Freitag, 15. Mai 2020

KW 20, 2020: Die luserlounge selektiert

Bild: https://www.br.de/
(ms/sb) Von Solidarität wird derzeit viel gesprochen. Das ist  gut, denn das ist ein Wert, eine Handlungsweise, der eine Gesellschaft hält und zusammenträgt. Ja, jetzt oft noch ein Stückchen mehr als sonst. Diese Woche habe ich 'sonst' erfahren - was etwas widersprüchlich zur aktuellen Solidaritätsbekundung steht. Auf dem Weg zum Einkaufen kam ein Auto an einer Ampel nicht vom Fleck, die Schlange dahinter wuchs und wurde ungeduldig. Ich war als Fußgänger unterwegs und näherte mich der Situation, als das ältere Paar dann das Auto immer wieder anschob. Selbstredend habe ich meine Sachen beiseite gelegt und geholfen. Doch damit blieb ich allein auf weiter Flur. Stattdessen Gehupe und absolutes Nichtstun. Wie unverschämt ist das?! Wie wenig empathisch zeigt sich die Gesellschaft bei den einfachsten Dingen? Die beiden waren locker über siebzig und die Bequemen fuhren hupend vorbei. Da kann man verzweifeln.

Ob die Musik hier immer aufbauend ist, steht zur Debatte. Doch sie ist neu. Luserlounge. Selektiert.

Hinds
(sb) Ich habe ja einige Freunde und Bekannte in Spanien und wenn die in der Vergangenheit mit musikalischen Tipps um die Ecke kamen, habe ich mich aufs Schlimmste eingestellt. Erfahrungsgemäß geht da alles als Rockmusik durch, das auch nur annähernd eine E-Gitarre hören lässt. Meine Gegenvorschläge á la Obrint Pas oder Furious Monkey House sorgten für fassungsloses Staunen und Fragen, wie man sich solchen Lärm freiwillig anhören kann. Also sollte ich ihnen die Hinds besser nicht vorstellen... Die vier Damen aus Madrid hauen am 05.06. ihr Album The Prettiest Curse raus und das macht von A bis Z richtig Spaß und strotzt nur so vor Lebensfreude. Vorwiegend wird zwar auf Englisch gesungen, doch gerade die Passagen in ihrer Muttersprache ragen besonders heraus und machen Lust auf noch mehr - gerade weil die Kombination aus Spanisch und wirklich guter Rockmusik so selten ist. Das Quartett spielt auch textlich hervorragend mit den Vorurteilen, die ihm als All-Girl-Band entgegengebracht werden, und befreit sich spielend aus den Fesseln sämtlicher Konventionen, denn auch Disco- und LoFi-Elemente kommen nicht zu kurz. Überraschend großartig!



Maple & Rye
(sb) Wie reif und erfahren kann ein Debütalbum denn bitte klingen? Wenn man sich For Everything (VÖ: 29.05.), den Erstling von Maple & Rye anhört, hat man unweigerlich das Gefühl, es mit alten Hasen aus dem Business zu tun zu haben, die genau wissen, was dem geneigten Ohr schmeichelt. Tatsächlich aber sind Herren aus Göteborg (zumindest in dieser Konstellation) bislang echte Newbies und ich bin mir sicher, wir werden noch viel von denen hören. Warum? Weil die Schweden mit ihrem Folk den Nerv der Zeit brutal gut treffen und sich das Beste von anderen, erfolgreichen Bands zunutze machen und daraus etwas Eigenes schaffen, das unterhält, berührt und bewegt. Zunächst klingt die Scheibe wie das Album, das Mumford & Sons immer machen wollten (allerdings ohne deren nerviges Rumgeheule), später fühlt man sich stark an Friska Viljor erinnert und der Track Con Of The Century (siehe Video) könnte ohne Weiteres auch auf einem derer Alben vertreten sein. Trotzdem: Maple & Rye klingen zu keiner Zeit wie eine Coverband, sondern schaffen es, ihren eigenen Stil zu etablieren, der so unterschiedliche Gefühle wie Glück, Langeweile, Wut, Traurigkeit, Euphorie, Einsamkeit, Unsicherheit und Vergnügen widerspiegelt. Netter Sidefact: Die Aufmachung und das Artwork von For Everything ist wirklich extrem schick und alleine schon die Anschaffung wert. Also los, sofort vorbestellen!


Krakow Loves Adana
(ms) Das Hamburger Duo hat mal wieder zugeschlagen. Krakow Loves Adana ist sicher eine Band, die wir hier am häufigsten nennen und bewerben. Das liegt nicht nur daran, dass Robert und Deniz einfach irre sympathische Menschen sind, sondern halt wegen der sehr guten Musik, die sie über viele Jahre abliefern. Jetzt gibt es wieder neue Töne und bald auch endlich wieder ein ganzes neues Album! Im Herbst erst erscheint Darkest Dreams doch heute schon kann man in die erste Auskopplung reinhören! Die frühe Vogel... ihr wisst schon! Der Titel des Albums kommt der Musik des Paares entgegen. Oft geht es gewissermaßen düster zu, wofür Deniz' enorm eindringliche Stimme und die dazu passende Instrumentierung verantwortlich sind. Das weiß schnell zu gefallen! The Ocean Between Us spielt erneut mit 80er-Jahre-Synthie-Elementen, die sich auch im Video wiederspiegelt. Trotz der harten Aussage im Refrain - There's nothing between us / It's too late for us - ist der Track melancholisch tanzbar! Das Wort Disco als Genrebezeichung schwebt im Raum. Haben sie die Gitarren jetzt gänzlich ad acta gelegt? Diese Frage können wir zum Release des Albums beantworten! Bis dahin suchen wir uns jetzt auch so ein geiles, rotes Telefon!



Ivy Flindt
(ms) Es kann mitunter schon sehr spannend sein, das eigene Musikhören zu beobachten. Wie es sich entwickelt, aber auch wie es immer wieder neu vonstatten geht. Beim Namen Ivy Flindt ging ich zunächst - so mir nichts, dir nichts - von einem Soloprojekt aus, einer Dame, die halt diesen Namen trägt. Weit gefehlt. Dahinter verbirgt sich ein Duo, bestehend aus Cate Martin und Micha Holland. Diese Woche haben sie aus ihrem Erstling In Every Move (bereits vor zwei Jahren erschienen) eine weitere Single ausgekoppelt - samt sehr, sehr eindrucksvollem Video. Ich mag diese Langsamkeit im Prozess. Besser so als drei Singles ein halbes Jahr vor Veröffentlichung. Zu hören bekommen wir einen zarten, leicht melancholischen, aber nie zerbrechlichen Indie-Gitarren-Song, der herrlich in diese verrückte Zeit passt: Give It A Break. Und auch aus genau diesem Grund ausgekoppelt worden ist. Cates feste und gleichzeitig sanfte (also nicht zitternde) Stimme beherrscht das Lied und wird später unterbrochen von einem eher unerwarteten Gitarrensolo. Doch es bricht nicht aus, bleibt harmonisch, spricht den Hörenden zu: bleib entspannt, es wird sich schon alles regeln. Das kann man inhaltlich fatalistisch nennen - drauf gepfiffen. Musikalisch ist es wunderbar weich und dennoch bestimmt. Mit einfachen Worten: Ein schöner, purer Song zur richtigen Zeit!



Rockpalast Back Home
(ms) Wer wie ich in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen ist, den haben sie Sendefrequenzen des WDR beim Laufenlernen, Schleifebinden, Größerwerden, Biertrinken stets begleitet. Sie waren unumgänglich. Damit verbunden als Teenie natürlich 1live, welcher Radiosender denn sonst, und damit auch die Stimme von Ingo Schmoll. Heute ist Schmoll immer noch (oder eher: wieder) beim WDR tätig und kreiert dort die wunderbare Rockpalast-Doku-Reihe (neben vielen Musikvideoprojekten etcetcpp). Da das Geschäft ja still steht, hat er die sehr gute Idee gehabt, in seinem Musiknetzwerk nachzufragen, wie die unterschiedlichsten Protagonisten denn mit der aktuellen Situation so umgehen und/oder zurecht kommen. Daraus entstand das Interview-Format Rockpalast Back Home, wo schon viele KünstlerInnen - auch aus unserem Kosmos - Frage und Antwort gestanden haben. Gut gefragt, gut geantwortet, kurzweilig, unterhaltsam, informativ. So könnte man es zusammenfassen. Unter anderem dabei: Thees Uhlmann, Martin Bechler (Fortuna Ehrenfeld) oder Alexander Thomé (Pascow). Film ab:



Honey Lung
(sb) "Suche nach Gleichgesinnten für die Erschaffung einer akustischen Hölle" - würdet Ihr auf so ein Gesuch nach Mitmusikern antworten? Hättet Ihr mal tun sollen, denn dann wärt Ihr jetzt vielleicht Bandmitglied von Honey Lung und würdet am 29.05. eine ziemlich geile Scheibe rausbringen. Die PR-Agentur schreibt von Shoegaze, aber auch mit der Beschreibung College Rock hätte man sicher nicht viel falsch gemacht. Mich erinnert die Post Motorcade Music EP in mancher Passage an die unvergessenen Fountains Of Wayne oder auch an die allererste EP von Good Charlotte aus dem Jahr 2000, als die noch nicht versuchten, Punks zu sein und sich damit lächerlich machten. Aber das ist ein anderes, trauriges Thema... Die Londoner hingegen liefern fünf starke Tracks ab, die abwechslungsreich und zu keiner Zeit fad sind. Mögen sie dieses Niveau halten und bald auch auf Albumlänge zeigen - wir drücken die Daumen und hoffen, dass die Band zusammenbleibt und nicht bald wieder Gesuche stellen muss.




The Winter Passing
(sb) Emo klingt ja per se erstmal ein wenig abschreckend, wenn man sich dann aber doch drauf einlässt, dann wird man gelegentlich für seinen Mut belohnt. Die Iren von The Winter Passing werden am 03.07. beispielsweise ein Album veröffentlichen, das Psychologen wohl als "manisch-depressiv" beschreiben würden. Diese Bipolarität der Musik überträgt sich während der Spielzeit auf den Hörer - irgendwie spannend zu beobachten... Weibliche und männliche Gesangsparts sind perfekt aufeinander abgestimmt und verstärken die catchy Melodien mit eindrucksvollen Erfahrungen mit Einsamkeit, Mobbing, Selbstbewusstsein und Ängsten als Teil der Arbeiterklasse. Dem Quintett aus Dublin gelingt es mit New Ways Of Living auf jeden Fall, mit ihrer Mixtur aus Punk und Indie ins Herz vorzudringen und das dürfte auch live - wenns denn mal wieder erlaubt ist - ein Erlebnis sein. Wir halten Euch da auf dem Laufenden.


Von Wegen Lisbeth
(sb) Ich habe echt lange überlegt, ob ich überhaupt was zu Von Wegen Lisbeth schreiben soll, weil ich deren Musik seit jeher nicht sonderlich mag. Nun habe ich mich aber tatsächlich durch Live in der Columbiahalle (VÖ: 22.05.) gequält und wurde bestätigt: Ich bin wahrscheinlich deutlich zu alt für diesen Scheiß und habe vermutlich auch das falsche Geschlecht, um dem etwas abzugewinnen. Vor einer gefühlten Ewigkeit fand ich ja Anajo ganz toll (was aber auch viel an den Menschen und weniger an der Musik lag) und ungefähr auf deren oberflächlichem Niveau bewegen sich auch die Texte der Berliner. Sehr anstrengend. Und so unglaublich trivial und schlicht. Es kommt ja des Öfteren vor, dass ich Musik höre, die mir persönlich nicht zusagt, bei der ich aber durchaus erkenne, wieso sie anderen gefallen kann. Hier nicht. Kein bisschen. 3.500 (zumeist sehr junge, weibliche) Besucher sehen das anders. In diesem Sinne: Live and let live. Bleibt die grundsätzliche Frage (völlig unabhängig von meiner Antipathie gegenüber Von Wegen Lisbeth): Muss man nach zwei Studioalben wirklich schon ein Live-Album veröffentlichen?


Jonas David
(ms) Dieses Jahr haben sie nochmal zugeschlagen. Zum dritten Mal. Leider habe ich es nicht geschafft, denn die ersten beiden Male gingen direkt ins Herz und in die Beine. Die Tour of Tours hat vor niemandem Halt gemacht. Groooßartige Idee! Ein Teil davon ist/war Jonas David. Groß und etwas schüchtern stand er mit seiner Gitarre auf der Bühne und kam richtig zur Geltung, als er seine eigenen Stücke spielte. Seine Stimmverzerrungen waren etwas ungewohnt, aber es ging voll auf! Nun kommt von ihm neues Solo-Material! Ruhig, getragen, kaum vernehmbare Gitarren. Im Vordergrund der neuen Single Sorri stehen breitflächige Bläser, Klavierakkorde und seine Stimme, bis sich irgendwann harmlos ein Schlagzeugbeat in das Lied schleicht und den gesamten Track wie ein behütetes, sanftes Crescendo erscheinen lassen. Nein, wirklich melancholisch ist das nicht - doch eine gewisse Andächtigkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Es plätschert auch nicht daher, sondern bleibt bestimmt. Dazu gibt es ein wunderschön langsames aber bildgewaltiges Künstenvideo! Lohnt - ebenso wie die Vorfreude auf das neue Album Goliath, das im August erscheinen soll! Juhu!



Everything Everything
(ms) Zum Abschluss drehen wir nochmal richtig auf. Das ist ein gutes Zeichen. Denn beim ersten Vorboten zum neuen Album von Everything Everything ging es zwar visuell kunstvoll, doch klanglich eher ruhig zu. Dabei sind die Briten so herrlich experimentell und unglaublich pfiffig im Songwriting. Das haben sie oft, auch auf ihrer letzten Platte bewiesen. Die neue Scheibe wird auf den Titel Re-Animator hören und am 21. August erscheinen. Damit wird der Sommer spannend in puncto Veröffentlichungen. Und die Hoffnung, dass im Herbst - wo sowieso die guten, großen, ausgiebigen Touren laufen - alles wieder einigermaßen so ist, wie es sein sollte und die Jungs aus Manchester hier aufschlagen und uns endlich wieder beschallen, bleibt!
Bis zur Veröffentlichung des Albums können wir nun auch Arch Enemy genießen! Ob die Metalband was damit zu tun hat, bezweifle ich. Den Song zieren elektronisch verspielte Beats und Percussion, die herrlich artpoppig daherkommen. Nicht ganz so vertrackt, wie man sie kennt, eher tanzbar und eingängig geht es hier ab. Heißt nicht, dass sie flach oder einfallslos klingen. Diese Adjektive könnte man mit Everything Everything niemals in Verbindung bringen! Also, aufgedreht und abgespielt! Die letzten Takte zeigen, dass die Band immer eine Überraschung in petto hat!


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