Sonntag, 8. Januar 2023

Staring Girl - Schräg Fällt Das Licht

Foto: Sebastian Madej
(Ms) Auf keinen Fall sollte man diese Band unterschätzen. Man sollte nicht sagen: „Ach, das ist ja ganz nette Indiegitarrenmusik, aber das habe ich ja schon zulänglich gehört. Die schreiben über das Leben, den Herzschmerz, die großen Themen. Ja, das kennt man ja schon seit elendig langer Zeit.“

Und genau das stimmt nicht. Klar, die Themen sind größtenteils bekannt, das ist ja auch mehr als legitim, da sich manche Geschichten auch gar nicht auserzählen lassen. Doch bei dem, was Staring Girl machen, gibt es einen großen Unterschied. Und das zeigt sich schon im Namen der dritten Platte: Schräg Fällt Das Licht. Woher und wohin, mag man sich fragen. Was ist in dem Bereich zu sehen, der nun ausgeleuchtet wird? Und was ist daneben, in der Finsternis? Was Steffen Nibbe - Sänger, Texter und Kopf der Gruppe - schon in den Liedern zuvor extrem gut gelang, und wo er nahtlos dran anknüpft, ist, dass er dem Hörenden Perspektiven anbietet. Mal den eigenen Standpunkt, den eigenen Blickwinkel verlassen und die gleiche Szene schräg verschoben begutachten. Das ist ein Charakteristikum, das sich schon durch viele Texte zieht. Und das Wunderbare daran ist, dass es nie aufdringlich oder gar programmatisch ist. Es ist ein leichtes an-die-Hand-Nehmen mit einer Einladung versehen, doch mal kurz die Perspektive zu ändern. Aber nicht im Sinne dieses raus-aus-der-Komfortzone-Quatsch.

Wenn Steffen Nibbe über Menschen singt, aus der Ich-Perspektive oder als Erzähler, dann sind es oft scheinbar gewöhnliche Geschichten, die sich auftun. Scheinbar. Denn dann dreht sich der Betrachtungswinkel leicht und das Licht fällt schräg und so beginnt diese tolle Platte! Menschen In Geschichtsbüchern ist das erste Lied und es geht unsagbar sanft und harmonisch los. Ein Lied, in dessen Melodie man sich reinlegen will. Genau wie die Protagonistin, der Zeit völlig egal ist. Einfach im Moment sein. Und gar nicht aus Entschleunigungsgründen oder sonst einem Antistressprogramm. Sondern einfach nur, um das zu genießen, was sich einem auftut. So einfach, so herrlich kann es sein. Titel wie Die Liebe Ist Von Allem Das Größte ziehen aus meiner Sicht wenig Aufmerksamkeit auf sich. Es klingt doch ein bisschen beliebig. Doch genau da kann man sich täuschen. Denn wenn nach diese Zeile „und wenn sie endet auch“ kommt, dann wird es eben hart. Und genau das unterstreicht auch die Musik dieses Liedes. Ein Song, der beharrlich nach vorne treibt, dem die Dramatik ab dem ersten Takt anzumerken ist. Genial gemacht. Ein Lied, auf dem der Klang der Gruppe sehr gut zu erfühlen ist, ist der Titeltrack. Entspanntes Schlagzeug, tanzende Gitarre, warmer Bass, sehr dichter Klang und darüber die nächste schöne Geschichte. Es ist ein Stück, das auf ganz unterschwellige Weise mitreißt, auch mit einzelnen Zeilen („Ach ist das schön“, „Ich will ab jetzt immer nur mutig sein - und verliebt“). Das, was mich immer an Musik so fasziniert ist, dass es oft das Unaussprechliche ist, was in den Bann zieht. Dieses Stück brilliert in diesem Punkt. Viele Texte sind eine klare Geschichte. Andere ein bisschen fragmentarischer, wie Weiter Geradeaus. Ein Stück, das gar nicht viel will, nur halt nicht einen Abend beenden. Auch wenn der Weg heim noch so lang ist, einfach weiter gehen, zusammen bleiben, genießen, was ist. Dazu gesellen sich Marimbaphon und Posaune. Herrlich! Das ist ungeheuer gut arrangiert und macht sehr viel Freude! Auch Schweben ist musikalisch so klasse gemacht. Es beginnt schleppend und ernst, dann erhellen Streicher die Stimmung und drehen somit erneut die Perspektive. Das Fragmentarische einiger Lieder hat einen tollen Vorteil, denn dann bleibt oft alles ein wenig im Unklaren. Das heißt, uns Hörenden wird die Möglichkeit gegeben, das Lied anzueignen. So beispielsweise beim gitarrendominanten Licht Im Flur. Ja, diese Band darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Neben den aufgeführten Punkten der textlichen Perspektive, sind es auch die musikalischen Facetten. Klar, hart wird diese Band nicht, aber sie kann durchaus einen Zahn zulegen. Von den sanftesten Akustikgitarrentakten geht es bis zum wummernden Sound. Um dies zu entdecken, braucht man auch ein wenig Zeit, gut 52 Minuten Spielzeit hat das Album und immer wieder gibt es etwas Neues zu entdecken! Und so hat jedes der 13 Lieder nicht nur seinen ganz eigenen Charme, seine eigene Wärme und seine eigene Geschichte. Sondern halt auch die eigene Perspektive, durch die eine Situation gesehen wird. Im Grunde genommen alles Gegebenheiten aus dem Alltag, nur schräg verschoben.

Das ist nicht nur der Verdienst von Texter Nibbe, sondern die ganze Band trägt dieses wundervolle Unterfangen. Lennart Wohlt am Schlagzeug, Frency Suhr am Bass, Gunnar Ennen an der Gitarre, genauso wie Jens Fricke. Staring Girl ist eine kleine Band, die viel zu sagen hat! Da sie selten live spielen, sollte man die Möglichkeit ergreifen. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen: Hin da!

13.01 - Kiel, Hansa48

14.01 - Hamburg, Knust

04.02 - Langenberg, KGB



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