Mittwoch, 10. August 2022

Appletree 2022, Teil 2: Die Musik

Los Bitchos live, geil! Quelle: facebook.com/appletreegarden
(Ms) Klar, die Überschrift des zweiten Teils vom vergangenen Appletree-Wochenende hätte auch „Das Programm“ lauten können. Denn das gab es an allen Ecken und Enden. Doch ich war halt nicht bei den Lesungen von Ilona Hartmann und Alice Hasters (kann aber ihr Buch sehr empfehlen), ich war auch nicht beim Yoga oder Rave Aerobic und ich war auch nicht beim Barista- oder Matcha-Workshop. Das hat unterschiedliche Gründe. Die letzten vier Punkte der kleinen Aufzählung finde ich persönlich fehl am Platz eines Festivals, aber wenn das Leute wahrnehmen, ist es doch fein. Dass Lesungen mittlerweile zum Status Quo von Festivals gehören, finde ich aus kultureller Sicht super, ich lese auch gerne und viel. Doch ich gehe für die Konzerte dahin.

Und davon gab es nicht nur reichlich, sondern auch reichlich Gute bis Herausragende. Ahja, eine Sache habe ich noch vergessen: An DJ-Sets bis morgens um 5 Uhr habe ich persönlich auch kein Interesse, daher kann ich dazu nichts sagen. Menschen aus unserem Camp fanden die aber äußerst gelungen. Es ist also bereits klar: Das Programm des Appletree Festivals ist wahnsinnig vielseitig. Es dürften eigentlich keine Wünsche offen bleiben. Noch schöner ist: das Booking ist enorm geschmackvoll. Es traten nicht nur viele verschiedene Stile auf, sondern die Qualität war zudem oft ganz weit oben!

Donnerstag Nachmittag also, halb fünf, große Bühne: Buntspecht aus Österreich eröffneten sie. Witzigerweise habe ich sie erst die Woche zuvor in Oldenburg live gesehen und war da schon sehr angetan. In 50 Minuten haben sie gezeigt, dass folkartiger Bläser-Tanz-Pop auf österreichisch sehr gut funktioniert. Die sechs Typen waren irre sympathisch und ich kann mich nicht daran erinnern, Trompete, Baritonsaxophon und Cello gleichzeitig auf einer Popbühne gesehen zu haben. Stark! Unter der Sonne mit einem kalten Cider in der Hand ließ es sich sehr gut aushalten. Es war die erste Band, die ich kaum oder gar nicht kannte. Und es folgten viele, viele mehr. Unter anderem Los Bitchos. Natürlich ein super Name, die Musik war noch besser. Der Kerl am Rand und die vier Mädels im Vordergrund haben instrumental berauschende Musik gemacht, die in jedem Tarantino-Film der Soundtrack hätte sein können. Das war ein rauschendes Fest und eine der Bands, von denen ich mir im Nachhinein mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Platte anschaffen werde. Curtis Harding zur Primetime haben wir eher aus dem Hintergrund verfolgt, doch sein entspannter Soul passte sehr gut zu einem lässigen Sommerabend. Den hat Dadi Freyr auf der großen Bühne beendet. Bekannt ist er als Teilnehmer des ESC für Island vor ein paar Jahren. Ein sympathischer, großer Schlacks mit einer einnehmenden Stimme hat damals eine Mittanznummer hingelegt. Und ein sympathischer, großer Schlacks mit einer einnehmenden Stimme hat am Donnerstagabend in Diepholz eine irre Popparty geschmissen. Ein ungewöhnlicher Headliner, der aber gezeigt hat, dass die Teilnahme am ESC eher ein Irrweg war. Stark!

So untypisch wie der erste Tag geendet hat, startete der zweite. Tiny Wolves spielten um 15 Uhr auf der Waldbühne (die andere große Konzertbühne, die nur durch einen Getränkestand von der großen Bühne getrennt war). „Noch nie gehört“, dachte ich mir vorher. Woher auch!? Es war ein Kinderchor, der aus der Gegend kam, gut 50 Kinder und ihr Musiklehrer, die stimmungsgeladen Hits von den Foo Fighters, Deichkind, Coldplay und Tomte schmetterten. Richtig stark! Super Idee. Direkt danach zu Sharktank, deren Sängerin und Kopf Katrin noch bis vor Kurzem Mitglied der Liveband von Oehl war. Irrungen und Wirrungen. Zu fünft spielten sie Crossover aus melodiösem Indiepop und 90er-Rap. Eine Kombination, die an einem Freitagnachmittag auf einem sommerlichen Festival sehr gut aufging. Ob mich das später noch mal packt, wage ich zu bezweifeln. Danach sahen wir The Holy. Kompromissloser Indierock mit zwei Schlagzeugern. Geil! Und dann sah ich mich in zwei Stunden gefangen, die ihresgleichen suchen. Und danach ging auch nicht mehr viel. Der erste Grund: Roy Bianco und Die Abbrunzati Boys spielten. Da ich sie abfeiere, wollte ich vorne dabei sein, hat geklappt. Ab dann wurde es aber auch immer voller und voller und die Menschen ringsum auch. Natürlich ist die Band ein Phänomen. Doch es scheint live einfach nur eine irre Sauf- und Tanzveranstaltung zu sein. Hatte ich an dem Wochenende nichts gegen, doch auf ein Solo-Konzert muss ich tatsächlich eher nicht mehr gehen. Dafür gab es aber eine knappe Stunde astreiner Musikgeschichte, südeuropäischem Charme und viel, viel, viel Schunkelei von „Maranello“ bis „Giro“. Da blieb kein Auge trocken. Doch der wilde Ritt ging direkt im Anschluss weiter und für meinen Geschmack wurde er auch noch getoppt. Denn es spielten Team Scheiße. Ja, richtig gelesen. Und was gab es zu hören? Knallharten, kompromisslosen Gaga-Punk vom Allerfeinsten. Was für eine schräge Erscheinung. Die Band, die Musik, die Texte, die mitunter sehr kurzen, aber kräftigen Lieder. Aus dem Munde des Sängers ging es viel um „Heftigness“. Passt. Zwischen Standortbestimmung als Karstadtdedektiv, Erlebnissen am Pfandautomaten oder einem eindringlichen Lied über den faschistischen Soldaten Franco A. Wo wurde diese Band denn bitte ausgegraben? Ein Sänger, der zwischen 30 und 70 hätte sein können, ein Bassist, der nicht mehr aufhören konnte, sich zu freuen und einer Karriere, die möglicherweise in kommender Zeit heftigst durch die Decke gehen könnte! Denn dafür steht das Appletree: Ein paar große Bands da zu haben und viele Kleine, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bald mal groß sein werden!

Samstag ging es erst später los, dafür umso schöner. Oft auf diesem Blog habe ich schon meiner großen Begeisterung Oehl gegenüber kundgetan. Und sie spielten am Nachmittag alte und neue Lieder in neuer Besetzung. Ich mag das Projekt von Ariel Oehl insbesondere, da ich derart poetische Texte auf Deutsch lange nicht oder noch nie gehört habe. Viel dabei, das ich nicht näher benennen kann, berührt mich ganz extrem, sodass ich oft Tränen in den Augen stehen hatte. Oh, wundervolle Kraft der Musik. Ende des Monats kommt das neue Album und es wird toll, das kann ich versprechen. Mit ihm auf der Bühne vier Menschen, die nicht nur sehr gut, sondern teils auch sehr begabt an ihren Instrumenten und mit ihren Stimmen waren. Phantastisch. Große Liebe. Dann einmal rüber zur großen Bühne und mal schauen, was Rikas so zu bieten haben. Nicht viel. Unglaublich eingängige, berechenbare und nichtssagende, etwas zu gewollte Pop-Folk-Musik, die der Soundtrack eines frühen Abendessens war. Auch die Düsseldorf Düsterboys, die ich beim Vorabhören ganz toll fand, haben mir live wenig gegeben, also: Kurze Pause im Camp, um schnell vor Noga Erez durchzuschneiden. Denn was die Dame dann auf die Bühne gebracht hat, bleibt lange im Gedächtnis. Viel Charisma hat die Frau und macht irre Musik. Irgendetwas zwischen riesigem Pop, Rap, Trap und so. Oft sah ich mich an die Gorillaz erinnert. Hammerhart mit brechenden Beats und durchdringendem Bass! Zudem mega sympathisch hat sie ein Konzert abgefackelt, das mich angestachelt hat. Auch hier werde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit Platten anschaffen. Das hat mich sehr begeistert, obwohl (oder gerade weil) es sonst gar nicht meinem Hörradar entspricht. Irre. Dann rüber zu Kat Frankie. Und es tat mir etwas leid. Denn, natürlich macht sie wunderschöne, sehr feine, toll arrangierte Musik, aber der Zauber, der ihrem Klang zugrunde liegt, sprang an diesem Abend nicht auf mich über. Dennoch möchte ich alles von ihr dolle empfehlen! Kakkmaddafakka haben wir uns nicht gegeben. Das war vor zehn Jahren mal unterhaltsam, jetzt brauche ich das einfach nicht. Stattdessen sahen wir noch einiges von Altin Gün. Holla! Super geil! Nahöstlicher psychedelischer Rausch mit vielen Lichtern, ungewohnten Harmonien und Melodien, die aber herrlich schnell ins Tanzbein gingen. Super gut. Auch das direkt mal für die Nachbearbeitung abgespeichert. Doch wir haben uns dann verabschiedet, um für den Headliner des Festivals einen guten Platz zu haben. Den haben wir gefunden und Metronomy haben gezeigt, dass sie dieser Rolle perfekt entsprechen. Musikalisch. Ja, es war ein etwas unpersönlicher Auftritt, ein wenig distanziert. Das war mir aber ein wenig egal, weil das eine berauschende Stunde war, der bei weitem nicht nur von ihrem Überhit „The Look“ geprägt war, sondern von einer puren Mannigfaltigkeit im Sound. Da wurden Lieder nacheinander dargeboten, bei denen ich den Eindruck hatte, dass stets eine gänzlich neue Band auf der Bühne steht. Die alten und neuen Sachen direkt nacheinander machen diesen Effekt aus. Zwischen satten Gitarren und traumwandlerischen Melodien lag oft nur eine Applauspause. Irre. Dazu sind sie mit einer tollen Lichtshow unterwegs. Außerdem war der Sound überragend. Sehr, sehr klar, deutlich, on Point, großes Kompliment an die Leistungen an den entsprechenden Reglern.

So gingen wir dann auseinander. Mit einem großen, großen Lächeln im Gesicht. Beinen, die ein paar Tage standen und es dem Körper danach heimzahlen. Einer Leber, die das immer noch gut wegsteckt und einem eindeutigen Beschluss: Wir kommen nächstes Jahr wieder!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (siehe Blog-Startseite unten) und in der Datenschutzerklärung von Google.