Freitag, 21. November 2025

KW 47, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: flaticon.com / riajulislam
(Ms) Logisch, Konzerte sind das allerschönste auf der Welt. Sich dort verlieren, in Klang und Sphären abdriften, Katharsis, Verbundenheit und Liebe. Ausrasten, Party, Rausch. Nicht unwichtig ist jedoch der richtige Rahmen dafür. Ich habe den Eindruck, dass bestuhlte Konzerte für gewisse KünstlerInnen und Bands immer mal wieder auftauchen. Mehr als noch vor ein paar Jahren. Klassische Konzerthäuser und so. Klar, tolles Ambiente. Aber. Es kann auch echt richtig träge werden. Man sitzt dann da so rum, oft darf man in die Räume keine Getränke reinbringen. Und es ist kaum möglich, auszurasten. Schunkeln - heiheihei… Wenn nun für das kommende, bereits richtig tolle Konzertjahr Spielstätten angezeigt werden, die bestuhlt sind - ich werde nicht hingehen. Das ist mir zu lahm. Oft ist es dort auch viel teurer. Ich will stehen, mich bewegen können, den Körper durchdringen lassen vom Klang, vom Beat, von den Emotionen.

Momcore
(Ms) Ich bin großer Freund unseres gesellschaftlichen Fortschritts. Trotz (oder genau wegen) aller Kräfte, die viel daran setzen, diese aufzuhalten und in ein idealisiertes Gestern zu verschieben. Welche Band hat es sich denn schon mal zur Aufgabe gemacht, Musik explizit aus Sicht von Müttern zu machen ohne nach Bastelspaß zu klingen?! Eben. Jetzt ist sie da. Sie nennen sich Momcore und machen extrem tanzbare und zugleich super raffinierte Popmusik. Johanna Amelie und Stephany von Wolf & Moon stecken dahinter, die die Zeit ihrer Elternschaft als kreativen Prozess aufgegriffen haben und daraus Musik erschufen. Stark! Oxitocyn heißt ihre erste Single, die richtig viel Spaß macht! Kommendes Jahr erscheint ihre erste Platte und im Dezember spielen sie ein paar Support-Gigs für Die Höchste Eisenbahn:

04.12.2025 – Faust, Hannover
05.12.2025 – Sputnikhalle, Münster
19.12.2025 – Huxleys Neue Welt, Berlin


Grim104
(Ms) Die Geschichte ist natürlich grandios: Grim104 bekam vor zwanzig Jahren Hausverbot beim Zeteler Markt. Zetel liegt im Nirgendwo zwischen Oldenburg und der Nordsee. Der Zeteler Markt scheint aber ein wahres Saufhighlight zu sein. Nun kam er zurück, um im Festzelt ausgebuht zu werden. Veni, vidi, vici. Nie So Cool heißt seine neuste Single, die er auf dem Volksfest zum Besten gab und die für alle anderen nun auch zu hören ist. Grim104 keift wie eh und je und zieht eine klare Grenze zwischen Ihr und Ich. Gänsehaut. Damit einher geht die Ankündigung eines neuen Albums. No Country For Old Grim wird die neue Platte heißen, die im nächsten Jahr erscheint und mit der er dann auf Tour geht. Ich sah ihn im Sommer beim Watt En Schlick, ein Steinwurf entfernt von Zetel, und möchte sagen: Geht da unbedingt hin. Es wird äußerst intensiv, den Grim104 gibt alles! Versprochen!

17.04. - Hamburg, Knust
18.04. - Leipzig, Conne Island
23.04. - Bremen, Lagerhaus
24.04. - Hannover, Faust
25.04. - Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld
26.04. - Dortmund - JunkYard
30.04. - Nürnberg, Club Stereo
01.05. - München, Ampere
02.05. - Frankfurt, Zoom
09.05. - Berlin, SO36


Fjørt
(Ms) Die Spatzen pfiffen es schon von den Dächern und nun ist es endlich soweit! Fjørt haben nicht nur eine Tour für kommendes Jahr angekündigt, nun folgen auch die ersten neuen Töne seit ihrer letzten Platte. Rau klingt der Gesang, angekratzt - es wird nicht nur geschrien! `43 heißt die Single, die nun samt Video anzuschauen ist. Dass die Aachener Band keine Kompromisse in ihrem Sound machen, sollte allen klar sein, die es mit dieser Band halten. Doch dieses Stück weist durchaus einen neuen Grad der Härte auf. Hui, das knallt aber außerordentlich gut. Bitter der Text jedoch. „Wir leben in Harkenkreuzzeiten / La Résistance, Zeit, Euch zu zeigen / zeigt euch.“ Ja, nichts haben wir begriffen in dieser Gesellschaft, wenn eine Nazi-Partei beinahe die Umfragewerte anführt. Die Wut, die Eindeutigkeit dieses Liedes sind absolut von Nöten, um wach zu bleiben in diesen Zeiten! Am 20. Februar erscheint dann auch eine neue Platte, sie wird Belle Èpoque heißen und alle Boxen und Kopfhörer zum Beben bringen! Huiiiiii, das wird gut! 

11.03.26 München, Technikum
12.03.26 Jena, Kassablanca
13.03.26 AT - Wien, WuK
14.03.26 Leipzig, Werk 2
18.03.26 Berlin, Festsaal Kreuzberg
19.03.26 Wiesbaden, Schlachthof
20.03.26 Dortmund, FZW
21.03.26 Hamburg, Gruenspan
25.03.26 Bremen, Schlachthof
26.03.26 Hannover, Capitol
27.03.26 Stuttgart, Im Wizemann
28.03.26 Köln, E-Werk


Anna Ternheim
(Ms) Dies ist kein neuer Track, aber egal. Er ist wunderschön und verdient einen Platz hier! Der Kollege SB kennt sich wesentlich besser aus mit Anna Ternheim, ich kenne so gut wie keinen Track der schwedischen Künstlerin. Schande auf mein Haupt. Als ich am Mittwochmorgen zur Arbeit wollte, spielte Deutschlandfunk Kultur (ganz viel Liebe für diesen Radiosender) ihren Track What Have I Done und um kurz vor sieben wurde ich mit so viel musikalischer Schönheit durchströmt, dass sie mich durch einen langen, anstrengenden Tag getragen hat. Ich knie nieder vor dir, du wunderbare Kunst!

Dienstag, 18. November 2025

Nagelschmidt & Lambert - Nur Für Mitglieder

Foto: Andreas Hornoff
(Ms) Kein Hörbuch. Kein Musik-Album. Keine Buchvertonung.
Ja, was ist das hier?!

Im September hat Thorsten Nagelschmidt sein neues Buch Nur Für Mitglieder veröffentlicht. Anfang November kam dazu eine musikalische Veröffentlichung zusammen mit Lambert heraus. Und das ist wirklich ein richtig spannendes Produkt eines kreativen Schaffens. Sieben Tracks, 31 Minuten Spielzeit. Diese Eckdaten machen schon mal klar, dass das kein Hörbuch sein kann. So schnell kann keiner 230 Seiten vorlesen.

Für den Genuss dieses Hörerlebnisses ist es nicht notwendig, das Buch gelesen zu haben. Die Handlung ist schnell erklärt: Der Ich-Erzähler flieht vor Weihnachten und fliegt nach Gran Canaria, um in einem Hotel alle Staffeln von The Sopranos zu schauen. Genialer Plot! Und sicher auch ein guter Hinweis, wie die ach-so-feierlichen Tage zu begehen sein könnten. Feierstimmung auf Knopfdruck klappt halt nur bedingt. Die Geschichte ist mit viel Ironie des Zwischenmenschlichen und Allzumenschlichen gespickt.

Nun sind sieben Tracks zu hören. Doch was genau, erwartet einen da?! Was zuerst überrascht, ist, dass die Musik von Lambert keineswegs so verträumt-mystisch ist wie seine letzte Platte. Sie ist zu großen Teilen ziemlich elektronisch, viel Beat, viel Bass, viele Synthies. Weitere Überraschungen lassen nicht lange auf sich warten. Thorsten Nagelschmidt schafft es, (sicher) prägnante Stellen des Buches - ich habe es (noch) nicht gelesen - auszuwählen und als Spoken Word vorzutragen. Das heißt, er liest nicht nur, sondern spielt durchaus mit Melodie in seiner Stimme. Er spickt sogar einzelne Zeilen raus, um sie als Refrains umzubauen. Das ist super genial und eine ganz großartige, selten zu betrachtende Kunstschleife. Mir ist wirklich kein Pendant bekannt, das nur ansatzweise so erschaffen wurde. Es macht äußerst viel Spaß, diesem Hörerlebnis zu lauschen. Es macht auch Lust auf das Buch, da ja einige Stellen fehlen. Aus meiner Sicht macht es auch am meisten Sinn, diese halbe Stunde am Stück zu genießen, damit der rote Faden ersichtlich ist. Einzelne Songs in eine Playlist zu packen, finde ich aus Gesamtkunstperspektive gesehen, wenig verlockend, klappt aber auch.

Nur Für Mitglieder ist definitiv eine außergewöhnliche Veröffentlichung im Zwischenbereich von Literatur und Musik - oder ein genial verbindendes Element. Im Dezember gehen die beiden damit auf Tour und es dürfte sehr spannend werden, wie sie einen Abend füllen werden. Liest Thorsten Nagelschmidt noch etwas? Gibt es Muff Potter-Stücke zu hören? Legt Lambert noch ein Set ein? Werden kollektiv Lebkuchenhäuser gebastelt oder Urlaubspläne geschmiedet?! Dies kann nur hier erlebt werden und ein Besuch sollte sich lohnen:

08.12.2025 Köln, Gloria
09.12.2025 Hamburg, Kampnagel
10.12.2025 Bremen, Schlachthof
11.12.2025 Dortmund, Domicil
12.12.2025 Wiebaden, Museum
13.12.2025 Darmstadt, Centralstation
14.12.2025 Neunkirchen (Saar), Stummsche Reithalle
15.12.2025 Münster, LWL Museum
16.12.2025 Erfurt, Haus Dacheröden
17.12.2025 Berlin, Peter Edel
20.12.2025 München, Deutsches Theater
21.12.2025 Leipzig, Conne Island


Sonntag, 16. November 2025

KW 46, 2025: Die luserlounge selektiert nochmal

Quelle: flaticon.com / rialjulislam
(Ms) Es ist doch kein Wunder, warum unsere aktuelle Bundesregierung noch unbeliebter ist als die vorherige, oder? Allein das ist ja schon eine erschreckende Aussage. Klar, Reformen sind gut und notwendig. Aber doch bitte die richtigen. Wer das Deutschlandticket auf 63 Euro erhöhen lässt und gleichzeitig die Flugticketsteuer senkt, der hat einfach nichts begriffen. Oder nichts begreifen wollen. Vielleicht sind das ja auch ganz gezielte Entscheidungen: Sollen die großen Flugunternehmen ein klein wenig mehr verdienen und die Menschen entweder sich kein Zugticket mehr leisten können oder… ja, sollen sie halt fliegen statt die Bahn zu nehmen. Oh, man. Von der CDU habe ich eh nichts anderes erwartet als ein nicht unerhebliches Maß an Klientelpolitik. Aber dass die SPD da so mitmacht, ist gruselig. Muss sich keiner wundern, wenn deren Beliebtsheitswerte so niedrig sind. Die Suppe haben sie sich selbst eingelöffelt. Hoffen wir, dass es noch besser wird… 

A.S. Fanning
(Ms) Eine tolle Stimme macht noch lange keine gute Musik. Sie muss im besten Sinne in Szene gesetzt werden, ihre Kraft ausgeschöpft, ihr Glanz zum klingen gebracht werden. Nicht nur melodiös - auch wenn das eines der wichtigsten Dinge ist - sondern auch textlich. Dann ist Gänsehaut garantiert, dann ist es leicht, alles links und rechts um einen herum zu vergessen. Dann läuft A.S. Fanning mit seiner neuen Single Today Is For Forgetting. Dieser tiefe, durchdringende Bariton ist perfekt eingesetzt in all der Melancholie und Schwere des Tracks. Kein besonders aufbauendes Thema, das der Titel mit sich bringt, aber das Arrangement bringt auch einen Hoffnungsschimmer mit sich. Ein insgesamt eher langsamer Song, der durch die Synthies viel Lebendigkeit erfährt. Das ist einfach phantastisch gemacht vom irischen Musiker. Am 6. Februar erscheint seine neue Platte Take Me Back To Nowhere und wird sicherlich hervorragend!

16.03.26 Langenberg – KGB
28.03.26 Altenkichen – KulturSalon Stadthalle
21.04.26 Hamburg – Knust
23.04.26 Dresden – Ostpol
25.04.26 Oberhausen – Gdanska
29.04.26 Wien – Rhiz
30.04.26 Salzburg – Rockhouse
02.05.26 Berlin – Neue Zukunft


Feige Flittchen
(Ms) Konzerte sind nicht nur die Essenz der Musik, die sich so viele Menschen ausdenken, sondern auch immer der beste Ort, um Neues kennenzulernen, das einem nicht zwingend über den Weg laufen würde. Nicht aus Ignoranz, sondern weil es einfach so unfassbar viel gibt. Gut, dass Bands selten allein auf Tour gehen. So haben Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen letztes Jahr im Zwischendenjahrenkonzert in Bremen Feige Flittchen mitgenommen. Und das hat richtig gut gezündet. Humor, Punkrock, Alles-egal-Haltung, Rafinesse, Unterhaltung. Das Hamburger Trio hat viel gespielt dieses Jahr und nun ihre erste EP draußen. Live In der Pyramide heißt die Sammlung der vier Tracks. Und weil sie halt so viel live spielen ist es nur sinnvoll, dass es wirklich Live-Aufnahmen sind. Wie cool, so eine Band als erstes zu hören. Pur, roh, direkt, ungefiltert. Das macht richtig viel Spaß, ist mal verträumt und schrammelt genau im richtigen Level!


Tom Smith
(Ms) Na Herbst, da bist du ja. Und schlägst an diesem Wochenende auch recht gewaltig zu. Ein ewiges Grau da draußen, dazu Wind und Regen. Bilderbuchherbst. Leichte Melancholie in der Luft, Energieauftanken auf dem Sofa. Tee und Spekulatius - das ganze Programm. Und dann kommt dieser Sänger mit diesem Lied daher - frech! Haut einfach noch richtig in diese eh verletzliche Kerbe. Tom Smith, Sänger der Editors, bringt Anfang Dezember sein erstes Solo-Album raus und mit Broken Time ist die neuste Single zu hören. Akustik-Gitarre, Cello, Stimme, Gänsehaut. Das ist wunderschön, zutiefst traurig aber auch aufbauend. Das sind doch Charakterzüge, die nur die Musik schaffen kann. Was für ein großer Zauber. Am 5. Dezember erscheint There Is Nothing In The Dark Which Isn't There In The Light und bringt den großen Glanz der Editors-Tracks in einem ganz gedimmten Arrangement! Wow!

11.03.26 Köln - Kulturkirche
13.03.26 Schorndorf - Manufaktur
19.03.26 Wien - Simm City
25.03.26 Berlin - Passionkirche
26.03.26 Hamburg - Christiankirche


Vlimmer
(Ms) Es gibt Musik, die einfach zu einhundert Prozent in eine ganz spezifische Stimmung passt. Letzte Woche auf dem Weg zur Arbeit: Es war ungeheuer nebelig. Die Sichtweite betrug maximal 50 bis 70 Meter. Das verlangt viel Konzentration, hat aber natürlich auch etwas herrlich mysteriöses. Manchmal fühlt es sich dann an wie im Film. Hätte dann Cystacanca von Vlimmer im Auto ertönt, wäre die Szenie perfekt. Alexander Donat geht mit jedem Track seines Hauptprojekts einen Schritt weiter, es macht sehr viel Spaß, dabei zuzuhören. Auf dieser Single zeigt er sich programmatischer im Textaufbau und noch etwas anspruchsvoller, reifer im Sound. Ein paar mehr Elemente, die den Klang bilden und einen immer klareren Gesang. Das tut seiner Musik sehr gut. Und irgendwie passen diese Zeilen hervorragend in den morgendlichen Nebel: „Nimm das Übel mit /Wasch die Erde rein / Lass uns zusammen sein.“ Doch kein neuer Vlimmer-Track ohne einen kleinen Bonus. So ist zugleich ein deutsches Cover von Arcade Fires No Cars Go erschienen. Dieser Tausendsassa…


Jo The Man The Music
(Ms) Immer wieder versuche ich hier in dieser wöchentlichen Rubrik Perlentaucherarbeit. Die Suche nach dem Besonderen, Ungewöhnlichen, Kunstvollen oder gar Avantgardistischen. Doch mal kurz innehalten ist auch nicht verkehrt. Denn immer nur nach dem außerordentlich Speziellen zu suchen, ist ja auch langweilig. Jo The Man The Music aus Österreich hat letztens ihre neue Single Shoulders veröffentlicht. Das soll nun nicht dispektierlich klingen: Aber das ist einfach ein ganz wunderbarer, warmer, gitarrenpoppiger Song, der wie eine kleine Streicheleinheit daher kommt. Das Stück ist nicht kompliziert, nicht außerordentlich wild arrangiert. Und genau in dieser wunderbaren Schlichtheit liegt die Stärke und Schönheit. Eine Ballade, die mitsamt viel Wärme daher kommt und zu dieser Zeit, in der viel Kälte zu spüren ist, genau richtig ist. Am 16. Januar erscheint ihre erste EP Soft Skin

Freitag, 14. November 2025

KW 46, 2025: Die luserlounge selektiert

Quelle: Gästebuch.com / arnikahossain
(Ms) Brennt die Funkmasten nieder! Hinfort mit den Handys und Smartphones. Weg mit diesem Mist! Nervosität auf Stand-By. Pseudo-Erreichbarkeit. Zeitfresser-Programme überall. Niemand braucht das.

Derzeit lese ich Momo von Michael Ende. Das Buch ist aus den 70er Jahren. Wahnsinn! Ich wusste, dass es eine zauberhafte Geschichte sein wird, aber diese Aktualität habe ich im Vorhinein unterschätzt. Was die Grauen Herren von der Zeit-Spar-Kasse von vor fünfzig Jahren waren, sind die mobilen Endgeräte der Jetztzeit. Sie klauen uns ganz bewusst das wertvollste, was wir haben: unsere Zeit! Und wir füttern riesige Konzerne mit Daten und leeren Augen. Es braucht eine Herrschar an Momos unserer Zeit, die uns darauf aufmerksam machen, wie unfassbar viel Zeit wir an diesen Teilen verschwenden. Wir haben nichts davon außer gestörte Hirnareale, verminderte Konzentrationsfähigkeit und fehlende Geduld. 

Imarhan
(Ms) Wenn Pop auf Politik stößt, dann wird es meist sehr spannend. Insbesondere weil Musik die Kraft hat, über Grenzen hinweg zu klingen und zu wirken. Bands, die Lieder aus anderen Gegenden der Welt singen, können uns die Augen öffnen. Denn viele Konflikte bleiben uns verborgen oder sind schnell vergessen. Zudem bringen sie eventuell einen Klang mit, der für uns ungewohnt ist, aber ganz viel Schönheit mit sich bringt. Imarhan kommen aus Algerien und machen extrem melodiöse Musik. Schlagzeug spielt eine untergeordnete Rolle, der Rhythmus wird meist durch Gitarren vorgegeben - aber klar, hier und da wird auch getrommelt. Tellalt heißt ihre aktuelle Single und das Wort bezeichnet eine seltene Akazienart aus der Sahara. Wenn sie verbrannt wird, soll sie wunderbar riechen und das Knistern des Feuers scheint unvergleichlich, so Sänger Sadam. Zudem erzählen sie von Geschichten der algerisch-malischen Grenze. Von Menschen, die aus Mali fliehen. Schicksale, die hier selten Aufmerksamkeit bekommen. Imarhan gibt diesen Menschen eine Stimme. Und am 16. Januar erscheint ihre neue Platte Essam bei CitySlang und könnte ganz zauberhaft werden!

14.04.26 - Knust, Hamburg,
15.04.26 - Gretchen, Berlin


Dry Cleaning
(Ms) Ein Bullshit-Job ist eine Tätigkeit, der jeglicher Sinn fehlt. Diese ist dann manchmal auch noch recht gut bezahlt. Ihr gesellschaftlicher Nutzen ist gleich Null. Aber vielleicht haben einige der ArbeiterInnen, die so einen Job haben, dennoch Spaß daran. Darum geht es im neuen Track Cruise Ship Designer von Dry Cleaning. Der Titel verrät es schon: Sängerin und Texterin Florence Shaw berichtet darin über einen Designer für Hotels und Kreuzfahrtschiffe, der seinen Job richtig gut erledigt, aber immer wieder am Sinn seiner Tätigkeit zweifelt. Wie genial ist das denn?! So viel Tragik und Komik in einem Track habe ich lange nicht mitbekommen. Musikalisch wird die Geschichte von groovigen Klängen, die zwischen frühem Punk und Krautrock angesiedelt sind. Obendrein serviert die Band ein großartiges Mittanzvideo! Mehr solcher tollen Klänge und Storys gibt‘s auf ihrem neuen Album Secret Love, das am 9. Januar erscheinen wird! Könnte geil werden!

07.04.26 Berlin, Festsaal Kreuzberg
10.04.26 Hamburg, Mojo



Frau Lehmann
(Ms) Gut Ding hat Weile. Mit etwas Abstand gesehen, ist ja an den meisten Sprichworten doch eine Menge dran. Die Alte Leier heißt die neue Single der Leipziger Band Frau Lehmann. Wobei so neu der Track gar nicht ist. Vor 10 Jahren schrieb Sängerin Fiona Lehmann diesen Text und nun hat er seine Form gefunden - was für eine schöne Geschichte! Das Thema: Liebeskummer und der Kampf dagegen. Zuhören? Ach nein, lieber in die Kneipe gehen und dann stark abdriften. Und der Kummer pocht immer noch genauso stark wie vorher. Manchmal sind Wunsch und Realität zwei verschiedene Dinge, davon handelt das Lied auch. In herrlich melancholischer Manier mit Xylophon und wunderbarer Eingänigkeit. Ein Song, der zum sonst punkigen Sound der Band gar nicht so passt, umso besser ergänzt er ihr Schaffen. Am 30. Januar erscheint ihre neue Platte Trost & Trotz und könnte vielschichtig, unterhaltsam, den-Finger-in-die-Wunde-legend werden!


Amanda Bergman
(Ms) Stutzig werden. Wenn Musik das schafft, dann ist sie wirkmächtig. Wenn sie einen irritiert zurück lässt. Wenn man gerne noch etwas mehr darüber wissen möchte. Wenn der Song dann nochmal läuft. So geschehen beim neuen Track von Amanda Bergman. Die schwedische Künstlerin hat mit Grasp einen wunderbar, saften neuen Song herausgebracht. Zu dem Stück gibt es ein kleines, schönes Video, das mal unterhaltsam, mal niedlich, mal einfach nur schön ist. Doch etwas stimmt hier nicht. Und das ist Folgendes: Text und Musik passen nicht zusammen. Die Musik ist wahnsinnig zurück gelehnt. Zart, ruhig, unaufgeregt. Der Text ist das ziemliche Gegenteil davon. Kein Wunder: Er ist in der Nacht entstanden, als Donald Trump und Elon Musk das Weiße Haus übernommen haben. Eine Schaudergeschichte. Wie der Text des Liedes. Doch kein Grusel ohne Hoffnung. Und das sind ganz am Ende folgende Worte: „Making peace seem like some madness that has no time.“ Da bleibt nur zu sagen: Bring back the madness!

Mittwoch, 12. November 2025

Naked Lunch - Lights (And A Slight Taste Of Death)

Foto: Appolonia T. Britzan
(Ms) Zerbrechlichkeit und Schönheit. Kaum eine Band steht für beide Attribute so stark wie Naked Lunch. Die Schönheit der Zerbrechlichkeit hat diese Gruppe so gut wie perfektioniert. Und es hat zwölf Jahre gedauert, bis sie uns wieder mit neuen Liedern beschenkt. Am 7. November erschien Lights (And A Slight Taste Of Death) und ist sicher die Platte der Österreicher, die am schwersten ins Ohr geht. Wenn sie da aber erstmal angekommen ist, dann offenbart sich ihr ganzer Glanz.

Zerbrechlich waren ihre Lieder immer schon. Die ruhigen und die wuchtigen. Und das lag nicht immer nur am oftmals recht melancholischen Arrangement. Vielmehr gelingt es Oliver Welter seit vielen Jahren mit seiner Stimme den Geist seiner Musik zu 100% rüberzubringen. Man könnte sich bestimmt darüber streiten, ob Oliver Welter ein guter Sänger ist. Da gibt es viele Fürs und Widers, die sich ins Feld führen lassen. Doch eventuell ist das für die Musik, die Naked Lunch seit Jahren so großartig macht, gar nicht mal so wichtig. Immer wieder bricht seine Stimme. Das muss sie auch. Sonst kommt der Inhalt, die Atmosphäre, die Tiefe und das Menschliche aus all ihren Liedern gar nicht so zur Geltung. Das Wacklige ist Programm. Und - machen wir uns mal nichts vor - auch ein großer Teil dessen, was uns zum Menschen macht. Das Berührt- und Verletztwerdenkönnen, die Zweifel. Und bei all der Tragik, die sich immer wieder in ihren Songs ausbreitet, bleibt eines immer unterm Strich: Hoffnung. Liebe. Zusammenhalt. Dankbarkeit. Das ist ein irrer Spagat. Er ist nicht leicht. Aber sie nehmen die Herausforderung an. Mit der neuen Platte ist es ein weiteres Mal geglückt - man muss sich nur drauf einlassen.

43 Minuten Spielzeit hat die neue Platte. 14 Tracks sind darauf enthalten. Einige haben etwa eine Minute Länge, dafür wirken andere umso ausgiebiger. To All And Everyone I Love ist der Opener. Zudem war es die erste Single, die in all ihrer Schönheit brilliert. Ein Kniefall vor allen, die das Leben schöner machen. Eine Danksagung an all die leuchtenden Momente, die ein Leben begleiten. Dies ist ein großes Beispiel, wie wunderbar Musik sein kann! Doch wie der Albumtitel schon vermuten lässt, ist es eine Sammlung an Texten, die zwischen ganz hoch und ganz tief schwankt. Licht und Dunkel. Positiv und negativ. Auf und ab. 12 Jahre hat es gedauert, bis diese Platte ans Tageslicht kam. Oliver Welter zweifelte oft, ob es Naked Lunch überhaupt noch braucht. Dann eine Krebserkrankung und die Geburt seines dritten Kindes. Wow - wie heftig kann es nur zugehen?! Diese Platte ist das Ergebnis genau dieser Zeit.
Das Melancholische und Fröhliche ist teils in einem Stück zu hören. Schleppend und dunkel beginnt We Could Be Beautiful. Nach drei Minuten, ziemlich genau nach der Hälfte, wird Moll zu Dur, wird aus beinahe zäh Lebendigkeit. Wird aus einem Tiefpunkt ein Hoffnugsschimmer und ein ganz wunderbares Lied, an dessen Ende noch Bläser erklingen - hui!
Blackbird ist noch so ein Stück, das ganz viele Ebenen einfängt. Eines, das in meinen Ohren schleichend zum Highlight geworden ist. Trotz (oder gerade wegen?) der immer wieder brüchigen Stimme. Auch wenn es kurios klingen mag, aber die Zeile „Maybe I‘m punished for being a rude man / maybe I did things wrong when I was much younger“ wird so unglaublich schön dargeboten. Anschließend tanzen die Syntheziser und Bläser bringen erneut viel Wärme ins Spiel. Es bleibt zwischendurch festzuhalten - diese neuen Stücke sind enorm stark arrangiert! So vielschichtige Musik gab es von Naked Lunch lange nicht! Auch scheinbar disharmonische Stücke wie If This Is The Last Song You Can Hear offenbaren in ihrem ganzen Soundgewitter viel Sinn für Ästhetik.
Eine weitere Stärke dieser Platte ist, dass es nie langweilig wird. Ich bin erstaunt, wie unfassbar gut die Lieder aneinandergereiht sind! Das ist ja auch eine Art der Kunst. I Saw, auch wieder etwas deftiger aufgebaut, besticht durch die prägnante Gitarre und dem großen musikalischen Lichtblick. Wer bei diesem Album nicht baff staunt, ist ein Banause! So ist auch kurz vor Schluss ein zartes Stück wie Love Don‘t Love Him Anymore purer Glanz! Dieses Chor-Arrangement… wundervoll!

Lights (And A Slight Taste Of Death) ist nichts anderes als ein Meisterwerk. Meine Ohren brauchten etwas Anlaufzeit, um all diese Schönheit auch wahrzunehmen. Ja, es bricht oft. Ja, es quietscht hier und da. Es ist nicht alles perfekt, schon gar nicht rund und glatt produziert. Und genau das ist der große Trumpf. In all dem Zerbrechlichen liegt so, so viel Menschliches. So ist diese Platte eine große Wohltat und hoffentlich noch lange nicht das Ende dieser Band. Sie spielt hier live:

17.01.26 Ebensee - Kino
22.01.26 Wien - Arena
23.01.26 Graz - PPC
29.01.26 Innsbruck - Treibhaus
30.01.26 Dornbirn - Spielboden
31.01 26 Salzburg - ARGEkultur
05.02.26 Leipzig - Naumanns
06.02.26 Berlin - Berghain Kantine
07.02.26 Hamburg - MS Stubnitz
04.03.26 München - Milla
05.03.26 Stuttgart - Merlin
06.03.26 Steyr - Röda
28.05.26 Klagenfurt Festival


Montag, 10. November 2025

Live in Hamburg: The Notwist

Foto: luserlounge
(Ms) Back to the roots. Manchmal ist es sehr sinnig, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Oder auf die eigenen Anfänge. Beides steckt in diesem kleinen Sprichwort. Das denken sich auch die Mitglieder von The Notwist, die immer mal wieder die ganz alten Stücke spielen und dann als Pocketband auf Tour sind. So dieser Tage und dann direkt in den jeweiligen Städten zwei Abende hintereinander in kleineren Läden.
Am Samstag und Sonntag spielten sie im Hamburger Knust und das war mal wieder eine Reise an die Elbe wert.

Wir waren am Samstag früh vor Ort und konnten der feinen Musikauswahl von Markus Acher lauschen, die er im Barbereich auflegte. Dazu lief irgendein Oliver Hardy und Stan Laurel-Film und draußen war tiefster Herbst. Perfekt!
Ab 20 Uhr wurde es auf der Bühne richtig spannend, denn Sinem spielten zur Einstimmung ein kleines Set. Und seitdem denke ich darüber nach, warum ich nicht mehr Indie/Rock-Musik mit türkischer Sprache höre. Es gibt sicher wesentlich mehr als diese Band, die atmosphärisch diese Sprache einsetzen. Ungefähr eine halbe Stunde hat das Trio gespielt und mich ab dem ersten Takt direkt angesprochen! Insbesondere die für mich ungewohnten Harmonien im Gesang ließen mich neugierig lauschen. Zudem war das Schlagzeugspiel absolut mitreißend! Das hat richtig Spaß gemacht und mal andere Töne auf die Bühne gezaubert als alles andere, was sonst so im Pop/Rock-Bereich zu hören ist.

Kurze Umbaupause. Als The Notwist Pocketband spielen Markus und Micha Acher zusammen mit Andi Haberl und für ein paar Stücke mit Christoph Beck. Es ging direkt roh und wuchtig mit den alten Stücken los, als die ganze Soundtüftelei noch keine so große Rolle für die Band spielte. Tatsächlich kenne ich nicht ein Stück aus dieser Phase. Genau das hat den Reiz für den Abend ausgemacht. Denn auch in den durchvolleren, E-Gitarren-lastigeren Stücken lauern viele mitreißende Elemente. Nicht die sphärisch-träumerischen, aber durchaus eine Menge, die auch den Körper durchdringt. Doch auch verhältnismäßig neuere Songs wie Kong fanden in die Tracklist des Abends.
Gerade mal 80 Minuten dauerte der Gig der Weilheimer Musiker. Es war für dieses Set, für diese Zusammenstellung an Liedern genau der richtige Rahmen. Der kleinere Laden - im Frühjahr spielen sie in der Großen Freiheit 36 -, die tolle Vorband und die genau richtige Dauer.
Back to the roots - es hat sich gelohnt!
 

Montag, 3. November 2025

Live in Bremen: Grandbrothers

Foto: luserlounge
(Ms) Sonntagabend, der Herbst hat volle Fahrt aufgenommen und am Bremer Bahnhof ist es rappelvoll. Der letzte Tag des Freimarkts ließ nochmal einige Leute aus ihren Häusern kommen. Und auch der Weg zum Schlachthof führte direkt an Buden und Fahrgeschäften entlang. Dort war es aber erstaunlich ruhig. Seltsam, dass es so luftig in der Kesselhalle gewesen ist. Immerhin kamen die Grandbrothers mit ihrem aktuellen Album Elsewhere vorbei, um die Menschen in den Klavierbann zu ziehen. War es das große Überangebot am Wochenende in Bremen? H-Blockx, Freimarkt, Nina Chuba, Anda Morts, Mental Tracks? Brauchten die musikaffinen Menschen eine Pause? Lag es am Sonntag? Oder ist die Musik von den beiden Klangtüftlern dann doch ein wenig zu speziell? Viele Fragen, wenig Antworten.

So stand niemand vor der Bühne, alle saßen, als Keshavara den Abend eröffneten. Allein das ist schon krass, das habe ich im Schlachthof noch nie gesehen. Dabei ließen sich viele Leute einfach einen großartigen Abend entgehen. Der Einstieg war extrem stark! Keshavara eröffnen viele der aktuellen Konzerte der Grandbrothers als Duo und wissen sehr schnell zu überzeugen. Sie erinnern an Oum Shatt, nur mit indischen statt orientalischen Klängen. Etwas psychedelisch, sehr unterhaltsam und einfach auch extrem sympathisch! Wenn sie in Bandbesetzung im April wieder in den Magazinkeller kommen, sind sicher einige Menschen, die am Sonntag da war, auch vor Ort!

Kurze Umbaupause, die schon einiges entdecken ließ. Die Bühne, wenn Lukas Vogel und Erol Sarp spielen, ist ein Hingucker. Auf der linken Seite der Flügel mit offenem Korpus aus dem allerhand Kabel und Gerätschaften herausschauen. Die Kabel suchen sich den Weg zum Tisch von Lukas Vogel, wo sie in verschiedensten elektronischen Soundboxen landen. Zusammen werden sie einen Klang erzeugen, der viel Sog entfachen wird, aber auch viel Schönheit. Dahinter zwei große Lichtleinwände, die die optische Ebene beschwören. Klar, das ist alles wahnsinnig ausgetüftelt, die Musik der Grandbrothers lässt sicher auch wenig Spiel für Improvisation, aber das Konzept geht voll auf.
Es ist 21 Uhr als die beiden Musiker die Bühne betreten, ein paar mehr Menschen wagen sich direkt in den Raum davor, um mittanzen zu können. Denn das kann sehr schnell passieren. Die eineinhalb Stunden danach waren ein reiner Rausch. Wie ein Live-DJ-Set. Die Lieder gingen ineinander über. Die Melodien und Rhythmen schwebten nur so durch den Raum. Und wenn man sich dort umschaut, sind viele glückliche, versunkene Gesichter zu sehen. Kaum jemand, der sich nicht anstecken lässt von der Energie, die die beiden auf der Bühne erzeugen. Das ist Wahnsinn, sehr intensiv, aber auch nicht zu doll. Viel Schönheit, viele große Melodien und dann immer wieder starker Bass, viel Takt, viele Möglichkeiten, um sich weg zu träumen. In ihren wenigen Ansagen zeigten sie sich nicht nur als passionierte Kirmesbesucher, sondern auch als äußerst dankbare Künstler. Das zollte das aufmerksame Publikum durch viel leises Zuhören, wenig quatschen und viel warmem Applaus zurück. 

Wer kann, sollte dieses Duo auf ihrer aktuellen Tour auf jeden Fall besuchen und unterstützen. Das ist außerordentlich stark, was die beiden aus dem Flügel rausholen und ihren ZuschauerInnen schenken!