Sonntag, 17. März 2024

KW 11, 2024: Die luserlounge selektiert

Quelle: de.wikipedia.org
(Sb/ms) Runter in den Keller. In die Hand. Raus nach draußen. Aufbauen. Draufsetzen. Losfahren. Ankommen. Hochtragen. Zusammen bauen. Reintragen. Ankommen. Aufbauen. Draufsetzen. Losfahren. Ankommen. Zusammen bauen. Und das gleiche später wieder auf dem Rückweg. Über viele Jahre war mein Klapprad mir ein wirklich treuer Begleiter und bis auf eine kleine Platten-Schlauch-Eskapade war es immer mit vollem Einsatz dabei. Nun, wo die Strecke mit dem Zug zur Arbeit wegfällt, steht es so da und wird nicht mehr gebraucht. Armes orangenes Ding. Doch M. aus B. hat sich gemeldet und es passt genau zu seinen Anforderungen der Suche. Also ist Klappi, so sein liebevoller Spitzname, momentan auf der Reise im Karton nach B., um dort weiter die Welt zu erkunden. Vielen Dank für alles, liebes Klapprad. Gute Reise, M.!

Noga Erez
(Ms) Vielleicht ist sie die coolste Frau im Popbusiness. Locker kann sie Billie und Taylor in den Schatten stellen. Wer Noga Erez einmal live gesehen hat, weiß wovon ich schreibe. Vorletztes Jahr hatte ich das große Glück, die Künstlerin beim Appletree zu sehen und war enorm begeistert von ihrem Auftritt. Das war eine wilde Party mit beeindruckend sattem Bass und einem - im besten Sinne - ziemlich abgeklärten Auftritt! Ihr Album Kids sei jedem ans Herz gelegt! Nun hat sie einen neuen Track am Start und er hat sicher zwei Deutungsebenen. Come Back Home heißt das Stück, kommt in ihrem typischen Sound daher, jedoch mit einer leicht melancholischen Note. Ich denke, dass ihre israelische Herkunft dabei ins Gewicht fällt, wenn sie davon singt: They Stopped The Fire / I Read The News. Dann ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass es dabei um die Geiseln der Hamas geht, die endlich wieder heim sollen. Dass die Entführer sich von einem Song nicht weichspülen lassen, ist klar. Wichtig ist aber, dass Noga Erez ihre Reichweite nutzt, um darauf aufmerksam zu machen, dass seit so vielen Wochen und Monaten immer noch Menschen gefangen halten werden. Kommt Heim!

 
Lysistrata
(sb) Musik ist bekanntermaßen Geschmacks- und vor allem Gefühlssache. Lysistrata veröffentlichten 2019 ihr Album Breathe In/Out und haben seitdem bei mir einen dicken Stein im Brett. Was für eine geile Scheibe. Anfang März folgte nun der nächste Streich der Franzosen: Veil! Und nun kommen wir zurück zum Thema "Gefühlssache", weil ich meine Empfindungen anders nicht erklären kann. Denn obwohl Veil vielfältiger, eingängiger, musikalisch und - so weit ich das verstehen kann - auch textlich eine Weiterentwicklung im Vergleich zum Vorgänger darstellt war die Halbwertszeit in meiner Stereoanlage kürzer. Lags an der zeitgleich releasten starken Konkurrenz? An der eigenen Lebenssituation? Oder einfach nur an den Gefühlen? Wie dem auch sei: Lysistrata haben wieder geliefert und dürften auch live wieder ein Spektakel bieten:

08.10. Köln, Gebäude 9
09.10. Hannover, Bei Chez Heinz
10.10. Hamburg, Hafenklang
11.10. Berlin, Cassiopeia
12.10. Leipzig, Naumans Tanzlokal
13.10. München, Rote Sonne
14.10. Schorndorf, Club Manufaktur 


Illegale Farben
(sb) Gut Ding will Weile haben - und genau deswegen kommt die Rezension zu Monte Fiasko erst jetzt, obwohl das Album bereits Mitte Februar veröffentlicht wurde. Ich hatte mir die Scheibe schon vor dem Release zu Gemüte geführt, war positiv überrascht, doch die Zeit fehlte, um was draus zu machen. Und danach hatte ich sie - so ehrlich muss ich sein - schon fast wieder vergessen. Ist halt so, wenn Familie, Job und andere Faktoren so viel Raum einnehmen. Diese Woche stieß ich jedoch wieder auf die CD, also rein in den Player und geil. Joy Division meets Love A. Ich finde es wirlich grandios und ärgere mich kolossal, dass Illegale Farben auf ihrer Tour nicht mal ansatzweise in meine Richtung (Bodensee) kommen.
 
15.03.24 Karlsruhe, Alte Hackerei (mit Joseph Boys)
12.04.24 Erfurt, Museumskeller (mit SAFI)
13.04.24 Düsseldorf, AK47 (mit Joseph Boys & Kontrolle)
09.05.24 Dortmund, Subrosa
10.05.24 Berlin, Cassiopeia
11.05.24 Hannover, Faust
 
 
KMPFSPRT
(sb) Als ich vor zig Jahren in einem Sampler auf Atheist stieß, war es Liebe auf den ersten Klick. Was für eine Wucht, was für Lyrics. Seitdem habe ich KMPFSPRT auf dem Schirm und wurde selten enttäuscht - auch von Aus gegebenem Anlass nicht! Textlich war die Band nie besser, die Melodien sind mitunter geradezu unverschämt eingängig und trotzdem zündet das neue Album noch nicht ganz. Ich kann es noch nicht mal richtig beziffern, woran es liegt, vielleicht klingt es mir einfach zu clean, zu glatt produziert. Phasenweise zu poppig und zu wenig rotzig. Ich weiß es nicht. Vielleicht wirds ja bis zum Release am 05.04. noch... Aber nicht falsch verstehen: Das ist Jammern auf extrem hohem Niveau.
 
12.04.24 Bochum, Trompete
13.04.24 Bremen, Tower
26.04.24 Freiburg, Crash (Amplifest)
10.05.24 Düsseldorf, Pitcher
17.05.24 Jena, Rosenkeller
18.05.24 Berlin, Badehaus
24.05.24 Neunkirchen, Stummsche Reithalle
25.05.24 Stuttgart, JuHa West
31.05.24 Wolfsburg, JH Ost
01.06.24 Hamburg, Logo
07.06.24 Frankfurt, Nachtleben (early show)
08.06.24 München, Backstage
07.-11.08.24 Eschwege, Open Flair
 


Kiesel
(Ms) Auf weniges bin ich stolz, weil ich mit dem Wort zu wenig anfangen kann. Aber auf eines zweifelsohne: Es gibt einen Freundeskreis, der seit der 5. Klasse besteht. Da sind Menschen, die ich seit 23, 24 Jahren kenne. Sie sind immer noch meine Freunde. Was alles mal Thema war: Freundinnen, Hausaufgaben, Studienorte, Biersorte, Verhältnis zur Familie, Bachelorarbeit, Masterarbeit, Umzüge, Hochzeiten und letztens ging es halt ums Vertikutieren des Rasens. Was waren wir orientierungslos, herrje! Ich bin froh, dass sich das geändert hat. Wenn Kiesel aber singt, wie Richtungslos sie ist, dann kann ich es zu 100% nachfühlen, da ich so oft an dem Punkt war. Ja, manchmal ist er noch da, aber viele Weichen haben sich schon gestellt. Die Künstlerin aus dem Ruhrgebiet haut mit dieser Single ihre ersten eigenen Töne raus! Enorm, wie rund und richtig das klingt. Erst dachte ich, dass mir das zu poppig ist, aber da schwebt eine Ebene mit, die ich halt so gut verstehe. Lange habe kein so tolles Lied gehört, das die Wand an Entscheidungen so sehr auf den Punkt bringt. Im besten Sinne eingängig spricht Kiesel hier sicher vielen Menschen aus dem Herzen - das ist Kunst!

Freitag, 8. März 2024

KW 10, 2024: Die luserlounge selektiert

Quelle: svgsilh.com
(Sb/ms) Ey komm, jetzt mal ganz ehrlich. Es ist so leicht derzeit schlimme Geschichten zu erzählen. Ja, sie blieben viel eher haften und machen zurecht große Sorgen. Jedoch gibt es auch so viel Gutes. Und etwas ganz entscheidend Gutes kommt jedes Jahr freihaus zu uns. Ja, es ist der Frühling und erglänzt hier im Norden an diesem Wochenende (und auch schon am letzten) in seiner vollsten Pracht. Ja, es mag etwas billig sein, übers Wetter zu schreiben, aber niemand kann leugnen, dass es jedes Jahr ein großartiges Gefühl ist, von den ersten wärmeren Temperaturen und Sonnenstrahlen gekitzelt zu werden! Also: Bluetoothbox mit nach draußen nehmen und diese frische Musik laut aufdrehen:

Friedberg
(Ms) Wann ist ein Song so richtig gut? Meines Erachtens gibt es da ein paar ganz klare Indizien für. Nummer 1: Unbemerkt wippt der Fuß auf einmal mit. Nummer 2: Unbemerkt wippt der Kopf auf einmal mit. Nummer 3: Unbemerkt stellt man das Lied etwas lauter, weil es wohl irgendwelche Synapsen richtig angeknipst hat. Herzlich willkommen bei der neuen Single von Friedberg. Sie heißt Hello und ist allerfeinster Indiepoprock. Langsam steigert sich das Stück, ohne einen wirklichen Höhepunkt zu haben, aber die Dichte, die über gut dreieinhalb Minuten aufgebaut wird, ist bestechend und geht voll auf! Dafür verantwortlich sind vor allem der vorantreibende Gesang von Frontfrau Anna Friedberg, das nimmermüde Schlagzeug und vor allem die klug eingesetzten Synthies. Zusammen ergibt das einen richtig tollen Track, den ich immer und wieder hören will! Stark! Im August kommt dann das dazu passende Album raus, wir bleiben definitiv dran, weil ganz süchtig geworden!


Matze Rossi
(sb) 12 Tracks, 12 Coverversionen, ganz viel Matze Rossi. Die Stimme ist unverkennbar und der Franke schafft es immer wieder, so viel Herz in seine Songs zu stecken, dass es in der Barn Tapes Collection nicht mal auffällt, dass sie gar nicht aus seiner Feder stammen. Gecovert werden u.a. The Cure, Detah Cab For Cutie, Bruce Springsteen, Donots, Hot Water Music oder Fugazi.
 
Zugegebenermaßen höre ich ihn lieber auf Deutsch und seine eigenen Gedanken vortragen, aber hey, wenn schon Cover, dann so. Das liegt vor allem an der Authentizität des Künstlers, zum anderen aber auch an der exquisiten Auswahl seiner Duettpartner. So teilen sich u.a. Nathan Gray, Tim Vantol, Chuck Ragan und No King. No Crown. das Mikro mit dem Schweinfurter.

Das komplett DIY-produzierte Album ist limitiert (CD: 1000 Stk., Vinyl schwarz: 250 Stk., Vinyl farbig: 250 Stk.), beeilt Euch also mit der Bestellung! Und sollte Matze Rossi mal bei Euch in der Gegend spielen, lasst Euch das keinesfalls entgehen.


Hellseatic Festival
(Ms) Musik verstehen. Gar nicht so leicht. Als ich so 15 oder 16 war wurde mir mal gesagt, dass ich zu jung sei für Die Sterne. Ich glaube, diese Person hatte Recht. Frank Spilkers Musik ist jetzt - Anfang dreißig - oft noch kryptisch für mich. Auch Neoklassik und Krautrock habe ich erst in den letzten Jahren für mich entdeckt. Genauso recht düstere Musik. Insbesondere wenn sie instrumental ist. Das kickt mich seit einiger Zeit ganz schön gut! Durch Zufall bin ich im digitalen Äther auf das Hellseatic Festival gestoßen, das dieses Jahr im September zum dritten Mal in Bremen stattfinden wird. Zwei Tage, die im Zeichen der schweren, düsteren, gewaltigen, aber auch melodiösen Musik stehen werden. Eine bestechende Kombination aus Klang und Atmosphäre und Lautstärke. Hat mich sehr neugierig gemacht, insbesondere, dass die schwedische Band Ef dort spielen wird, die ich schon lange gut finde. Den Rest des bislang bestätigten Line-Ups kenne ich nicht. Aber egal. Es fasziniert mich und ein Festival im und am tollen Schlachthof-Gelände über zwei Tage klingt mehr als verlockend. Ich hab tierisch Bock, mich von diesen Klängen umwerfen zu lassen!


Kapa Tult
(Ms) Das hier ist ein seltenes Fundstück. Insbesondere in der Musik. Tragik und Komik gehen ja immer Hand in Hand. Dann kommt das Lachen und bleibt entweder im Halse stecken oder hinterlässt zumindest einen bitteren Beigeschmack. Literarischer Tipp an dieser Stelle: Alle Bücher von Joachim Meyerhoff! Aber es geht ja um Musik hier. Und da schlagen Kapa Tult wieder zu. Schon ihr Album aus dem letzten Jahr hat mich ganz schön begeistert, weil sie es schaffen, in ihren Liedern Gesellschaft, Ironie und knallharte Realität in das perfekte Mischverhältnis zu bringen. Diese Woche war Equal Pay Day und ich hoffe, wir wissen, wie weit wir davon entfernt sind, bis wir alle gleich sind. Auch in der Kunst wird mies gezahlt. Ist auch klar. Aber darauf muss aufmerksam gemacht werden. Das tut ihre neue Single 1/2 Cappuccino - der Ertrag aus Streaminggeschäften. Bitter, bitter, vollkommen unlustig, hart. Aber dennoch ein guter Track. Und das ist die irre Stärke dieser Band. Also bitte nicht nur streamen, sondern auch kaufen und/oder hingehen:

02.04.24 Münster - Pension Schmidt
03.04.24 Hamburg - Häkken
04.04.24 Rostock - M.A.U. Club
05.04.24 Hannover - Kulturzentrum Faust
06.04.24 Offenbach - Hafen 2
07.04.24 Köln - Jaki
09.04.24 Augsburg - Soho Stage
10.04.24 Nürnberg - MUZclub
11.04.24 Leipzig - Elipamanoke
12.04.24 Bayreuth - Neuneinhalb
11.05.24 München - Lange Nacht der Musik@ GasteigHP8


Wallis Bird & Spark
(Ms) Sie ist witzig. Sie ist klug. Sie ist elektrisierend. Sie ist eine Wucht. Sie ist eine großartige Künstlerin. Und sie hält die Gitarre falsch rum. Klar, es geht um Wallis Bird! Sie kann fröhlich, sie kann laut, sie kann leise, sie kann euphorisch, sie kann melancholisch. Und sie kann auch ganz neue Ufer betreten. Und das tut sie nun mit Spark zusammen. Mit der Band hat Wallis Bird nun ein ziemlich außergewöhnliches Album aufgenommen: Visions Of Venus. Es ist ein Konzeptalbum der Geschichte der Weiblichkeit passend zum Weltfrauentag heute. Es sind neue Stücke und außergewöhnliche Coverversionen entstanden, die am 19. April auf einer Platte erscheinen. Björk trifft Hildegard von Bingen - so ist zu hören! Jedoch soll das Liveprogramm ein großes, emotionales, leises, lautes und vor allem intensives Spektakel werden. Große Empfehlung!

15.05. Allensbach, Bodenseefestival
12.07. Karlsruhe, Zeltfestival
21.07. Kronberg, Rheingau Musik Festival


König Boris
(Ms) Erwartungen und Realität. Nur weil König Boris ein Drittel von Fettes Brot war, heißt das ja noch lange nicht, dass er nun auf Solopfaden ähnlich weiter machen wird. Ganz schräge Erwartungen. Es ist doch viel mehr wesentlich klarer, dass er alleine das machen wird, was nicht zum Sound und der Idee von Fettes Brot passte. Und das tut er jetzt auf seiner Platte Disneyland After Dark, das am 26. April erscheinen wird. Zugegebenermaßen packen mich Kiss Me Kiss Me und Unten An Der Ecke nicht so sehr wie Zuhause Angekommen, aber ich fühle Ersteres schon sehr gut. Die Geschichten, die er jetzt erzählt sind auf jeden Fall recht düster, da ist wenig Party angesagt. Ich hoffe, dass er selbst wenig davon erlebt hat, sondern hier sein Talent als Storyteller zeigt! Bin davon überzeugt, dass diese Soloplatte ein ziemlicher Knaller wird!

Freitag, 1. März 2024

KW 9, 2024: Die luserlounge selektiert

Quelle: svgsilh.com
(Ms/sb) Dies ist nun wirklich keine politische Seite, insbesondere nicht was internationale Angelegenheiten anbelangt. Doch der Tod von Alexei Nawalny hat mich wirklich schockiert! Es ist ja krass genug, dass er vor wenigen Jahren noch mit Gift attackiert wurde. Anschließend kam er ja zur Behandlung nach Deutschland. Dass er dann freiwillig wieder zurück nach Russland ging, zollt mir größten Respekt ab. Denn er wusste zu diesem Zeitpunkt sicher, dass er da nicht lebend raus kommt. Erst die direkte Verhaftung nach der Landung, dann der Prozess, die Verurteilung und die immer mieseren Umstände in den Straflagern. Was für eine grausame Spirale nach unten, bis in den Tod. Hier ist jemand für seine Überzeugungen gestorben. Das russische Regime muss ja solch große Angst vor ihm gehabt haben, dass den Entscheidern nichts anderes einfiel. Furchtbar. Erschütternd. Jetzt sitze ich hier auf dem Sofa und lese, dass der Menschenrechtler Oleg Orlow verurteilt wurde. Ganz ohne ironischen Unterton, sondern mit viel Aufrechtigkeit: Ich wünsche ihm nur das Beste und dass er da wieder raus kommt!

Das Feuilleton
(Ms) Wer sich so nennt, dem muss ja bewusst sein, nein, der hat es geplant, dass man sich über den Namen auslässt. Schön programmatisch. Das Feuilleton. So, so, die Herren Hochkultur also. Das klingt ja schon nach Tocotronic zum Quadrat. Und das wird auch eingehalten.
Nein, nein. Das ist gar nicht so schlimm und verkorkst. Aber schon vertrackt. Und das soll es sicher auch sein. Die Musik des Trios kann man nicht mal eben so nebenbei hören, da braucht es schon ein wenig Konzentration und Ruhe, sodass die verschobenen, leicht schiefen Melodien nicht als störend wahrgenommen werden. Wenn das dann aber alles erklingt, dann eröffnet sich ein Raum voll dunkler Schönheit. Am 15. März erscheint ihr Album Ab Morgen Bin Ich Unpolitisch, was natürlich hervorragend in die aktuelle Zeit passt. Insbesondere die Vorab-Single Seemann ist ein herausforderndes Stück Musik: rhythmisch, melodiös, textlich. Stark, dass es noch solche Musik gibt! Hut ab!


A Burial At Sea
(Ms) Zurücklehnen und genießen. Die Augen dabei unbedingt schließen und sich aufs angenehme Fallenlassen vorbereiten. Laut aufdrehen hilft hier tatsächlich ungemein bei der Entspannung. Versprochen. 42 Minuten kompletter Eskapismus ist mit dem Lauschen von Close To Home, dem neuen Album von A Burial At Sea garantiert! Das hier ist definitiv kein Krach, auch wenn es zunächst einen etwas wilden Eindruck macht. Aber wie die Band Klangflächen mit aufgedrehten Gitarren erzeugt und damit im Kopf cineastische Bilder kreiert, ist gewaltig. Der große Trumpf dieser Musik ist, dass sie gänzlich ohne Gesang auskommt. Genau dieses Fehlen setzt die großen Stärken ihrer Wirkung erst frei - ich bin ganz begeistert! Das ist richtig stark!


Hall Of the Mountain King
(Ms) Es ist mal wieder soweit: Wie lassen uns eine Runde anschreien! Manchmal muss das einfach sein, es tut so gut. Denn in der Kraft der Stimme liegt ja so viel Energie, die auch raus kann, wenn man sie bei anderen hört. Katharsis gewissermaßen. Willkommen bei Hall Of The Mountain King aus Saarbrücken! Wo das Trio genau einzuordnen ist, ist unklar. Und auch ein bisschen unwichtig, wenn es so gut scheppert, oder? Am ehesten würde ich sie mit Fjørt vergleichen. Denn hier wechseln sich die schreienden Parts mit den sehr Melodiösen ab und durchgängig sind die Gitarren schön aufgedreht! In The Meantime ist die erste Single, die einen hervorragenden Einblick auf ihr kommendes Album Revolted gibt, das am 22. März erscheinen wird. Da ist die österliche Besinnlichkeit dann mal schnell passé. Gut so!

 
Marie Curry
(sb) Neonschwarz kennt Ihr, ne? Also hattet Ihr es auch schon mit Marie Curry und ihrer einzigartigen Stimme zu tun. Als die erste Ankündigung eines Soloalbums kam: Schnappatmung! Dann der erste Track daraus: Hm, kann sie besser! Auskopplung Nummer 2: Okay, hatte mehr erwartet.
 
Als Cameo dann endlich als komplettes Album vorlag, war auch das erste Durchhören noch so ein bisschen mit Skepsis belegt. Aber was soll ich sagen? Ich krieg die Scheibe seit knapp zwei Wochen nicht mehr aus meinem CD-Player und hör das Ding rauf und runter. Es sind ein paar absolute Highlights drauf, z.B. der Titeltrack Cameo, Lava oder Orcas, das Feature mit Milli Dance. Vor allem aber funktioniert die Scheibe als Gesamtkunstwerk, die generationenübergreifend wirkt. Nicht umsonst singt mein Sohn seit Tagen "mach nicht kaputt, was Du nicht reparieren kannst"...

Holt Euch das Ding, hört es Euch mehrmals an, gebt ihm Euch hin!



Der Nino aus Wien
(sb) Wer nicht direkt Zugang zu Österreich im Allgemeinen und zu Wien im Speziellen hat, dem wird der Begriff "Wienerlieder" vermutlich nur bedingt etwas sagen. Also zur Erklärung vorweg: Darum handelt es sich um eine typisch wienerische Liedkunst, die der Musiker den lustigen Gesellschaften in den Heurigenlokalen in und um Wien darbot. Heuriger? Googelt es einfach, das würde jetzt zu weit führen...
 
Lange Rede, kurzer Sinn: Der Nino aus Wien hat sein Album Endlich Wienerlieder seinem Großvater Rudolf Mandl gewidmet, der einst diesem Genre frönte und sich damit einen Namen machte. Stilistisch haben die Songs nicht immer etwas mit den typischen Wienerliedern zu tun, inhaltlich aber sehr wohl. Welch wunderbare Hommage an die Donaumetropole mit all ihren Schwächen und Stärken, Schön- und Häßlichkeiten, ihrem Stolz, ihrer Eitelkeit und dem ganz normalen Wahnsinn. Es wird nicht mein Lieblingsalbum vom Nino, aber es ist schon wieder verdammt stark.


Mittwoch, 28. Februar 2024

Everything Everything - Mointainhead

(Ms) Musik eine zweite Chance geben. Auf der Suche sein nach dem hoffentlich (!) genialen Kern, der beim ersten Mal nicht ersichtlich ist. Und auch die mögliche Sorge, enttäuscht zu werden, ad acta legen zu wollen.
Normalerweise geht es mir grundlegend anders beim Musikhören. Ein Stück muss mich schon direkt packen, damit ein Feuer entfacht wird. Oder die Gruppe muss mir nah genug am Herzen liegen, sodass ich gern die Zeit hergebe, um auch für eher Mittelmäßiges Worte zu finden.
Genau in diesem Spannungsraum, genau dazwischen liegen für mich Everything Everything. Ihre Musik mag ich richtig doll, finde es ganz schön genial, was die Briten seit Jahren machen. Insbesondere ihr Album A Fever Dream hat bei mir für großes Staunen gesorgt. Wie sie Energien, Dynamiken, Tempo, jede Menge Können, Dringlichkeit aufbauen, anhalten und zum explodieren bringen können. Das ist in meinen Augen schon die Königsklasse an Indierock. Und das noch so herrlich elektronisch verspielt. Aber sie laufen halt eher unregelmäßig bei mir. Als ich zum ersten Mal ihre neue Platte Mountainhead hörte, spürte ich nur wenig von dieser (erhofften) Begeisterung. 
Was tun?! Nun gut, ich wollte die Platte irgendwie gut finden und hab sie dann so lange gehört, bis die Überzeugung tatsächlich eintrat. Das klingt sehr gewollt und überbemüht, aber hat geklappt. Zum Glück!

14 Stücke sind auf Mountainhead, 55 Minuten Spielzeit! Und dazu reichlich Sozialphilosophie. Denn der Mountainhead ist eine Idee von Gesellschaft, dass diese aus einem großen Berg bestünde. Der Gedanke: Der Berg muss immer wachsen, dafür muss er tiefer in den Grund gebohrt werden. Er muss wachsen - komme was wolle! Genährt wird der Glaube durch eine Angst aus der Tiefe, eine Schlange treibt dort ihr Unwesen. Die, die oben sind, bleiben oben, der Rest ackert aus Überzeugung und in das eigene Schicksal hinein.
Tatsächlich ist mir die Tiefe der Texte und die Implementierung dieses Gedankens in die Musik und die einzelnen Songs ein wenig egal, da mich die Musik als solche viel mehr fasziniert. Getragen wird die ganze Platte natürlich von dem markanten Gesang Johnathan Higgs`, der nicht nur Tempo kann sondern auch Tonumfang. Wild Guess ist der erste Track. Und verhältnismäßig unaufgeregt. Das sei vorweg gesagt: Das Album besticht durch viel Schönheit in den kleinen Melodien, anstatt immer wieder überbordend zu sein. End Of The Contender besticht durch viel Groove und den Eindruck, dass die elektronischen Melodien sehr organisch klingen. Es wird nicht laut, wild, markant. Aber genau das packt mich, eine sehr dezente Spielweise, die viel Schönheit in sich trägt. Cold Reactor war die erste Single und schon Ende vergangenen Jahres zu hören. Eine typische Everything Everything-Nummer in meinen Ohren. Higgs Gesang vor allem hier, wie er hoch und runter geht, wie schnell er singt und doch ruhig dabei bliebt. Das tolle Ah-Ah im Hintergrund, der treibende Bass, da wippt der Kopf ganz automatisch mit, geht nicht anders. Auch wenn ich Buddy, Come Over höre, finde ich darin kein klares Anzeichen für einen richtig starken Track, aber mein Körper will sich dazu ganz von selbst bewegen. Das zeigt für mich, dass der Zauber der Musik hier gehörig am Werk ist und ich gebe mich dem gern hin ohne zu wissen, woran es liegen mag. The Mad Stone überzeugt auch nicht über die 3:45 Minuten, aber halt immer wieder zwischendurch: beim irre schnellen Gesang, in geschickter Instrumentierung, in einer schönen und vor allem stoischen Art. Die Platte weist immer wieder einige Gegensätzlichkeiten auf. In Canary sind sie sogar auf einem Track: sanft und doller, reduziert und viel, energisch und zurückhaltend. Zusätzlich steigert sich das Lied von Takt zu Takt, ohne jedoch dabei krass auszubrechen. Apropos Gegensätze: Don‘t Ask Me To Beg ist sowohl melancholisch als auch tanzbar. Immer wieder schallt hindurch, dass die Briten ihre Kunst studiert haben. Selbstredend gehört viel Gespür dafür, wann es Lied knallt, aber das Know-How für musikalische Funktionsweisen machen sie sich schon zu eigen.
Im letzten Dritten fragte ich mich lange Zeit, ob das alles nur noch Filler sind. Aber kam zu folgender Erkenntnis: Dieses Album funktioniert ganz anders als vorherige Platten. Die Schönheit liegt ganz eindeutig in den kleinen, feinen Melodien anstatt im großen soundtechnischen Brimborium. Das Xylophon und der chorische Gesang auf Your Money, My Summer zum Beispiel. Die zweite Hälfte von Dagger‘s Egde ist so fein und klug ausbalanciert, dass sie mir immer wieder einen Ohrwurm verpasst. Voller Schönheit entwickelt sich dieses Lied und bleibt haften! 

Ja, vielleicht wäre es im Endeffekt sinniger (und professioneller), wenn ich mich den Texten gewidmet hätte. Dann wäre in den leisen Melodien sicher noch viel mehr zu holen. Für mich bleibt ein sehr ausgewogenes Album übrig, das immer wieder glänzt und deren anfängliche Längen sich nur getarnt haben, bis ihre Schönheit zum Vorschein kommt.


Sonntag, 25. Februar 2024

KW 8, 2024: Die luserlounge selektiert

Quelle: svgsilh.com
(Ms/sb) Jetzt mal ganz ehrlich. Es muss mal wieder ein bisschen Hass raus. Es könnte mich völlig kalt lassen, aber ich habe Bock, mich richtig reinzusteigern! Instagram-Accounts für Haustiere?! Was ist denn los? Über das Tier lässt sich natürlich nicht aufregen, denn das arme, flauschige, süße Ding kann ja gar nichts dafür. Aber es ist bestimmt auch schon voll auf Kamera getrimmt. Dann gibt es ja die Menschen, die genau diese in der Hand haben und eine nicht geringe Zeitspanne ihres Tages damit verbringen, sie auf ihr Tier zu halten. Filter drauf, hochgeladen, Likes kassiert. Diese Tiere werden ja total vermenschlicht. Richtig viele Leute gucken sich das an, Follower-Zahlen stehen ja direkt daneben. Reichen der Trigema-Affe, Leslie, Kommissar Rex, die Katzenfutterkatzen und die Katze von Karl Lagerfeld nicht aus?! Geh mir weg mit deinem doofen Haustier. Aber wenn man das sagt, wird man richtig angegriffen. Denn Haustiere doof finden, geht gar nicht. Fleisch essen ist okay, auch das billige Zeug, wo die Tiere richtig gelitten haben. Aber Haustiere doof finden, geht nicht. Okay. Aufregung beendet. Es geht wieder um Musik:

Kettcar
(Ms) Die Erwartungen beim Neujahrskonzert von Kettcar waren ein wenig höher. Mehr als ein neues Lied hätte ich gerne schon gehört, aber nur Geduld - sie kommen ja. Ein neues Lied haben sie im Knust gespielt, und so richtig verstanden habe ich den Text nicht bis auf vereinzelte Zeilen im Refrain: „Paketzusteller of the world unite. Unite and take over.“ Da dachte ich schon Anfang Januar, was das denn für ein seltsames Cover ist. War es nicht - das Lied heißt Doug & Florence und ist ihre aktuelle Single. Und ich hadere ganz stark damit. Das Thema ist klar: Empowerment der unteren, abgehängten Einkommen, um die Macht hier zu übernehmen. Ein wirklich schöner Gedanke. Einzelne Zeilen sprechen mich auch total an wie: „ Und dann gib mir nur kurz ein Zeichen / Dass wir beide mehr drauf haben / Als Streit, Zerfleischung, Schuldzuweisung.“ Aber was soll der Refrain und wieso auf Englisch? Und wieso plätschert das Lied so vor sich her und was soll das Video außer seltsame Nostalgie?! Ich bin wirklich ein riesiger Kettcar-Fan, aber es schleichen sich Zweifel ein, dass Gute Laune Ungerecht Verteilt vielleicht gar nicht so gut wird oder zumindest mich nicht so abholen wird. Bis zum 5. April ist noch ein wenig Zeit und es sind ja auch mehr Tracks auf der Platte vorhanden, come on boys! 


Theodor Shitstorm
(Ms) Vor Jahren sah ich sie auf einem Bauwagen in Münster und es waren ein paar Dutzend Menschen zum Zuhören da. Toller Auftritt, aber warum sind sie nicht bekannter?! Darauf geben Theodor Shitstorm selbst die Antwort mit dem Song So Kommen Wir Nicht Ins Radio. Okay, klingt ein wenig sperrig, aber knallt richtig gut. Humor in Musik finde ich seit jeher ein spannendes Feld, da es so selten gut gelingt. Hier ist mal wieder ein Gegenbeweis zu hören - großartig! Die Gruppe um Dietrich Brüggemann und Desiree Klaeukens spielt ganz feinen Indiepop, deren Erkennungszeichen eine zartes Ausbalancieren zwischen sanftem Schmunzeln und gefühlvollen Zeilen ist. Seit letzter Woche ist ihr neues Album Zeigt Gefühle draußen und es hält was es verspricht - richtig schön einfach! Ein Glück, dass sie bald auf Tour gehen und niemand geringeres als Dino Paris & Der Chor Der Finsternis ist als Support dabei. Also hin da und mindestens eine Platte kaufen!

04.04.24 - Magdeburg, Moritzhof
05.04.24 - Westerstede, Güterschuppen
06.04.24 - Hamburg, SkyBar
08.04.24 - Berlin, Privatclub
09.04.24 - Dresden, Ostpol
10.04.24 - Leipzig, Felsenkeller
11.04.24 - München, Heppel & Ettlich


Christin Nichols
(Ms) Dark Wave, New Wave, 80er-Sound. Das ist der Shit momentan. Und ich fahre voll drauf ab. Insbesondere wenn sich ein satter Bass durch ein ganzes Lied zieht, dann bin ich dabei. Man muss dabei nicht so hart nostalgisch sein wie Klez.e, es geht auch viel origineller. Bei Christin Nichols zum Beispiel. Tatsächlich kannte ich die Musikerin bisher gar nicht, aber sie ist bald als Support von Olli Schulz und Kettcar (s.o.) auf Tour und auf ihrer aktuellen Single Rette Sich, Wer Kann! ist Fatoni mit dabei! Ja, hier trifft New Wave (oder so) auf Rap. Was für eine extrem gelungene Kombination! Worum gehts? Ganz einfach: viele Konflikte derzeit, kaum Kompromisse, wenig Empathie, keine Lösung. Tja, dämliche Sackgasse. Das ist das Ding, das ist das Problem, das ist der Song dazu. Richtig gut. Und am 22.März kommt ihr gleichnamiges Album dazu raus. Hui, das könnte richtig, richtig gut werden!


Bernd Begemann
(Ms) Melancholie! Du wunderbares Zauberwesen! Schön, dass du da bist. In Phasen der großen Orientierungslosigkeit bist du der große Star am Himmel und gibst mir recht. Was war das melancholisch am Ende der Schulzeit und in so vielen Phasen des Studiums. Diese wunderbare Traurigkeit, in der ich mich gesuhlt habe und ich mir eingeredet habe, dass das alles schon richtig und gut und auf seltsame Weise schön ist. Bis zu dem Punkt, wo das Gegenteil anklopft und viele Argumente dabei hat. Wenn man sich den eigenen (miesen) Zustand so lange einredet bis man davon überzeugt ist. Aber der Kipppunkt muss kommen und dann kommt dieses Lied. Kann Kein Allein Mehr. Peng! Eine wunderbare, wunderschöne melancholische Ballade von Bernd Begemann, die ich ihm - ehrlich gesagt - so gar nicht zugetraut hätte. Das packt direkt ab der ersten Sekunde. Habe mir auch lange gesagt, dass alleine leben toll ist, aber anders ist viel superer. Einfach gute Musik - vielen Dank! Davon kommt am 19. April noch viel mehr, denn dann erscheint sein neues Album Milieu

Freitag, 23. Februar 2024

Klez.e - Erregung

Foto: Andreas Hornoff
(Ms) An anderen Stellen wird sicher ein richtig guter und vor allem kenntnisreicher Vergleich zwischen Klez.e und The Cure gezogen, der auf jeden Fall sinnig ist, weil die Parallelen so offensichtlich und auch gewollt sind. Da ich mich mit The Cure aber wirklich gar nicht auskenne - und aus Faulheitsgründen mich nun nicht einlesen und -hören möchte - spielt dieser Punkt in diesem Text keine Rolle. Oder fast keine, denn der Sound von Robert Smith und Co. ist mir schon bekannt, aber tatsächlich auch nur ein paar bekannte Singles.
Dieser Text stellt den Versuch dar, sich mit dem neuen Album Erregung von Klez.e völlig isoliert zu beschäftigen, da ich es genauso kennengelernt habe. Und die Platte mich genau so in den Bann zog und darin auf zauberhafte Weise festhält!

Derzeit erscheint vermehrt Post-Rock oder New oder Dark Wave auf Deutsch. Ich finde, dass das eine ganz spannende Entwicklung ist. Vieles davon spricht mich gar nicht an. Aber wenn darin viel Dichte und viel Drang verpackt ist, bin ich sofort am Start. Das aktuelle Voodoo Beach-Album zum Beispiel hat mich richtig begeistert.
Die Band Klez.e habe ich bisher nur optisch wahrgenommen, mit diesem Punkt im Wort - das finde ich gut! Tobias Siebert hingegen ist mir eher ein Begriff. Länger schon. Nicht nur als Produzent unter anderem von Marcus Wiebusch und Enno Bunger lief er mir über den Weg, sondern hauptsächlich mit seinem großartigen Solo-Projekt And The Golden Choir. Wie auf Erregung taucht da ab und an das Cembalo auf - was für ein phantastischer Sound! Vor Jahren sah ich ihn mal als Vorprogramm von Anna von Hausswolff, was für eine irre Kombination der Dunkelheit! Ja, das Düstere und Verborgene ist Programm. Musikalisch und Textlich.

Genau das ist wohl der wichtigste Punkt dieser Platte - der Text. Denn die Musik gibt es ehrlicherweise gesagt auch wo anders zu hören (s.o.). Sie ist gut und auch packend, aber sticht halt nicht so sehr heraus. Das tun hingegen an so, so vielen Stellen die Verse, die Tobias Siebert hier verfasst hat. Mich persönlich begeistert dabei die schöne Verwobenheit von Persönlichem und Gesellschaftspolitischem, denn diese beiden Bereiche hängen ja massiv miteinander zusammen und leuchten oft ganz deutlich hier heraus. In den Zeilen steckt ganz viel lyrische Finesse, wie ich sie auf Deutsch selten erlebt habe. Es ist kein klassisches Storytelling und auch die Liebeslieder überzeugen durch ihren überbordenden Kitsch, anstatt direkt das Herz mit einer Geschichte zu berühren.

Erregung also. Mit dem gleichnamigen Titel beginnt dieses Werk. Und der Start hat es in sich. Das stärkste, tiefste, kräftigste Lied direkt am Anfang. Heikle Taktik. Aber sie geht auf. Ausgedruckt streckt sich der Text über eine DIN A4-Seite, nur vereinzelte Reime sind darin zu finden. Tobias Siebert singt, erzählt hier eine ganz starke Coming Of Age-Geschichte. Der Track ist ein Kampf übers Nichtdazugehören und eine Befreiung aus diesen Fesseln. Es ist düster, erschreckend, lyrisch ganz große Klasse, weil es dicht, konkret und unmissverständlich ist. Nicht nur die Zeilen strotzen vor überstandener Angst, auch Sieberts Stimme durchdringt ein Überstandenhaben in der Retrospektive. Sieben Minuten sind das, sieben enorm starke Minuten, die insbesondere im Songwriting ihresgleichen suchen!
Generell: Es sind nur acht Lieder auf dieser Platte enthalten. Doch genau das ist richtig. Wenn es auch zig mehr Demos und Ideen gab, so ist hier das Beste, das Rundeste drauf zu finden! Ja, aufbauend ist das bislang nicht, mit Verpassen geht es ebenso niederschmetternd weiter. Ein Lied über den Versuch einer Liebe mit der erschütternden Einsicht, dass selbst alle guten Versuche, dieses Puzzle zusammen zu setzen, vergebens waren und die suchenden Hände leider kein Äquivalent finden.
Und dann kommt es, das Cembalo! Auf Herbstherz ein ganz wichtiges Element, das die Musik ungemein bereichert. Denn - wie gesagt - genial ist das bislang musikalisch nicht, die Klänge untermauern die Themen, aber sie ist eben auch woanders zu hören. Einzelne Zeilen finde ich ganz faszinierend auf diesem Lied: „Und wir hatten Sex nach dem dritten GaGong, mit LED-Kerzen über uns, im goldenen Wandhalter.“ Doch verstehen tue ich kein Wort. Ich glaube, ich bin zu blöd für dieses Lied, mag aber den Sound sehr! Wie oft Siebert am Ende auf Mr Dead & Mrs Free „Ich will nur dich“ singt, perlt der Kitsch aus den Kopfhörern, aber es ist so wunderschön, so eine tolle Ballade im weitesten Sinne, die von einem herrlich treibenden Bass dominiert wird. Das ist so catchy, ich bin Fan!
Richtig packend ist der Text von Wie Schön Du Bist. Es ist der reine Rausch, die pure Begierde und die Sehnsüchte beim Spüren des Anderen mit der zwischenzeitlichen Frage „Kann ich das so sagen?“. Egal, wenn die Frage aufploppt und dringend ist, dann soll sie raus. Es ist kein rosarotes Liebeslied, aber ein Manifest auf ein kompromissloses Verlangen.

Ja, die Zeilen auf diesem Werk - diese Bezeichnung verdienen die acht Stücke alle Male - sind eine Herausforderung. Weil sie so fein, so lyrisch, so persönlich sind. Sicher hat Tobias Siebert hier auch eigene Erlebnisse verarbeitet. Einige Stücke erklingen wie der stream of consciousness, ungefilterte Erregungen, Ideen, Empfindungen. So klar wie einige Lieder sind, so schwer zu packen sind die anderen. Doch genau das finde ich sehr reizvoll. Da ich keine Lust dazu habe, mir darüber den Kopf zu zermartern, sehe ich viele Verse als lyrischen Selbstwert an, die Schönheit der Sprache, der Worte. So is Erregung ein ganz schönes Spektakel. Insgesamt ganz schön düster. Ganz schön gut!

14.03.24 Köln, Club Subway
15.03.24 Göttingen, Exil
17.03.24 Frankfurt, Ponyhof
19.03.24 Berlin, Berghain Kantine
20.03.24 Dresden, Ostpol
21.03.24 Nürnberg, Club Stereo
22.03.24 Ulm, Gold
23.03.24 München, Milla
26.03.24 Jena, Trafo
27.03.24 Hamburg, Hafenklang
28.03.24 Bremen, Lila Eule


Samstag, 17. Februar 2024

Live in Bremen: My Ugly Clementine

Foto: luserlounge
(Ms) Noch nie gab es so ein starkes Trostpflaster. Denn mein Besuch vom My Ugly Clementine-Gig in Bremen war gar nicht so lang geplant. Zum Glück gab es am Donnerstag noch Tickets, die wurden schon knapp. Eigentlich wäre ich in Kiel am Wochenende, um Pascow zu sehen, doch das fiel leider gesundheitsbedingt aus. Aber ohne Livemusik geht es nicht und der Auftritt der Wienerinnen stand auch schon mit Bleistift im Kalender, da ich vom aktuellen Album The Good Live so unsagbar angetan war/bin. Während ich mich nun auf den Nachholtermin von Pascow freue, bin ich immer noch komplett hin und weg vom Konzert gestern Abend!

Von der Ticketknappheit war um halb acht im Lagerhaus noch nichts zu spüren, nur eine halbe Stunde später wurde es muggeliger, noch ein wenig später war der Laden richtig gut gefüllt. Über 300 Leute ließen sich (hoffentlich) mitreißen! Und das ging schon um acht Uhr los, als Blush Always die Bühne betrat. Früher habe ich immer in alles reingehört, was mich an so einem Abend erwarten könnte, heute lasse ich mich viel lieber überraschen. Das ging komplett auf! Katja Seiffert ist der Kopf von Blush Always und kam allein in Begleitung ihrer beiden technischen Supports auf die Bühne - einem Fernseher und ihrem Handy. Aus letzterem erklangen LoFi-Playbacks der Band, die sonst dabei ist. Dazu sang sie und spielte Gitarre. Was vielleicht erstmal etwas unspektakulär klingen mag, entwickelte sich zu einem satten Rock-Set für über eine halbe Stunde. Sie sang wunderschöne, kraftvolle, persönliche Lieder übers Zuhausesein, seltsame Romanzen und den Zauber des Zwischenmenschlichen. Das hat mich ab dem ersten Ton ziemlich mitgerissen und die Wahlleipzigerin, die Bremen mit London verglich, hat sicher nicht nur mich als neuen Fan abgeholt an diesem Abend! Das war einfach richtig stark!

Und es ging ziemlich satt, rockig weiter. Schon ihr aktuelles Album The Good Life fand ich auf berauschende Weise gitarrenlastig. Dass das live nochmal intensiver wird, habe ich mir zwar insgeheim erhofft, war aber umso glücklicher, dass es noch darüber hinaus ging! Sophie Lindinger, Mira Lu Kovacs und Nastasja Ronck bekamen von Nina Unterstützung am Schlagzeug und komplett waren die Voraussetzungen für einen sehr tanzbaren Abend! Ein Abend in Schwarzlicht und Neon-Spielereien, mit denen sich die vier schmückten und es sah wirklich super gut aus, insbesondere die neongrünen Fingernägel von Mira Lu Kovacs! Muss man einfach mal sagen.
Dann wurde in eineinhalb Stunden ein Paradebeispiel für Indierock abgefeuert! Es bleibt einfach festzuhalten, dass wenn drei schon solo musizierende Künstlerinnen sich zusammen tun, ganz viel Know-How fusioniert, wie ein guter Song aufgebaut wird. Einer nach dem anderen unsagbar catchy! Und die drei Damen so so so sympathisch, drauf bedacht, dass es allen gut geht, ein paar Touri-Facts über Bremen in der Tasche und einem irre guten Set ihrer Tracks im Gepäck! Ich finde es spannend zu sehen, wie sich die drei am Gesang abwechseln und ergänzen, das ist auf Platte ja oft gar nicht so gut zu hören. Es war schlicht elektrisierend, wie viel Spaß Playground, Feet Up, No, Who, Never Be Yours, Circles, Are You In oder The Adviser gemacht haben! Allesamt fantastische Zutaten für einen berauschenden, kurzweiligen und schlicht großartigen Konzertabend! Das hat enorm viel Spaß gemacht und ich freue mich direkt auf die nächste Möglichkeit, sie live zu sehen. Dann nicht als Trostpflaster, versprochen!