Montag, 20. Juli 2020

Provinz - Wir bauten uns Amerika

Bild: https://www.facebook.com/provinzband
(sb) Hinterland. Wo jeder Tag aus Warten besteht. Und die Zeit scheinbar nie vergeht. Da sind sie daheim, in Oberschwaben, am Tor zum Allgäu. Der Bandname Provinz ist also Programm - und doch Understatement! Und auch das Warten bekam in den letzten Monaten eine völlig neue Bedeutung im Leben des Quartetts aus Vogt, denn wie bei so vielen anderen Künstlern, so war auch die Planung von Provinz für das Jahr 2020 eine komplett andere. Ihr Debütalbum sollte eigentlich im April erscheinen, eine ausgedehnte Release-Tour folgen - und dann kam Covid-19, Ihr kennt das ja. Der Veröffentlichungstermin wurde daraufhin munter hin- und hergeschoben, erst hieß es August und letzten Endes erblickte Wir bauten uns Amerika am 17. Juli das Licht der Welt. Endlich! Uns liegt das Album bereits seit Wochen vor, läuft auch ziemlich oft, die ein oder andere Passage für diesen Review formte sich bereits im Kopf - und dann habe ich doch tatsächlich die letzte Änderung des Releasedatums komplett verpasst und stand am Freitag ohne Text da. Na super!

Im Endeffekt ist es aber auch egal, denn das Fazit bleibt das Gleiche: Kauft diese Platte, seid von Anfang an dabei, wenn Provinz die (zumindest deutschsprachige) Musikwelt erobern! Genauer gesagt startete die Geschichte bereits 2017, zwei Jahre später folgte ihre erste EP Reicht Dir das und nun also der erste Longplayer.

Bereits die ersten Töne auf Wir bauten uns Amerika lassen erahnen, wohin die Reise führt: diese Stimme, die einen einfängt, der Mut, sie von Anfang an wirken zu lassen und in Folge auch der Text zu Mach Platz!, der vermutlich jedem, der seine Jugend auf dem Land verbracht hat, aus der Seele spricht. Die Welt steht uns offen, hier sind wir und Ihr habt nur auf uns gewartet. Besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der Song innerhalb einer halben Stunde geschrieben wurde und inzwischen innerhalb weniger Tage 200.000 mal gestreamed wurde.

Und tatsächlich bleibt dieses Provinzielle zumindest subtil in vielen Tracks als Motiv erhalten - und das ist ausschließlich positiv gemeint und zieht sich, wenn man sich denn auf diese Sichtweise einlässt, wie ein roter Faden durch das Album, gibt ihm Struktur und bietet dem Hörer die Möglichkeit, sich daran festzuhalten und zu orientieren. Dass Party und Rausch (Diego Maradona bzw. Augen sind rot) im Hinterland dabei durchaus eine Rolle eine spielten, ist nicht von der Hand zu weisen. Ich kenn das ja selber: so arg viele Möglichkeiten gibts halt außerhalb der Städte nicht, um wirklich was zu erleben - und bei mir waren es damals nur knapp 40 km nach München, während Vogt im Dreieck Wangen, Ravensburg und Leutkirch doch deutlich abgelegener sein Dasein fristet.

Bild: https://www.facebook.com/provinzband

Wie dem auch sei: Vincent Waizenegger, Robin Schmid, Moritz Bösing und Leon Sennewald machen Musik, die die Provinz verlassen wird und tatsächlich schon längst hinter sich gelassen hat. Bereits ihre erste EP wurde von Tim Tautorat (AnnenMayKantereit, Faber) in Berlin produziert, sicher nicht die schlechteste Referenz. Auch live haben sich die Oberschwaben bereits einen guten Ruf erarbeitet und konnten dabei nicht nur Luserlounge-Liebling René Ahlig von No King.No Crown. von sich überzeugen. Provinz boomt und das schlägt sich auch in den Ticketverkäufen für die kommende Tour nieder. Leider musste diese zwar auf kommendes Frühjahr verlegt werden, mit ausverkauften Hallen darf jedoch vielerorts gerechnet werden. Und da die Oberschwaben bereits jetzt so gefragt sind, sind auch schon die ersten Shows für 2022 (!) bestätigt. 

Aber was macht Provinz so besonders? Es ist schwer zu beschreiben, aber quasi auch unmöglich, sich der Musik zu entziehen. Es klingt einfach verdammt nah, sehr vertraut und genau so, wie man sich immer selbst gewünscht hätte, Musik machen zu können. Abwechslungsreiche und doch stets einfangende Melodien, beachtlicher Mitsingfaktor (und schon wieder muss ich Diego Maradona nennen, obwohl es eigentlich sogar der Track ist, der mir fast am wenigsten gefällt auf dem Album), große Gefühle (Verlier Dich), ausgeprägte Tanzbarkeit (Tanz für mich) und alles in allem die beneidenswerte Lässigkeit, die die vier jungen Musiker aus dem Ärmel schütteln. Diese Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte, diese Fähigkeit, all das in wunderschöne und so treffende Worte zu verpacken, diese Gabe, in diesem Alter schon so erfahren und reif zu klingen - und doch zu wissen, dass noch so viel vor einem liegt.

Provinz, das ist überragend!





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (siehe Blog-Startseite unten) und in der Datenschutzerklärung von Google.