Foto: Jakob Stoszek |
Wobei ich hier einschieben muss, dass dieses „den eigenen Klang finden“ ein bisschen Quatsch ist. Das hieße im Umkehrschluss ja, dass sie auf den Alben zuvor auf der Suche oder unsicher war. Das kann ich mir bei der Schönheit ihrer Musik kaum vorstellen. Eventuell ist es sinniger, dann von einer Entwicklung zu sprechen. Natürlich könnte sie auch weiterhin reine Klaviermusik machen. Doch das wird halt langweilig. Und das ist die neue Platte nun gar nicht!
Der zweieinhalbminütige Auftakt Oltre Terra schwebt im Orbit. Wie ein langsames Aufwachen in unserem digitalen und von Schreckensmeldungen geprägten Alltag klingt es, hier und da knarzt es, ein paar schiefe Töne mischen sich unter. Hier wird an einigen Reglern gedreht, Rückkopplung ist vielleicht ein Thema. Nach dem Aufwachen dann das Hello! Gesang mit ganz viel Hall, streichelnder Bass, zurückhaltende Percussion. Das hier ist poppiger aber auch mystischer als zuvor. Eine schöne Entwicklung. Wen begrüßt Hania Rani hier? Uns Hörende? Jemanden weit draußen? Es ist unklar und genau das ist schön, denn dann kann ich mir das Lied selbst aneignen.
Ja, die junge Polin hat sich zur Sängerin entwickelt und überzeugt mit einer seichten, verträumten Stimme, die zwar nicht sonderlich viel Kraft hat, dafür baut sie die Musik darum aber perfekt auf! Alles schwebt, mäandert ein wenig, das Klavier stellt immer die harmonische Grundlage da. Früh ist zu hören, zu spüren, dass dieses Album sehr, sehr rund ist, aus einem Guss besteht. Der gesamte Klang hat etwas Geisterhaftes, schwer zu Fassendes, mal einhüllend, mal bedrohlich wie auf 24.03. Ein Synthie-Track, der an die Weltraumträume der frühen elektronischen Klangpioniere erinnert.
Dass die Stimme auch als Instrument genutzt werden kann, zeigt Gast Patrick Watson auf Dancing With Ghosts, sein zartes Gesumme erinnert an eine leise Trompete. Im Duett ergänzen sie sich perfekt und setzen den Titel des Stücks um - beide Stimmen tanzen gemeinsam, wie Gespenster. Auf leisen Sohlen, gleitend durch Wände, beinahe unerkannt. Zum Ende hin verlieren sich die beiden Tanzpartner, rufen sich, der sanfte Traum aufgelöst durch ein paar digitale Kratzer. Das ist nicht nur sehr gut, sondern sei auch empfohlen über Kopfhörer zu hören.
Doch nicht alles ist neu auf Ghosts. Es gibt auch regelrechte Back-To-The-Roots-Stücke. Whispering House ist nicht nur extrem zart, sondern auch eine wunderbare Zusammenarbeit mit dem großen Olafur Arnalds. Auch The Boat ist sehr leise mit plätscherndem Klavier, leicht nebulös. Und zauberhaft. Eigentlich passiert gar nicht viel und das ist auch beruhigend, heilsam. Und das über sieben Minuten. Ja, Hania Rani ist nicht (mehr) bei Neoklassik (oder dergleichen) zu verorten, sondern viel mehr bei Ambient. Komeda hat auch eine Spielzeit von elf Minuten!
Ghosts ist ein großartiges Album. Es ist leide und verschlungen. Zart und rüttelt doch manchmal auf. Es ist verträumt und verzerrt. Hania Ranis Schritt in eine neue Richtung ist vollkommen aufgegangen. Dieser Platte sollte man Zeit schenken, im Gegenzug bekommt man großen Genuss und große Kunst!
19.10. Berlin, Huxley’s Neue Welt
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