Freitag, 5. Februar 2021

KW 5, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: de.depositphotos.com
(sb/ms) Manchmal fällt mir, ms, für diese Einleitung echt überhaupt nichts ein. Dann wird es oft konfus und zu gewollt. Zwei Minuten vor Fertigstellung dieses Beitrages tippe ich diese Zeilen und vor einer Stunde wusste ich immer noch nichts.
Doch dann kam die Realität, die ja bekannterweise immer genau das Stück bescheuerter ist als unsere Phantasie. Ich kam zurück von der Arbeit - ein schöner, entspannter Tag - und traute meinen Augen nicht als ich daran vorbei fuhr. Es war halt wie ein Unfall: Ich konnte nicht wegschauen. Und klar: Regt man sich über bestimmte Dinge lautstark auf, gilt man schnell als arrogant und hochnäsig. Komme ich mit klar. Aber auch: Die Grenzen des guten Geschmacks sind nicht fließend, Tocotronic. Sie sind ganz klar gezogen und zwar an einem bestimmten Punkt in fettem, leuchtendem rot! Will halt auch sagen: Ich mag keine Tiere, daher esse ich sie auch nicht.
Was die ganze Rumgewurschterei soll: Da schob eine Dame ihren Hund in einem Kinderwagen vor sich her - Blickrichtung nach vorne immerhin. Also echt. Was soll das?! Das Vieh kann doch laufen. Es hat sogar doppelt so viele Beine wie wir! Was ist das auch für eine bescheuerte Vermenschlichung von Tieren? Die Leine ist doch Strafe genug, man muss nicht auch noch komplett behemmert ausschauen.

So. Ende. Genug. Eskapismus mit Musik. Luserlounge. Freitag. Wir haben selektiert. Der Tisch ist gedeckt:
 
Schreng Schreng & La La
(ms) Klar, man trägt die Zusammensetzung der Band im Namen, aber so waren Schreng Schreng & La La auch noch nicht zu hören. So verstärkt ist das Duo Paulus/Mechenbier schon lange nicht aufgetreten; man hatte eher das Gefühl, dass Jörkk bei diesem Projekt eher etwas sanfter rüberkommt. Umso geiler, dass genau das halt nicht passiert. Worum geht es dabei eigentlich?! Genau! Gibt neues Material: Alukappenspacken heißt der Track und verspricht, was er hält: Volle Ladung drauf, den ganzen aufgestauten Frust in eine Minute (!) gepackt und raus damit in den Äther! Insbesondere die letzten beiden Worte, die mit lyrischer Inbrunst erklingen, sollte man viel öfter den Leuten entgegen schmettern, denen es gilt. Und noch mehr gute Nachrichten: Projekt 82, die neue Platte der Kombo, erscheint am 26. März! Freude schöner Götterfunken!


Sivert Høyem
(ms) Wenn seine Stimme erklingt, dann wird alles gut. Wenn seine Stimme sanft, tief und andächtig aus den Boxen strömt, geht es mir gut. Nur wenige andere KünstlerInnen können mich allein mit ihrer Stimme so beruhigen. Klar, Eddie Argos von Art Brut sing: "Everybody wants to feel sexy sometimes, I can make it happen with a voice like mine." Aber Sivert Høyem braucht diese ironische Unterschwelligkeit gar nicht. Er muss einfach nur singen. Wie er es immer schon getan hat. Solo liefert er seit vielen Jahren beeindruckend ab und über die Meilensteine von Madrugada müssen wir uns hier eigentlich nicht unterhalten, oder? Nun beschenkt uns der Norweger kommende Woche (VÖ: 12. Februar) mit neuem Material. Dann erscheint eine EP mit dem Titel Roses Of Neurosis. Fünf Lieder sind darauf enthalten, die besser in diese Zeit kaum passen könnten. Sie nehmen das Tempo aus der Unsicherheit, beruhigen das aufgescheuchte Gemüt und wirken wie ein Salbeitee für die Seele. Ja, die großen Hits fehlen auf der EP, waren dafür aber auch gar nicht angedacht. Wunderschöne und warme Pausemusik für 22 Minuten und 24 Sekunden. Das hat halt nur Sivert Høyem.

 
No King. No Crown.
(sb) Oh ja, da kommt sehr große Freude auf! Auch wenn No King. No Crown. noch auf den ganz großen Durchbruch warten, sind sie seit langer Zeit Stammgast in der luserlounge. Heute erscheint mit Shelter endlich eine neue Single der Dresdner um Sänger René Ahlig. Pandemiebedingt wird man zwar noch etwas länger auf einen Nachfolger des großartigen Albums Smoke Signals warten müssen, aber wenn man sich die Zwischenzeit mit solchen Perlen versüßen kann, dann fällt es deutlich leichter. Und falls Ihr Euch fragen solltet, warum die da im wunderschönen Video ohne Maske rumlaufen: Das Filmchen wurde bereits 2020 vor dem Lockdown und all seinen Restriktionen gedreht und steht auch schon seit etlichen Wochen (ungelistet) auf Youtube. Alles gut also. Jetzt genießt die Klänge und lasst Euch fallen... Und danach: Bestellt Euch die Alben von No King. No Crown.! Echt mal jetzt!

Jakob Mind
(sb) Urbaner Realismus eines sozialen Außenseiters. Bittersüße Melodien, die genauso verzerrt durch den Verstärker gepumpt werden wie der Geist der Person, die sie spielt. Oder anders ausgedrückt: Loser Punk. Das Erbe der Buzzcocks, der Ramones und der Dead Boys ist unüberhörbar, wenn Jakob Mind loslegt. Da der Schwede auf seinem Album The One Who Got Away (VÖ: 16.04.) sämtliche Instrumente selbst arrangiert und eingespielt hat, entstand ein Werk, das entsprechend stark geprägt von seinen eigenen musikalischen Präferenzen ist. Von Post Punk bis purem Rock'n'Roll ist alles dabei und geht sehr viel besser ins Ohr, als ich es erwartet hatte. Persönlicher Favorit: I Don't Wanna Be (Around) You!


Brisa Roché & Fred Fortuny
(ms) Niveauvolle Popmusik. Ja, sie ist rar gesät. Einfach ein paar Zeilen, Melodien und Hooklines zusammen klöppeln, ja das können viele. Einige lassen es auch gerne machen, das ist aber noch ein ganz anderes Thema. Andere hingegen sind halt komplette Künstler. Pardon: Künstlerinnen! Heutiges Beispiel: Brisa Roché. Groß geworden in Kalifornien, lange und gerne in Paris gelebt und nun zurück in heimischen Gefilden, zeigt sie uns, was raffinierte Popmusik ausmacht: Vollen Klang, authentische Texte und eine liebe zur Musik als Kunst, die durch den Sound zu hören, zu spüren ist. Anfang März veröffentlicht sie ihre neue Platte Freeze Where U R, die klanglich sehr rund ist und voll aus ihrem eigenen Leben erzählt. Hand aufs Herz: Das ist es doch, was wir oft wollen. Ehrliche, ungekünstelte Geschichten, in denen wir uns wiederfinden können. Die Magie der Musik. Und so singt uns Roché auf ihrem Album, das sie zusammen mit Fred Fortuny produziert hat, von vergangenen Liebschaften, Unabhängigkeit im Job und dem Hass auf Männer. Nachvollziehbar. So ist die Single Don't Want A Man eine schwungvolle, jazzige Antihymne auf das Y-Chromosom. Selten so leichtfüßig gehasst!


Boundaries
(ms) Was kann Musik? Das ist eine relativ einfache und offen gehaltene Frage. Über die Antowrt würde es sich lohnen, Bücher zu schreiben. Sie kann zu Freudentränen rühren und die Beine nicht mehr still stehen lassen. Sie kann und ruhig und andächtig machen - oft auch melancholisch. Sie kann uns retten durch Gedanken, Worte und Gefühle, die uns fehlen. Und sie kann uns erdrücken. Ein fulminantes Beispiel - und dabei lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster - kommt nun aus Dänemark. Die Band Boundaries veröffentlicht am 5. März ihr erstes Album Maidan. Darauf wird eine Wucht zu hören sein, die völlig platt macht. Das schaffen sie mit einer übersichtlichen Besetzung von vier Jungs - der Sound klingt nach tausend Mann, die über einen hinwegrollen: Breite, dunkle, kraftvolle Gitarrenwände, die den Bass und das Schlagzeug nehmen, um eine düstere Wolke an Klang heraufzubeschwören, die irgendwo zwischen den Editors, Joy Division und Saruman liegt. Es ist der klasse Gitarrensound aus UK, jedoch mit mehr Kraft und ein paar Tonstufen runter gedreht. Der beste Beweis: Die erste Single Harness. Sechs Minuten und 21 Sekunden Power. Uff!

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