Freitag, 24. April 2020

KW 17, 2020: Die luserlounge selektiert

Bild: twitter.com/17_restaurant
(sb/ms) Heute ist Freitag, der 24. April. Logisch. Sonst würde dieser Text auch nicht erscheinen. Seit ein paar Jahren wird an dieser Stelle selektiert. Gut ist das. Spaß macht das.
Jedoch war gestern auch der 23. April. Und das ist an dieser Stelle noch ein bisschen wichtiger. Denn der 23. April ist jedes Jahr der Tag des Buches. Herrlich. Ein ganzer Tag, der der Literatur gewidmet ist. Was lest ihr derzeit? Spannendes, Informierendes, Unterhaltendes, Romantisches?
Nun. Der 23. April kann aber noch mehr. Es ist auch internationaler Tag des Bieres. Jaha. Das stimmt. Was trinkt ihr derzeit? Hier steht eine Kiste Weizenbier. Supergut. Das ideale Getränk bei steigenden (und dann hohen) Temperaturen. Mit und ohne Alkohol. So viel erwachsene Weitsicht muss sein.
Folgende Frage stellt sich nun: Wer hat sich ausgedacht, beide schöne Ereignisse auf ein und denselben Tag zu legen?! Warum? Für jedes Gut bräuchte es einen ganzen Monat, um gebührend abgefeiert zu werden! Und was tut man nun? Saufen und lesen? Irgendwann geht das nicht mehr gut. Nur lesen. Okay. Nur saufen. Okay. Aber zusammen?! Ich weiß ja nicht. Frage an den Schwarm: An wen kann man sich wenden, um das auseinander zu dröseln?! Ich bin um jeden Hinweis dankbar.

Musik ab.

Haszcara
(ms) Kommen wir unumwunden zum Punkt: Wir brauchen mehr richtigen guten Female Rap. Die HipHop-Kultur ist so dermaßen mit Testosteron vollgepumpt, dass einem schnell mal übel wird. Ich bin nicht so unheimlich gut informiert, habe aber den Eindruck, dass sich in den letzten zwanzig Jahren schon eine Menge getan hat. Über die Gangsta-Rapper kann man nur noch (zu Recht) lachen und Rap ist insgesamt ein bisschen schlauer geworden, gewitzter, selbstironischer. Gut so. Glücklicherweise kamen dann nach und nach - mehr oder weniger bekannte und erfolgreiche - Rapperinnen zur Geltung. Sehr gut so. Da helfen wir gerne mit. Haszcara habe ich schon ein paar Mal live gesehen und sie hat ein ungeheuer erfrischendes Auftreten, null Attitüde, humorvoll, ernst, absolut glaubhaft. Auch/Insbesondere wenn sie davon berichtet, wie gern sie mit ihren Mädels Shisha rauchen will. Doch auf ihrer brandneuen (VÖ: heute!) EP Hautnah sind auch weniger unterhaltsame Songs enthalten. Manchmal geht es auch in die Magengrube oder kommt richtig tief aus der Seele. Es lohnt sich sehr diese vier Tracks aufmerksam anzuhören. Die Inhalte der Lieder werden dem EP-Titel sehr gerecht. Das geht hautnah! Herzerwärmend: Sie bedankt sich bei allen Wegbereiterinnen!



Danzig
(sb) 1,60 Meter geballte Energie, Sänger der legendären Band The Misfits, Mitbegründer des Genres Horrorpunk und aufgrund der tiefen und kehligen Stimme der Spitzname "Evil Elvis" - das ist Glenn Danzig. Der durchaus streitbare Musiker, der in seiner Karriere für den ein oder anderen Skandal sorgte, wird im Juni 65 (!) Jahre alt, an die Rente denkt er aber noch nicht, sondern veröffentlicht heute (digital, der physische Release folgt am 08.05!) sein neues Album, mit dem er sich ein lang gehegten Wunsch erfüllt. Danzig sings Elvis - ja, er tuts wirklich und es steht ihm gut! Die stimmliche Nähe ist unverkennbar und Danzigs Attitüde verpasst den unverwüstlichen Songs des King einen zumindest unterbewusst einen ungewohnt düsteren Anstrich. Always on my mind, Fever, One Night, Loving Arms etc. offenbaren dadurch mitunter bislang verborgene Facetten, ohne dabei ihre Ursprünglichkeit zu verlieren; die Songs werden nämlich keinesfalls neu erfunden oder arrangiert, sondern lediglich durch den "Elvis from Hell" neu interpretiert. Tolles Projekt, interessantes Album, wobei es sicherlich auch spannend gewesen wäre, die Klassiker im eigentlichen Danzig-Style, also in Richtung Punk, zu hören. So klingt es stellenweise so, als habe man Glenn dabei aufgenommen, wie er in einer Karaoke-Bar seine Lieblingssongs von Elvis singt - aber vielleicht war das ja genau so beabsichtigt.



Malta Mina
(ms) Fernweh ist an sich ja schon hart, wenn man dem Alltag so nachgeht. Ein, zwei herrliche Sonnenstrahlen, die durchs Fenster dringen und man wünscht sich ans Mittelmeer. Drei, vier deftige Brisen, die einem ins Gesicht peitschen und man wünscht sich an die raue See. Fünf, sechs Bilder von ganz anderen Orten und es wird einem schwer ums Herz. Jetzt mitunter noch viel mehr, wo der Sommer und die schönen langen Wochenenden anders gestaltet werden müssen. Sebastian Witte schlägt mit seinem Projekt Malta Mina und dem aktuellen Song The Tide genau in diese Kerbe. Ein Lied, das nicht nur bildnerisch mit dem Wellengang arbeitet, sondern auch im Sound. Elektronischer Indie-Pop bildet das Fundament, darüber legt sich seine furchtbar angenehme Stimme. Eine Kombination, die die Hörenden schnell aus den eigenen Vier Wänden zieht. Mindestens in Gedanken. Das ist eine äußerst gelungene Kombination. Wasser, Licht und Luft. Sie können berauschend schön und bedrohlich beklemmend sein. Lässt man sich auf den Track ein, wird das klar.
Und dann kommen noch diese Wellengänge aus Island dazu...



Slut
(sb) Ja Wahnsinn, dass wir das noch erleben dürfen! Ein neuer Track von Slut, unfassbar! Wir hatten ja mit viel gerechnet, aber dass die Ingolstädter nochmal neue Songs veröffentlichen, hielten wir quasi für ausgeschlossen. Wo wir gerade dabei sind: Was macht eigentlich Tobias Kuhn aka Monta derzeit?
Aber zurück zu Slut: Die vergangenen Jahre sind scheinbar nicht spurlos an der Band vorbeigegangen und scheinbar mussten sie den Verlust ihrer Gitarren verkraften. Anders ist der deutlich veränderte Sound kaum zu erklären, auch wenn sie bei Youtube versichern, dass die zukünftig auch wieder zum Einsatz kommen werden. Gott sei Dank, ist man geneigt zu sagen, denn so groß die Freude über das Comeback der Herren um Sänger René Arbeithuber auch ist, so ernüchtert sind wir dann doch über For The Soul There Is No Hospital. Der Song als solcher ist sicher kein schlechter, aber sind das wirklich die selben Slut, die uns einst so begeisterten? Oder nennt man sowas Weiterentwicklung? Hörts Euch am besten mal selber an...


Matija
(sb) Bis 2016 waren Matija unter ihrem vorherigen Namen The Capitols in erster Linie in ihrer bayerischen Heimat bekannt, seitdem hat ihre Karriere aber Fahrt aufgenommen und die Münchner durften u.a. Wanda und The 1975 supporten. Trotzdem musste man seit ihrem 2017er-Album warten, bis endlich wieder frische Töne aus Monaco City in die Welt verbreitet wurden. Dank absolutelynothing(today) (VÖ: 17.04.) darf das Comeback jedoch als gelungen bezeichnet werden, die bittersüße Ballade trifft den Zeitgeist ziemlich gut. Musikalisch ist das Quartett wohl am ehesten im klassischen Pop anzusiedeln, wobei gelegentlich auch Alternative-Elemente einfließen - und ein gewisser Hipster-Habitus ist der Band sicher auch nicht abzusprechen. Wir warten auf mehr und halten Euch auf dem Laufenden.


Shirley Holmes
(sb) Fangen wir mit dem Fazit an: Selten hat mich ein Album so unentschlossen zurückgelassen wie Die Krone der Erschöpfung (VÖ: heute!) von Shirley Holmes. Warum? Die Diskrepanz zwischen den einzelnen Songs ist mitunter so gravierend, dass man sich beim Anhören fragt, ob die wirklich alle von der gleichen Band stammen können. Dabei geht es gar nicht mal so arg um den Stil, denn da zeigt sich das Trio durchaus variabel, was ja begrüßenswert ist, sondern vielmehr um die Qualität der Tracks. Mal ist es musikalisch und texlich einfach nur geil, sodass man den Volume-Knopf noch über das Limit hinausdrehen möchte und nur wenige Minuten später setzt ein Fremdschämgefühl ein und der Finger sucht sehnsüchtig und verzweifelt nach der Skip-Taste. Wahrscheinlich künstlerische Freiheit oder so, ich weiß es nicht. Wenn ich mich nun aber ausschließlich auf die positiven Aspekte des Albums beschränke, so muss ich gestehen, dass die Berliner(innen) mit ihrer Mixtur aus Punk, Indie und Alternative meinen Nerv durchaus treffen und die weibliche Stimme eine sehr willkommene Abwechslung in dieser männerdominierten Szene darstellt. Und so ganz nebenbei haben Shirley Holmes mit Wieder Sehen schon vor Monaten unfreiwillig eine Corona-Hymne geschrieben, wobei die Bandszenen des Videos just einen Tag vor dem Lockdown gedreht wurden.


Ben Lukas Boysen
(sb) Elektronische Musik ist in der luserlounge ja seit jeher unterrepräsentiert und in der Regel ist das auch gut so, weils uns halt einfach ned kickt. Wir verfahren jedoch auch nach dem Motto "Qualität setzt sich durch" und so kommen wir am neuen Album von Ben Lukas Boysen einfach nicht vorbei. Wer? Nie gehört? Ging mir auch so, aber wenn man sich mal mit der Vita des Künstlers auseinandersetzt, erkennt man doch recht schnell, dass der Künstler alles andere als ein unbeschriebenes Blatt ist. Bereits seit 2003 veröffentlichte Boysen unter dem Pseudonym Hecq Musik, sein erstes Album unter seinem bürgerlichen Namen folgte 2013 und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. 2018 war er zusammen mit dem Komponisten und Cellisten Sebastian Plano gar bein Academy Awards nominiert - es war das erste Mal, dass sich ein Videospiel-Trailer für einen Oscar in der Kategorie „Best Animated Short“ qualifiziert hatte. Und selbst in die Wissenschaft hat Boysens Werk mittlerweile Einzug gehalten, denn anhand seiner Musik werden an der Londoner Goldsmiths University Verbindungen zwischen Klang und Bewusstseinszuständen untersucht.
Mirage (VÖ: 01.05.) ist ein sehr sphärisches und progressives Album, das sich Zeit lässt, das es nicht einsieht, sich treiben zu lassen, sondern stets das Heft in der Hand behält und das Tempo der Umgebung bestimmt. Es ist dabei keineswegs aufdringlich - ganz im Gegenteil: man kann die Scheibe bestens nebenher anhören und sich ganz den Tönen und Stimmungen hingeben. Mein Favorit auf dem Album ist eindeutig der Track Clarion, der mit einer vertrauten Piano-Melodie startet, ehe luserlounge-Liebling Anne Müller mit ihrem Cello einsetzt und der Song langsam Fahrt aufnimmt. Ganz, ganz großartig!


Waving The Guns
(ms) Ja, wie bereits vorhergesagt: Der ganze Festivalsommer ist abgesagt. Das war's dann mit drei, vier Tagen zwischen Dosenbier, Sangriaeimer, stinkenden Dixis, überteuertem Bier auf dem Gelände, verstaubten Äckern, Sonnenbrand gegen Mittag und komplette Abmallung genau danach. Eskapismus müssen wir uns dann anders schaffen, kreativ werden. Und geduldig bleiben. Denn klar ist: Das ganze geht vorüber, vieles ist ja schon absehbar.
Umso besser, dass unsere Lieblingsrapper aus Rostock, Waving The Guns, dieser Tage neue Live-Termine für den Herbst angekündigt haben. Gerade weil derzeit das Herz so blutet, da nix mehr geht auf und vor den Bühnen sind das herausragende Nachrichten. Sechs Mal durfte ich mich von extremen Qualitäten an den Turntables und am Mikrophon überzeugen. Sechs Mal wurden sie so dermaßen übererfüllt, kaum zu glauben. Lines ballern, austeilen, Quatsch reden... Es hätte so ein schöner Abend werden können... Ja, das prescht im Oktober wieder durch die Boxen in diesen Städten:

09.10. - Bielefeld, Nr Z.P.
10.10. - Köln, Gebäude 9
16.10. - Bremen, Schlachthof
17.10. - Dresden, Tante Ju
29.10. - Tier, Mergener Hof
30.10. - Saarbrücken, Kleiner Klub
31.10. - Marburg, KFZ



Jónsi
(ms) Es gibt unterschiedliche Ebenen von guten Nachrichten aus dem Musikkosmos. Da sind Ankündigungen von unbekannten Bands, die neugierig machen und dann überzeugen. Das sind immer schöne Momente, neu Angeworbenes auch gut zu finden. Dann kommen Ankündigungen bekannter Bands, die stabil abliefern und das Herz erwärmen, da man jahrelang dran hängt. Und dann kommt Jónsi. Er ist nicht nur ein Ausnahme-Solokünstler sondern auch der Sänger und Kopf von Sigur Rós. Und wer diesen Blog etwas länger verfolgt, weiß, dass diese isländische Band für mich das Non-Plus-Ultra ist. Für mich schafft es keine andere Band einen derartig betörenden, packenden, hoch emotionalen, eindringlichen, puren, wilden, anrührenden Sound zu kreieren. Ist es enorme Dynamik und Energie. Jedes Mal aufs neue erstaunlich. Nun hat Jónsi den ersten Solo-Track seit zehn Jahren veröffentlicht. Direkt mit Video dabei. Exhale ist prinzipiell ruhig. Und anders als mit Band singt er auf Englisch. Man muss den Text nicht verstehen - doch wenn man es tut, tun sich Welten auf. Er wandelt klangtechnisch auf den experimentellen Sigur Rós-Pfaden der Liminal-Reihe. Wie das Lied dann Fahrt aufnimmt, so kann es nur Jónsi. Ja, ich vergöttere ihn für sein musikalisches Können, das gebe ich unumwunden zu.
Der Track ist eine Kooperation mit dem Elektronik-Künstler A. G. Cook, was eindeutig zum Ende hin zu hören ist. Und doch so harmonisch. Damit hat er sich zum eigenen Geburtstag am Donnerstag beschenkt. Wie schön! Ob darauf ein Album folgt... wer weiß?! Ob es nochmal neues Material von Sigur Rós gibt... wer weiß?! Dieses Lied ist zum Glück mehr als ein Trostpflaster.

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