Donnerstag, 15. April 2021

Eydis Evensen - Bylur

Foto: Einar Egils

(ms) Ach Island, du Traum- und Sehnsuchtswinkel auf dieser Erde. Ja, bei allen Musizierenden, die dort her kommen und über die ich berichte, muss ich erwähnen, wie sehr mich dieses Land fasziniert hat. Wer einst dort war, kann verstehen, woher Asgeir oder Sigur Rós ihren Zauber nehmen. Diese Natur macht mich fertig. Und sie dient (klar, mit allerhand Folklore und maßloser Anbetung wie in diesem Ansatz) der Inspiration und als kreative Muse. Nicht umsonst hat Jónsi (auf einem Auge blind) mal gesagt, dass er durchdrehen würde, sähe er stereo. Da es aber wie so oft und leider leider viel zu viele Kerle sind, die Aufmerksamkeit bekommen, bin ich so froh, dass nun Eydis Evensen ein ungeheuer mannigfaltiges Album komponiert und eingespielt hat. Bylur erscheint am 23. April und sollte dringend erworben und nicht nur gestreamt werden.

Sanfte, leichte Klaviermelodien sind zu Beginn hörbar, ein einsetzendes Cello (und sicher noch andere Streicher) ändern diese Atmosphäre jedoch recht schnell ins Dramatisch-Andächtige, denn sie übernehmen das Kommando und die Harmonien. Bei diesem Neo-Piano-Stück ändert sich rasch die Laufrichtung hin zu einem kammerorchestralen Klang. Trauer, Abschied und Schmerz sind die Assoziationen. Auch im Klavier wird es mitunter tiefer, rasanter, eindringlicher, dichter. Trotz der leicht düsteren Stimmung, die Evensen hier heraufbeschwört, ist Deep Under extrem rund, beweist ein ausgeklügelt dichtes Arrangement.
Ja, auf diesem Album gehen Piano und Streicher Hand in Hand. Mal wechseln sie sich ab in ihrem Dasein der Hauptrolle, doch sie tauchen fast immer gemeinsam auf. Wenn das Klavier auf Dagdraumur in den ersten Takten die grobe Richtung vorgibt und beinahe froh und leicht klingt, übernimmt doch erneut die dezent melancholische Stimmung. So soll es auf dem ganzen, warmen, schönen Album bleiben. Die Harmonie, das Zusammenspiel ist auch auf The Northern Sky gut wahrnehmbar: Während die Streicher lange Töne halten, die hoch im Vordergrund erklingen, spielt das Klavier ruhigere, aber sehr eindringliche Melodien mit nur wenigen Tönen die Oktave rauf und runter und gemeinsam ziehen sie die Hörenden in ihren dichten, berauschenden, oft dunklen Klang, der ohne Highlight stets zu überzeugen weiß. Ja, hier gibt es nicht die zwei, drei Stücke, die haften bleiben. Bylur ist ein Gesamtwerk, das in sich unglaublich stimmig ist.


Es sind die enorm tiefen Cello-Töne auf Wandering I, die Gänsehaut erzeugen. Es sind die kleinen Überraschungen wie ein extrem spärlich und darum umso fulminanter wirkender Einsatz der Trompete auf Wandering II - ja, es sind nur ein paar Töne, doch sie wirken Wunder.
Auffällig ist: Es wird nie ausladend, überbordend, riesig. Es bewegt sich alles in ähnlichen Linien, doch es wird nie (!) langweilig. Insbesondere die Variationen im Kleinen machen dieses Kunstwerk so fein, besonders, überzeugend. Das Mystische, Verzauberte, Elfenhafte von Asgeir oder Sigur Rós findet sich auf diesem Album nicht. Muss auch gar nicht, da die Musik ohne dieses Dramatisch-Große seine volle Wirkung entfaltet.
Die Klänge und Arrangements bekommen auf Circulation etwas Fürstliches, als ob am Hofe gespielt wird für einen fröhlichen..., nein, aber durchaus festlich-ernsten Anlass. Auf Midnight Moon bricht Eydis Evensen doch für ein Stück aus diesen Bahnen aus. Fast revolutionär! Hier wird gesungen - ihre Landsfrau GDRN ist zu hören. Ja, es sind diese kleinen, sehr feinen Hinhörer, die auch in der Reihenfolge der Lieder schön weit auseinander liegen, auftauchen und dadurch umso stärker, schöner erklingen. Das hier ist wirklich klug angelegt und sehr durchdacht. Ob es den Gesang auf dieser sonst instrumentalen Platte braucht... keine Ahnung, aber es passt hervorragend.
Diese Musik möchte ich in einer warmen, mit Kerzenschein ausgeleuchteten Holzkirche hören, mich hinein vertiefen, es genießen, die Augen schließen und nur ab und an blinzeln, um die Inbrunst der Musikerin zu bestaunen. Was für ein Werk!

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