit feinen Melodien, die auch mal im Hintergrund laufen können. Dann wippt der Kopf ein bisschen dazu und man fühlt sich eigentümlicher Weise wieder jung. Ja. Das ist gut. Kann man doch mal sagen, oder?


Ernst Molden & Das Frauenorchester
(sb) Ja, er ist schon ein Phänomen, der Ernst Molden! Außerhalb Österreichs oder zumindest nördlich des Weißwurstäquators kennen (und verstehen) den nicht viele, aber er ist ein gottverdammtes Genie. Ich liebe es, wie er singt und ich liebe, was er singt. Große Lyrik, die Welt durch eine Brille betrachtet, die mitunter einen arg morbiden Filter aufträgt. Nicht umsonst wird der Künstler als „Leonard Cohen Wiens“ bezeichnet. Sein Album neiche zeid (VÖ: 28.05.), das er zusammen mit dem Frauenorchester aufgenommen hat, ist atmosphärisch und inhaltlich mal wieder herausragend. Da bekomm sogar ich als Nichtraucher Lust auf eine Zigarette und möchte ins Zwielicht abdriften. Und ganz ehrlich: Ich bemitleide jeden, der des Österreicherischen nicht mächtig ist und so gar nicht in den vollen Genuss der textlichen Feinheiten kommt.


Egotronic
(ms) Woran merke ich, dass ich älter und auch ein Stück weit spießiger werde? Ich merke es daran, dass bestimmte Musik mir nicht mehr so zusagt, so wie es vor acht oder zehn Jahren noch der Fall war. Das beste Beispiel aus meinem Musikhörkosmos ist Egotronic. Gerne und oft live abgefeiert. Irre Energie, kranker Exzess. Aber immer gleichen Parolen und Textkreise, die Torsun zieht, entfachen meist nur ein kleines "Aha" statt ein "Bockstark!". Nadel Verpflichtet ist also der erste Track von Stesz, dem neuen Album, das am 23. Juli bei Audiolith (wo auch sonst?!) erscheinen wird. Ja, der Gitarrenpunkansatz gefällt mir auf den letzten Alben, ansonsten plätschert der Song nur so an mir vorbei. Da zündet nichts, weder musikalisch noch inhaltlich. Kurz höflich aufgelacht, das war es dann auch. Ah, ein Detail gefällt doch: Die Optik des dazugehörigen Videos! Tja, Egotronic. Ich verstehe die Musik, doch bei mir kommt sie nicht (mehr) an. Bin ich nun spießig? Möglich, ist mir aber egal.


GoGo Penguin
(ms) Starre Grenzen von Pop, Jazz oder Electronica kennen die drei Herren von GoGo Penguin nicht. Sie lehnen sie sogar ab, würde ich behaupten. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse des Trios, warum sie so innovativ und erfolgreich sind. Was Chris Illingworth, Rob Turner und Nick Blacka seit etwa zehn Jahren machen ist schwer in Worte zu packen. Es will erlebt werden! Was dann folgt ist ein wahrer Taumel, elektrisierender Schwindel, tanzbare Freude, die hypnotische Kraft der Musik! Sie dringt hautnah ein und lässt nur schwer wieder los. Nur logisch und nachvollziehbar, dass die drei ihre Musik immer wieder auf ein neues Level heben wollen. Dafür nehmen sie sich die Freiheit und geben ihre Stücke ab. Die Folge: Ein Remix-Album allererster Güte! GGP/RMX, so der Titel, erscheint heute (!) und ist genau so mannigfaltig wie ihr eigenes Werk. Dafür steht allein die Vielzahl an Freunden und MusikerInnen, die deren Tracks in ihr eigenes, zum Teil von Grund auf neues Gewand stecken und somit neu erleuchten lassen. Elf Songs, elf Remixe, elf fremde Hände, die gewerkelt haben. Ein wirklich beeindruckendes Ergebnis!

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