Freitag, 9. April 2021

KW 14, 2021: Die luserlounge selektiert

Quelle: twitter.com/documenta__14

(sb/ms) Schön langsam nervts. Und doch verstehe ich all die Maßnahmen und denke, dass man vermutlich sogar noch etwas strikter und rigoroser vorgehen müsste. Wir haben in der Familie nun zur Selbsthilfe gegriffen und unseren Sohn erstmal aus dem Kindergarten genommen. Warum? Die Einschläge nähern sich. In den letzten Wochen gab es einfach zu viele Coronafälle im Freundes- und Bekanntenkreis und auch im Kindergarten waren bereits alle Gruppen mal betroffen. Wir hatten letztes Jahr Glück, da der Fall just dann auftrat, als wir im Urlaub waren. 

Aber es ist schon seltsam: Auf der einen Seite reibt man sich verwundert die Augen, wenn man sieht, dass manch ein Künstler seine Tour bereits jetzt auf Ende 2022 schiebt. Auf der anderen Seite gehts aber wahrscheinlich gar nicht anders, oder? Pläne sind derzeit ja kaum das Papier wert, auf dem sie ausgedruckt werden. Wie gerne würde ich mich auf den Sommer freuen und darauf, mit meiner Familie was zu unternehmen. Klar, kann man zuhause auch, zumal, wenn man in einer der Urlaubsregionen Deutschlands lebt und in einer Viertelstunde mit dem Rad am Bodensee ist. Aber Ihr wisst schon, was ich meine. Der Kleine redet fast täglich von Italien oder Tirol und das Gras ist auf der anderen Seite generell grüner. Und, äh, ja, ich würde auch gerne mal wieder ins (Grünwalder) Stadion. Aber das nur so am Rande. Schön langsam nervts. Aber das hatten wir ja schon...

So, genug rumgemosert. Wir sind die luserlounge. Es ist Freitag. Es wird selektiert. Und so abwechslungsreich waren wir selten...

Pöbel MC
(ms) Die Tracks des gleichen Künstlers laufen schon seit einiger Zeit regelmäßig daheim und unterwegs und er wurde schon ab und an live bestaunt. Dann kommt auf einmal die Frage aus irgendeinem Hirnwinkel: Warum finde ich das gut? Eine scheinbar simple Frage, oder? Klar. Schwieriger ist immer die Antwort. Die Frage stellt sich momentan bei Pöbel MC. Sein letztes Album fand ich eher so medium, doch es gibt reichlich Lieder, die derart geil ballern und gleichzeitig erschrocken zurücklassen, dass er ganz stark haften bleibt. Heute erscheint seine neue EP Stress & Raugln und auf den 8 Stücken, die nicht mal 25 Minuten Spielzeit haben, ist sein Können kulminiert. Zugleich zeigt er darauf auch die Seiten, wo ich einfach nur den Kopf schütteln muss. Überzeugend ist er immer dann, wenn er breitbeinig pöbelt und wirklich schlau die prägnantesten Zeilen rappt. Ob es nun politisch oder gesellschaftskritisch ist oder halt beides, er trifft das Problem exakt und packt es wohlüberlegt und reflektiert in seine Zeilen. Hut ab für Würde In Zahlen oder Pumpe Auf Stress. Überhaupt nicht verstehen und feiern kann ich Tracks wie Raugln (what?!) oder Söhnlein Brillant - ist schon okay wenn ausschließlich HGich.T solche Beats machen trotz den umwerfenden Textes... Die EP, die selbstredend bei Audiolith erscheint, hat also genauso viel Licht wie Schatten. Laut das Licht, skipp den Schatten.

 
Les Mamans Du Congo & Rrobin
(ms) Zwei Erkenntnisse aus dem eigenen Musikhören (Nr. 2 gibt's unten). Nummer eins: Warum bin ich so borniert? Warum bin ich so unfassbar eingefahren und verschlossen Tönen gegenüber, die hier selten laufen? Woran liegt es? Gewöhnung ist mir ein viel zu plumpes und auch gefährliches Argument. Wer für Les Mamans Du Congo & Rrobin das Wort exotisch verwenden möchte, sollte dringend vorher Alice Hasters lesen! Es ist überhaupt nichts Fremdes an diesen wunderbaren Melodien, die zum Tanzen und Träumen bewegen. Das einzig Fremde wohnt in mir selbst und ärgert mich, dass ich es so schwer nur überwinden kann. Die fünf Damen aus dem Kongo um Gladys Samba arbeiteten für dieses hörenswerte Album mit dem französischen Produzenten Rrobin zusammen und haben neun kurzweilige Stücke zwischen Klängen ihrer Heimat, elektronischem Bass und HipHop kreiert. Kommende Woche erscheint ihr Debutalbum und ich wünsche Gladys Samba, Odette Valdemar, Argéa Déodalsy Kimbembe, Jeanny Chance Mbette-Vouala und Nadège Esprérance Miassouamana dass ihre genüssliche Musik laut durch die Straßen und Clubs ballert und genau die Freude auslösen, die in jedem einzelnen Takt zu spüren ist!

 
Hiraki
(sb) Ich wusste ja gar nicht, was mich erwartet und plötzlich schreit mich dieser Mann an. Von der PR-Agentur war ich bislang eher leisere Töne gewöhnt... Nochmal checken. Nee, stimmt schon. Ist tatsächlich Hiraki. Klingt japanisch, stammt aber aus Dänemark. Als Teil der dortigen Underground-Szene im Bereich der düster angehauchten Musik entwickelt das Trio einen aggressiven Stil progressiven Synthpunks. Man gewinnt den Eindruck, der Abgrund sei nah. Die Band präsentiert diesen klanglichen Angriff namens Stumpling Through The Walls (VÖ: heute!), um klarzustellen, dass unsere Welt krank ist und wir alle daran beteiligt sind, die abgefuckten systematischen Strukturen aufrechtzuerhalten. Klar, klingt dramatisch und übertrieben, triffts aber doch auf den Punkt. Auch wenn mich nicht jeder der acht Tracks gepackt hat, so war ich doch sehr positiv von der Energie überrascht, die das Album transportiert.
 
 
Portico Quartet
(sb) 3 Tracks, 40 Minuten Dauer. Zeit spielt für das Portico Quartet wahrlich keine Rolle. Auf die Qualität kommt es an, die Intensität. Auf Terrain (VÖ: 28.05.) lassen Duncan Bellamy, Jack Wyllie und ihre Bandkollegen einmal mehr Jazz und elektronische Elemente zu einer stillen und subtil doch sehr beunruhigenden Einheit verschmelzen.
Terrain I, II & III sind durchaus unterschiedlich, aber ein kurzes rhythmisches Motiv, das sich wiederholt, stellt den Ausgangspunkt in allen drei Sätzen dar. Es gibt ein Gefühl einer gemeinsamen Reise zu all diesen Stücken, sie bewegen sich durch verschiedene Welten, mit einem Gefühl der horizontalen Bewegung, die der Musik echten Schwung verleiht. Terrain I war das erste Stück, an dem die Band arbeitete, beginnend einem hängenden Schlagzeugmuster, das von Bellamy improvisiert wurde, der später auch Becken und Synthesizer hinzufügte. Von da an wuchs es, Wyllie fügte Saxophon, eine weitere Synthesizer-Sektion und Streicher hinzu. Ein Hauch von Soundtrack-Feeling und dennoch so wunderbar eigenständig.
 

Sinoptik
(ms) Erneut erwische ich mich dabei, wie mein eigener Musikkosmos relativ klar gezeichnete Grenzen hat. Nein, von Genregrenzen versuche ich mich zu befreien, aber Ländergrenzen (s.o.) fallen mir aus unterschiedlichsten Gründen schwer zu überschreiten. Klar, die Altbekannten sind an Bord, aber darüber hinaus wird es dünn bei mir. Memo an mich: Mehr Neugier! Heute also Rockmusik aus der Ukraine! Sinoptik heißt die Gruppe, die daheim einige Erfolge zu verzeichnen hat, hier stehen sie noch aus. Der recht klare Rocksound steht der Gruppe gut, doch das Video zu Sell God's Number ist noch etwas besser. Denn einzelne SchülerInnen haben Kontakt zur Band aufgenommen und gefragt, ob sie sie besuchen könnten. Gesagt - getan - Video vor Ort gedreht. Auf Englisch wird den Kindern dieser Schule das Attribut special needs zugeschrieben, hier würde man umständlich von sonderpädagogischem Förderbedarf sprechen. Gähn! Die Kids, die die Korostyshev Boarding School besuchen, haben unterschiedlichste Probleme oder Traumata hinter such, die Hälfte der Kinder wohnt vor Ort, weil sie keine Eltern mehr haben. Was für eine enorme Geste der Band, ihnen so ein schönes Denkmal zu errichten!

 
Bite The Bullet
(ms) Kann man Pop und psychedelischen Sound miteinander verbinden? Ja, klar. Das reine Zusammenführen ist nur ein 1+1. Die Frage, die sich stellt, ist doch viel mehr, ob es aufgeht, harmonisch ist, rund klingt, zugänglich ist?! Genau das machen die Dänen von Bite The Bullet. Sie vereinen Pop mit durchaus psychedelischen Melodien und einer pfiffigen Tanzbarkeit. Heute erscheint ihre nächste Single Let Go Of My Body: funky, im besten Sinne eingängig, gute Laune verbreitend. Das Trio aus dem Norden wird zwar erst im August ihr neues, viertes Album in den Äther blasen, doch so geht die Zeit der Vorfreude noch schneller rum! Zugegeben ist dieser Track schon beinahe melancholisch für ihre sonstigen Verhältnisse. Man sollte es nicht missen auch Lose Myself zu hören - laut!

 
Balmorhea
(sb) Funkhaus Berlin, Saal 3 - Homebase des großartigen Nils Frahm. Ein gutes Pflaster also und genau der richtige Ort, um ein herausragendes Album aufzunehmen. Das dachten sich wohl auch Robert Lowe und Michael A. Muller und so nisteten sich die beiden Texaner in der deutschen Hauptstadt ein, um The Wind (VÖ: heute!) einzuspielen. Was für ein wunderschönes Stück Musik! Balmorhea treffen mit ihren zwölf fantastisch arrangierten Tracks genau meinen Nerv. Die Ruhe, der Bezug zur Natur, dieses Unaufgeregte - welch Wohltat in Zeiten wie diesen. Bitte mehr davon!


Masayoshi Fujita
(ms) Trotz dass ich eineinhalb Instrumente ganz passabel beherrsche und einige Zeit in jedem Fall behaupten konnte auch ganz gut zu singen, gibt es zwei andere Instrumente neben Saxophon und Ukulele, die mich ganz stark begeistern durch ihren reinen Klang. Das eine ist der Kontrabass. Zwar habe ich ihn selten live gehört, doch sein warmer Sound ummantelt mich. Ähnlich zu charakterisieren ist das Vibraphon. Zu eigenen Musikschülerzeiten habe ich es ab und an gehört und war immer fasziniert, wie Menschen mit vier Klöppeln in zwei Händen daran musizieren und es soo gut klingt. Masayoshi Fujita spielt selbstredend in einer eigenen Klasse und fernab der kleinstädtischen Biederkeit. Ende Mai erscheint sein neues Album Bird Ambience, dessen gleichnamige Single nun zu hören, nein, zu genießen ist. Diese unendliche Ruhe. Dieser wohlig warme, tiefe, holzig-organische Klang dieses Wahnsinnsinstruments. Es ist keine Hektik da. Schnell spielen kann jedeR. Wer solch einen Raum einnehmen und ausfüllen kann, sodass man vergnügt die Augen schließt und sich entführen lässt, hat wahrlich Großes geschaffen. Das ist hier der Fall! Bitte. Hören.

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