(ms) Okay, es mag abgedroschen klingen, ist dadurch aber nicht weniger wahr: Musik kann eine ungeheure Kraft entwickeln. Sie kann bestärken, verzaubern, abheben lassen, das Herz umhüllen, den Kopf leeren, den Körper in Bewegung setzen. Und muss dafür nichts weiter tun, als zu erklingen. Faszinierend dabei ist, dass es nicht erklärt werden muss. Ein gewisser geheimnisvoller Aspekt wohnt in den Tönen, Texten und Harmonien, der für sich steht, unsichtbar wirkt und ungeahnt kraftvoll sein kann. Das hängt natürlich vom Genre und der Intensität ab, welche Auswirkungen sie haben. Was mir beim mehrmaligen Hören von Keine Blumen, dem neuen Album von Oehl, irgendwann bewusst wurde: Es tröstet. Dabei bin ich noch nicht mal traurig. Wie wunderschön ist das denn?! Dieses Album, das diesen Freitag (26. August) erscheint, nimmt mich von hinten ganz sanft und behutsam in den Arm, stützt meinen geneigten Kopf, streift mir zart über den Nacken, die Arme. Es beruhigt mich, berührt mich. Dazu könnte ich weinen und lächeln gleichzeitig, weil es schlicht und einfach ungeheuer gut tut. Wenn man möchte, könnte man der zweiten Platte von Oehl therapeutische Wirkung assistieren. Und dafür möchte ich Ariel und seiner Band von tiefstem Herzen danken.
Das schöne ist, ich wusste, dass dieses Werk so sanft wird. Es hätte gar nicht anders sein können. Seitdem es dieses Projekt gibt, bin ich unglaublich begeistert davon. Selten zuvor habe ich solch poetische Texte wahrgenommen. Das ist eine ganz andere Haltung, eine andere Sphäre als Jochen Distelmeyer, Martin Bechler, Alin Coen. Ich behaupte fug und fest, dass Ariel Oehl eine ganz eigene Art des Textens für sich beanspruchen kann. Diese Lyrik untermalt er mit einer basslastig-kunstvollen Musik, in der der Beat wichtig ist und immer wieder einzelne Töne und Instrumente in den Vordergrund der Melodie dringen. Ja, dieses Zusammenspiel tröstet mich, ohne dass ich traurig bin. Nimmt mich in den Arm, ohne etwas zu sagen. Die Musik von Oehl gibt Geborgenheit und atmet tief durch.
14 Tracks gibt es auf Keine Blumen. Drei davon sind kürzere Snippets und die übrigen elf strotzen nur so von Schönheit im Klang und Text. Also aufgelauscht! Ein gewisser Teil der Lieder befasst sich mit dem Thema Abschied nehmen oder Trennung. Der Auszug von zu Hause (Wie Motten Das Licht) war auch schon früher Gegenstand seiner Lieder. Zum Einen ist es der Blick auf die eigene Kindheit. Zum Anderen werden die eigenen Kinder auch eines Tages ausziehen. Wie wird sich das wohl anfühlen? Freiheit (wenn ja, für alle Beteiligten?) oder ein anderer Grad der Sorge? Perspektiven tun sich auf. Ähnlich wie in Ruh. Ein kraftvoller und trauriger Track über einen anderen Aspekt der Trennung. Was tun, wenn wir unsere Eltern beerdigen werden? Werden müssen? Herrlich, dass das Thema „Tod“ immer wieder aus Österreich so schön und feinfühlig aufgegriffen wird. In diesem Lied macht sich die lyrische Qualität seiner Zeilen so sehr bemerkbar. So richtig kann ich das gar nicht beschreiben. Die Gabe in Ariels Feder liegt darin, dieses Lied nicht so zerschmetternd, sondern durchaus hoffnungsvoll zu gestalten. Dass der Tod einer lieben, näherstehenden Person irgendwann allen Ruhe geben kann. Vom Leben und von der Trauer. Weitergehen ist noch ein Trennungslied. Vielleicht ist es Hjörtur gewidmet (die ersten Sekunden im Video könnten ein Anhaltspunkt sein), seinem Bandpartner, der das Projekt verlassen hat und vorher für die Musik verantwortlich war. Ja, jetzt fehlt ihr ein bisschen die feine Struktur, doch ein Schwenk ins Basslastige hat das hervorragend aufgefangen. Was für ein schönes Lied! Es zeigt so deutlich, dass Trennung immer körperliche Schmerzen mit sich bringt. Und das auf so unglaublich sanfte und dennoch präzise Weise. Genial! Der Titeltrack des Albums ist der nächste Trennungssong. Und wieder geht es um den Tod. Inspiriert durch einen Todesfall in der Familie, wo die Person im Totenbett meinte, dass bitte niemand Blumen mitbringen solle, das bringe nichts mehr. So schön, so wahr, so traurig. Ein Lied, das unterschwellig durch einen tollen Gitarrenlauf getragen wird und immer kraftvoller wird, ehe es zum Ende hin beinahe explodiert. Und in den ganzen Abschiedszeilen und -takten herrscht so viel Trost vor. Es ist beinahe eine körperliche Erfahrung.
Doch auch all die anderen Lieder wissen zu überzeugen. Ja, alle. Zwei möchte ich hier noch würdigen. Satt Werden ist das eine. Hier stellt sich die Frage, wie wörtlich Ariels Texte zu nehmen sind. Das schwankt gewaltig, meines Erachtens. Dies ist eher ein metaphorisches Stück. Denn das Album hat noch eine andere, gesellschaftspolitische Seite. Eine, die erlaubt, zu träumen. Eine, die auch zugesteht, dass diese Träume helfen können, die Krisen der Nachrichten, des Lebens, des Alltags zu meistern. Es sind ja beileibe genügend da. „Jedem Anfang ein Ende, so halten wir unsere Hände“, so wird in dem Stück am Ende chorisch gesungen. Zusammenhalten. Solidarität. Gemeinsam können wir uns halten, anstatt alleine zu verzweifeln, vor die Hunde zu gehen. Ja, die Frage stellt sich, wie wir den düsteren Aussichten Herr werden können. Die meisten Probleme sind seit Jahren, Jahrzehnten bekannt, doch - so meine Sicht - schlägt Profit der wenigen Mächtigen oft eine adäquate Lösung für alle. Also mal eben fliehen. Eine kleine Traumwelt bauen und aus dieser Kraft für die Realität schöpfen. Kein wirklicher Eskapismus. Und wenn, dann einer auf Zeit. Kein Schneckenhaus. Ein Schönland. Ein durchaus tanzbares Stück. Es half, dass Ariel es auf dem Appletree erklärt hat, denn vorher dachte ich, dass es eher nostalgisch sei. Nein. Keineswegs. Vielmehr eine hoffnungschnenkende Welt, die nicht kapituliert im Angesicht der vielen, fast unlösbaren Herausforderungen. Im Schönland ist das kein Problem! Nehmen wir alle ein bisschen Schönland mit. Es tröstet.
Auch die anderen Lieder, die hier jetzt keinen Platz hatten, sind unglaublich fein. Nicht nur deshalb sollten sich alle Menschen dieses Album kaufen. Sondern auch wegen der großen lyrischen Strahlkraft. Wegen der vielseitigen Instrumentierung. Wegen eines Gefühls, das transportiert wird. Zum Glück gibt es das auch bald auf Tour!
27.08.2022 - Hard, Schafferei Festival 29.09.2022 - Wien, WUK 30.09.2022 - Salzburg, ARGE 06.10.2022 - Basel, Gannet 07.10.2022 - Zürich, Bogen F 08.10.2022 - Dornbirn, Spielboden 13.10.2022 - St. Pölten, Cinema Paradise 14.10.2022 - Innsbruck, Treibhaus 03.11.2022 - Graz, Dom im Berg 04.11.2022 - Linz, Posthof 27.11.2022 - München, Ampere 28.11.2022 - Leipzig, Naumanns 29.11.2022 - Berlin, Frannz Club 30.11.2022 - Hamburg, Bahnhof Pauli 01.12.2022 - Köln, Yuca
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