Freitag, 20. November 2020

KW 47, 2020: Die luserlounge selektiert

Bild: 47brand.com.au
(ms/sb) Da wir unser liebes Geld ja momentan für Konzertkarten nicht verschleudern können und dem einen noch größeren Konsumhedonismus drauf setzen können, indem wir noch ein paar Scheine an der Theke des Clubs lassen, bleibt uns nicht mehr soo viel übrig. Klar, Platten kaufen! Am besten im lieb gewonnenen Laden des Vertrauens oder direkt beim Anbieter im Netz (d.h. nienienie bei Amazon!).
Oder halt für Merchandise vergeuden. Wobei die reine Verschwendung da nicht immer der korrekte Begriff ist. Einige Accessoires braucht man einfach. Und eine Band schafft es, diesem Irrsinn eine so extrem feine, gute, pfiffige, ausgeklügelte, ehrliche und beeindruckende Note zu verleihen, dass man nur noch zugreifen muss. Klar. Wir sprechen hier von unserem liebsten Kölner Trio Fortuna Ehrenfeld. Reinegruppe Seltsam. Auf dem Weg ins Shoppingparadies. Was hat Martin Bechler nicht schon alles anfertigen lassen?! Eine wunderschöne Puppe, faire Shirts (logo), Kaffee und einen eigenen Wein. Wer kann, der kann. Jetzt wird so derart einer drauf gesetzt, dass es kracht. Bechler ist dafür bekannt, dass er ausschließlich im Schlafanzug auftritt. Es ist das ungebrochene Markenzeichen. Und so ein geiles noch dazu. Was läge dem näher, als diesen Schlafanzug anfertigen zu lassen und ihn zum Verkauf anzubieten? Genau. Bald ist es soweit und der Fortuna-Schlafi ist shoppbar. Hier hergestellt, superfair, superbio, keine dubiosen Zwischenhändler, alles aus vertrauensvollen Quellen. Und das ist halt keine Attitüde bei den Dreien. Es ist aufrecht, ehrlich und genauso gemeint. Das ist phantastisch. Und man nimmt es ihnen ab. Man kauft es ihnen ab. Alter! Ein Schlafanzug von einer Band! Wie geil kann es noch kommen?!

Da kann unsere liebgewonnene Selektion kaum mithalten! Oder? Überzeugt euch selbst. Abfahrt!

Lina Maly x Dead Rabbit
(sb) Ganz perfide hat sich Lina Maly in mein Bewusstsein geschlichen - über einzelne Tracks, TV Noir und diverse Samplerbeiträge. Und jetzt ist sie da und geht nicht mehr weg. Gott sei Dank! Erst kürzlich habe ich mir zwei Alben aus der Bücherei ausgeliehen und ihre letzte EP in der Selektion besprochen und nun legt die 23-Jährige bereits nach: Am 22.01.2021 wird ihre Winter EP erscheinen und bereits jetzt gibt es den ersten Vorboten Alles Schläft (siehe Video) daraus zu hören. Zusammen mit HipHop Produzent Dead Rabbit aus dem Green Berlin-Umfeld (u.a. Marsimoto, Marteria, Samy Deluxe) entstanden insgesamt 4 Songs (und zusätzlich zwei Instrumentals), die die musikalischen Dimensionen der beiden Musiker/-innen vereinen und eine mitunter schwermütige, aber trotzdem hoffnungsvolle Klangwelt schaffen.


David Ost
(sb) Ja, Fire In Alaska klingt nach großer, weiter Welt, nach dem nächsten Hit eines etablierten Singer/Songwriters aus Nordamerika, nach großem Selbstverständnis und Vertrauen darauf, dass sich der Erfolg einstellen wird. Und doch stammt der Track von einem Künstler, der noch auf den ganz großen Durchbruch wartet und diesen (hoffentlich bald) auch erleben wird. David Ost heißt der junge Mann aus Norddeutschland, der in seiner Vita bereits einen Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie aufweisen kann und im kommenden Jahr auch sein Debütalbum veröffentlichen wird. Da haben sich der Schlagzeug- und Klavierunterricht in der Kindheit und Jugend des Künstlers aber mal so richtig rentiert. Wir bleiben dran und freuen uns auf weiteren Folk-Output!


Meanwhile Project Ltd.
(ms) Selbstverständlich sind wir große Freunde von solider Gitarrenmusik. Wenn man eine irgendwie geartete Basis dieses Blogs finden möchte, den Geschmäckern der beiden Autoren und dem schriftlichen Output dessen, dann sind da oft irgendwie Gitarren. Oft, bei weitem nicht immer. Doch einfach nur Rock oder Gitarrenpop langt uns nicht. Sie braucht schon ein Alleinstellungsmerkmal. Etwas, das packt, begeistert, neugierig macht, hinhören lässt. Diesen Mechanismus haben die beiden Jungs von Meanwhile Project Ltd. ziemlich gut verinnerlicht. Sie haben verstanden, was einem Song, der von der Gitarre dominiert ist, den nötigen Anstich verleiht, um ihn besonders zu machen. Irgendwo zwischen dem guten, alten Indierock aus UK, der Leichtfüßigkeit aus Skandinavien und dem Tüftlergeist von The Notwist bewegen sich Marcus Adam und Marcell Birreck. Im April erschien ihre gemeinsame Platte Namens Marseille. Sehr, sehr, sehr gut hörbar. Viele, tolle verstecke Sounds und Dynamiken. In der Zwischenzeit haben sie es sich natürlich nicht nehmen lassen ihre Lieder remixen zu lassen. Aus dem sehr indierockigen Selina wurde durch MɅIM ein elektronisch überarbeiteter Track, der zwischen Melancholie und verträumtem Tanz oszilliert. Also: Original und Überarbeitung sind sehr, sehr gelungen!



Kraus
(ms) Was uns schnell begeistert und wo wir im wöchentlichen Selektieren schnell sagen: Ja, das gefällt gut, hebt sich irgendwie ab und kann durchaus auch in einigen Wochen und Monaten noch richtig Bock machen: Gute, pfiffige Videos, einprägsame Texte und irgendwie Wumms. All das bringt die Hamburger Band Kraus in jedem Fall mit. Insbesondere der erste Teil des sehenswerten Videos zu Mein Licht ist wirklich schön gemacht. Ob Glitzer in 2020 noch so hip ist, sei mal dahin gestellt. Aber egal. Doch nicht nur die Visualisierung ist anziehend, die Texte hängen dem nicht hinterher. Klar, ein wenig Anlehnung an Die Sterne ist völlig legitim ("Ich würd' so gern mein Leben mit die ruinier'n"). Doch noch besser ist es, wenn der zart beginnende Track ausbricht und nie schmalzig oder gefühlsduselig wird. Man nimmt die Haltung und die Zeilen den Musikern sehr, sehr gut ab. Das macht Spaß. Und der wird noch größer, wenn im April (das hier ist also ein sehr, sehr früher Vorbote) das Album Deine Angstzustände Lügen erscheint. Zurück gelehnt und laut gedreht: 


AnnenMayKantereit
(sb) Hach, was waren AnnenMayKantereit mal vielversprechend und interessant und was haben auch wir die in der luserlounge gehyped, doch bereits das Debüt-Album Alles Nix Konkretes (2016) offenbarte Schwächen in der Konstanz und der Nachfolger Schlagschatten (2018) war streckenweise nah dran an einer akustischen Frechheit. Am vergangenen Dienstag nun veröffentlichte das Trio völlig unangekündigt sein neuestes Werk mit dem schlichten Titel 12. Obwohl durchaus ein paar Titel enthalten sind, die positiv überraschen (v.a. Die letzte Ballade) kann man nur hoffen, dass der Release an möglichst vielen Leuten vorbeigeht, denn im Großen und Ganzen reihen sich hier Pseudo-Betroffenheit, Pseudo-Intellekt und Pseudo-Gefühlsduseligkeit aneinander und da hilft auch die nachwievor grandiose Stimme von Henning May nicht mehr, um den doch sehr durchwachsenen Gesamteindruck zu schönen. Diese Zeiten sind keine schönen und das Album der Kölner passt sich nahtlos an.


Nick Cave
(sb) Bezüglich Nick Cave leide ich zugegebenermaßen unter musikalischer Extrem-Prokrastination. Ich kenne den Australier bestimmt schon an die 30 Jahre, habe aber immer nur einzelne Tracks gehört, die mir zwar samt und sonders gefallen haben, konnte mich aber nie nachhaltig dazu durchringen, mich ausführlich mit dem Werk des mittlerweile 63-Jährigen (!) auseinanderzusetzen. Warum eigentlich? In den vergangenen Tagen trudelte nun sein neues Album Idiot Prayer (Nick Cave Alone At Alexandra Palace) (VÖ: heute!) im luserlounge-Postfach ein und endlichendlichendlich nahm ich mir mal die Zeit, mich der Musik zu widmen und mich ihr hinzugeben - Home Office sei Dank! Aufgenommen hat Cave das Doppel-Album live und alleine im Alexandra Palace - ein wahrhaftig einmaliges Ereignis und das Ergebnis ist fantastisch. Ursprünglich war das Konzert als Exklusivveranstaltung für zahlende Internet-Zuschauer während der Lockdown-Phase geplant, die jetzige Veröffentlichung beinhaltet vier weitere Songs, die damals nicht ausgestrahlt worden waren. Es ist ungemein beeindruckend, welche Tiefe der Künstler seinen Songs alleine mit Stimme und Piano verleiht; da ist Gänsehaut garantiert! Ganz, ganz großartig! Favorit: (Are You) The One That I've Been Waiting For?
 

Lo'Jo
(ms) Vor vielen Jahren haben sich die beiden Autoren dieses Blogs in einer nicht mehr auszudenkenden Welt des Internets kennengelernt: Dem Forum der Sportfreunde Stiller. Ja, kuriose Zeiten. Es war ein tolles, lebhaftes, sehr lesenswertes Forum! Es wurde viel diskutiert, Schwachsinn geschrieben, Befindlichkeiten ausgetauscht. Jung war ich. Sodass mir irgendwann geschrieben wurde: Manche Musik versteht man erst, wenn man älter ist. Wie wahr das ist. Das gilt nicht nur für Diskurs-Pop, Punk und dergleichen. Sondern auch für so etwas, das recht häufig mit Weltmusik beschrieben wird, weil es so international, einmalig, ungewohnt klingt, dass es in keine Schublade passt. Dazu gehören auch Lo'Jo. Zu hören sind teils orientalische oder vorderasiatische Klänge in Kombination mit französischem Gesang. Denis Péan und Richard Bourreau stecken dahinter und laden sich für ihre Album immer wieder Gäste und Freunde ein. Auch bei ihrem kommenden, 18. (!!!) Album Transe De Papier sind unter anderem Robert Wyatt und Tony Allen zu hören. Hier kann man sich schnell verzaubern lassen. Vom ummantelnden Klang und vom tollen Video!


Juse Ju
(ms) Fassungslosigkeit. Das ist der Zustand, der mich in den letzten Tagen und Wochen zunehmend heimsucht. Der ganze Megabullshit in den Vereinigten Staaten, der orangene Mann, der jegliche demokratischen Grundregeln einfach untergräbt. Die mutigen Proteste in Polen gegen die Reform der Abtreibungsgesetze, die leider erstmal nichts bringen. Die nicht endenden, sehr wichtigen Demonstrationen in Belarus, die knallhart niedergekloppt werden. Ein deutscher Innenminister, der bei rechten Preppern (das muss man sich einfach mal reinziehen) eine Waffe (wozu eigentlich) kauft. Ein gräulicher Krieg in Bergkarabach. Idioten in Leipzig. Idioten in Berlin. Nazis, die noch mehr störende Nazis in unser Parlament einschleusen, um zu pöbeln... Fassungslosigkeit. Ein Glück, dass es Juse Ju gibt. Ein Glück, dass er nach seinem unglaublich starken Album noch so einen Song raushaut. Hut ab.
 

 
Bertram
(sb) Herzlich willkommen zu einer 191-sekündigen Offenbarung! Erstmalig angehört, sofort für geil befunden und dann immer wieder laufen lassen... Deutschsprachiger Indie-Rock sollte genau so klingen! Mit Jakuzzi Jerusalem haut Bertram die zweite Single seines Albums Chamäleon (VÖ: 06.11.) raus und trifft damit (zumindest bei mir) voll ins Schwarze. Oida, geht des gut! Schon wieder ein österreichischer Act, den man unbedingt auf dem Zettel haben sollte...


Bayuk & Andreas Vey
(ms) Und ganz zum Schluss ertönen noch ganz leise, wunderbar eindringliche Klänge voller Melancholie und Hoffnung. Ein sorgenvoller Song, der doch so ein herrliches Klangkorsett aufweist. Er ist warm, groß und sehr überzeugend. Der tolle Bayuk hat sich Andreas Vey geschnappt und einen bemerkenswerten Track geschrieben. Ihre beiden Stimmen ergänzen sich prächtig und im Songwriting ist eine Menge Leidenschaft, Finesse und Können zu hören. Hach, ist das jetzt der Herbstsoundtrack? Ja, kann schon gut sein. Hoffentlich kommt nach diesem sehr guten Arms Of Who noch mehr!

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