Montag, 3. April 2023

Martin Kohlstedt - Feld

Foto: Konrad Schmidt
(Ms) Wie lässt sich die wahre Qualität eines Musizierenden feststellen? Dies zu beantworten ist wahnsinnig schwer und manchmal vielleicht auch ein wenig unfair. Denn wirklich objektive Merkmale finde ich keine. Und Musik ist und bleibt immer noch Geschmackssache. Doch ein Punkt fällt mir immer wieder auf oder ein, wo ich anfange zu staunen. Etwas, das mich stutzig macht. Das, wo ich erstarre, mich fallen lasse und zu genießen beginne. Und das lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Variabilität! Meine These ist: Je stärker sich ein Künstler wandeln kann und der rote Faden doch immer erkenntlich bleibt, desto mehr traue ich ihm zu. Auch an musikalischem Sachverstand zum Beispiel. Ja, Intuition ist wahnsinnig wichtig beim Hören und Spielen. Aber Wissen, wie was warum funktioniert, ist noch eine andere Ebene.

Das hat meines Erachtens Martin Kohlstedt ziemlich stark verinnerlicht. Vor Jahren sah ich ihn mal mehr oder weniger zufällig live beim Traumzeit Festival und ich war baff! Sehr sanft, ja, bedächtig hat er sie Zuhörer in den Bann gerissen, die elektronischen Arrangements immer dichter und intensiver werden lassen. Da hat sich etwas aufgebaut und seine Kraft entfacht, als die Dynamik zum richtigen Zeitpunkt erreicht war. Das ist der elektronische Kohlstedt. Daneben existiert noch der akustische Kohlstedt. Wenn er versunken am Klavier sitzt und seine zarten Melodien wirken lässt. Dann ist er der Neo-Klassik-Künstler, wie er es auf seinem letzten Album FLUR gezeigt hat. Es gibt noch einen dritten Kohlstedt, den Experimentellen Arrangeur, hinter dem ein Chor steht. Das Album STRÖME mit dem Leipziger Gewandthauschor ist ein fulminanres Werk. Auch in den leisesten Sequenzen baut er Energien auf. Es wirkt immer. Das kann kein Zufall sein, da steckt viel Wissen drin und ist ansteckend. 

Nun gibt es einen neuen Kohlstedt, würde ich sagen. Einen, der sich zwischen den ersten beiden Welten bewegt. Auf seinem neuen Album FELD, das am 31. März erschien, kommt beides zusammen. Die Klaviertöne und und Synthies. Zugegebenermaßen stechen letztere ein wenig stärker hindurch. Bei einigen Stücken erklingt das Piano im Vordergrund und dahinter ballern (ja, das kann man genau so sagen) die elektronischen Beats. Hier sei der Genuss über Kopfhörer oder eine laute Anlage empfohlen!

Die neuen Lieder sind (natürlich) wieder modulare Kompositionen, die immer aus drei Majuskeln bestehen und variiert werden können. Live mag sich ein Lied gänzlich anders anhören als auf Platte, aber genau das ist auch der Kern seines Schaffen. Martin Kohlstedt ist jemand, der Musik auf eine ganz eigene, ja organische Weise lebt. Er ist dabei unsagbar flexibel, passt die Stücke live an sein Gemüt, den Anlass, das Ambiente an. Die zarte Klaviernummer geht genauso klar wie der elektronische Tanzsog mitten in der Nacht.

FELD also. Es fällt mir enorm schwer, einzelne Stücke herauszupicken und auseinanderzusetzen. Bei so einem Musiker fehlt mir dazu auch echt das theoretische Wissen. Was mir aber möglich ist, ist das Einfangen der Stimmungen. LUV ist der zarte Beginn, es bewegt sich noch im Sphärischen, schwer zu Greifenden und nimmt dann langsam Fahrt auf. Natürlich über eine Pianomelodie. Und fast unbemerkt schlecht sich ein Beat ein, der die Spannung hoch hält, tiefer wird. Es hat den Anschein, als ob Analoges und Digitales in diesem Stück im Wettstreit stehen: Wer setzt sich durch?! Hier geht es unentschieden aus, es hält sich ganz klar die Waage. Doch das bleibt nicht so auf diesem tollen Album! DIN beginnt zwar ebenfalls recht ruhig, wird im Laufe des Tracks aber deutlich elektronisch dominiert, hier sollte der Bass möglichst hoch gedreht werden, eine starke Tanznunmer! ELZ wabert wunderbar vor sich hin. Hier wird das Tempo total rausgenommen, aber der Kopf will zu sehr weichen Melodien und einem mühelos tragenden Beat leicht wippen. Dieses Lied besticht durch seine gutmütige Unaufdringlichkeit. MOD fackelt erst gar nicht lang, die Synthieklänge machen direkt dem Klavier den Platz streitig. Enorm wie dieses Lied pocht und wummert. Das hier ist wahrlich kein Techno oder so. Es ist die vielleicht sanfteste Form der elektronisch derben Musik, die mir je widerfahren ist. Denn die Bässe sind schon tief, aber immer entspannt, das Tempo ist gering, alles sehr ausgewogen! PIX ist eine kleine, ruhige Pause. Einmal durchatmen. SJO wiederum der erste fast ausschließlich analoge Track auf diesem variablen Album! DIA hat auch den Anschein, entwickelt sich aber zu einer recht (verhältnismäßig) düsteren Nummer, wo es hier und da auch mal knartscht und knirscht. Auch hier wird wunderbar unterschwellig erst die Spannung aufgebaut und dann dreht sie frei! Ach, das ist alles unglaublich gut gemacht! Auch OHM ist freier, im Hintergrund ist sogar Gesang zu hören. Das will ich unbedingt live erleben, wie dieses Lied seine Kraft freisetzt!

Ja, dieses Album lässt keine Wünsche offen. Ich bin beim Hören baff, wie es mich immer wieder überrascht. Wirklich ganz wenig ist hier vorhersehbar. Das liegt an der vielseitigen Nutzung aller Instrumente aus dem Kohlstedtschen Reservoir. FELD ist ein Album, das (endlich) die vielen Seiten dieses Ausnahmemusikers zusammen bringt und scheinen lässt. Ja, Variabilität! Sie dominiert auf wunderschönste Weise diese Platte! Herausragend!

05.04.2023 Bremen - Gustav-Heinemann-Bürgerhaus
14.04.2023 Berlin – RBB Sendesaal
15.04.2023 Berlin – RBB Sendesaal SOLD OUT
16.04.2023 Hamburg – Kampnagel
19.04.2023 Marburg - KFZ
20.04.2023 Köln - Kulturkirche
21.04.2023 Köln – Kulturkirche SOLD OUT
25.04.2023 Witten – Saalbau
26.04.2023 Darmstadt - Centralstation
07.05.2023 München - Freiheitshalle
09.052023 Freiburg - Jazzhaus
10.05.2023 Karlsruhe - Tollhaus
11.05.2023 Bern – Casino Bern
12.05.2023 Zürich – Bogen F SOLD OUT
13.05.2023 Dornbirn – Spielboden
14.05.2023 Zürich - Bogen F
16.05.2023 Salzburg - ARGEkultur
17.05.2023 Wien – Konzerthaus
19.05.2023 Leipzig – Peterskirche
20.05.2023 Leipzig – Peterskirche SOLD OUT
29.05.2023 Eltville - Heimspiel Knyphausen


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