Foto: Max Zerrahn |
Moritz Krämer kommt genau aus der musikalischen Ecke, in der ich mich seit vielen, vielen Jahren sehr, sehr wohl - ja, zuhause - fühle. Doch die Hörgewohnheiten und -bedürfnisse haben sich geändert. Heute brauche ich keine emotional brüchige, melancholische oder befindlichkeitsfixierte Musik mehr. Es muss (für mich) originell, spritzig, frisch, meinetwegen auch politisch oder unterhaltsam oder gaga sein. Da sind nicht mehr so viele übrig, die (für mich) diesen Spagat schaffen. Klar: Kettcar, Fortuna Ehrenfeld, Gisbert zu Knyphausen, Alex Mayr, Alin Coen. Krämer mit seinem neuen Album Die Traurigen Hummer passt sehr, sehr gut in diese Riege hinein.
Krämers Markenzeichen ist seine oft schnodderige Aussprache, die aber einfach unfassbar sympathisch ist.
Was dieses Album künstlerisch so rund macht, ist der Mix aus einem sehr pfiffigen, angenehmen Sound und einem klugen Textverständnis. Klar, das ist Indiegitarrenpop, doch er kommt so leicht und verspielt daher - beinahe frech! Auf fast jedem Stück gesellt sich zum 'normalen' Bandsound ein Instrument hinzu, das Soli und/oder Melodien spielt. Das ist saugut gemacht, beugt jeder Eingängigkeit vor, macht immer neugierig, was als nächstes kommt.
Moritz Krämer ist einer von denen, wo ich mir oft nicht ganz sicher bin, wovon das jeweilige Lied eigentlich handelt. Mit der Frage: Ist das wichtig? Es sind oft Zeilen, die toll hängen bleiben: "Deine Synapsen sind träge / Und du lachst ohne Grund / Wenn das deine Krankheit sein soll / Werd bitte nie mehr gesund" ist beispielsweise auf dem Opener Nackt Und Einsam zu hören. Die Klarinette brilliert auf Finster und bringt eine schöne Wärme in das Stück. Ja, es geht natürlich auch befindlichkeitsfixiert zu auf diesem Album, aber es zieht mich nie runter. Moritz Krämer lässt dabei immer eine wohlige und runde Atmosphäre entstehen - sehr gut gemacht! Das ist paradox: Dieses Lied entfacht in mir ein gutes Gefühl, obwohl der Text gar nicht in diese Richtung geht. Hier wird auf eine Beziehung zurückgeblickt, die entweder zu Ende oder kurz vor diesem war mit der schlussendlichen Hoffnung, bereit zu sein für das familiär-spießige Glück, denn "die verlorenen Freude sind alle Väter geworden."
Auf Jetzt fragt er sich, was die alte Schulliebe wohl so macht. Die Person, mit der kurz vor dem großen Ausbruch von zu Hause, dem Start in Ausbildung oder Studium noch alles möglich schien. Auffliegen fällt daher auf, da kein Schlagzeug, dafür aber wunderbar tragende Streicher zu hören sind. Bei Austauschbar sind es wiederum Blockflöte und Klavier. Diese Abwechslung ist wirklich ganz herausragend gemacht. Anfangs herrscht auf diesem Song der recht fatalistische Blick auf die individuelle Rolle in der Welt. Klar, für große Systeme sind wir unwichtig und halt austauschbar. Beim Blick auf Freundschaften oder Lieben klingt das halt so hart und kalt, ganz anders dieses Lied: Es ist weich und warm und die gute Einsicht kommt auch am Ende.
Schwarzes Licht hat einfach eine wundervolle Melodie im Refrain, es ist das musikalische Highlight auf jeden Fall: Wunderbare Streicher, ein toller Basslauf, ganz sanfte und kluge Arrangements mit solchen Sätzen: "Sie spielen Liebe und wollen Zufall, aber geplant." Verlieren wiederum ist eher Storytelling-Stück mit feinem Humor und einem aufmerksamen Blick auf die Welt. Hat sich hier der Eisenbahnersound auf's Soloalbum geschlichen? Dann gibt es mit Beweisen einen richtigen Mutmacher-Seelenstreichler-Machdirkeinesorgen-Track. Und das nicht nur textlich (einfach mal genießen), sondern erneut musikalisch. Ich genieße dieses Lied so extrem, das ist wunderschön. Es scheint mir länger her, dass mir das bei deutschsprachiger Popmusik so erging. Danke an dieser Stelle.
Unbedarft und ohne konkrete Erwartung herangegangen und vollkommen belohnt worden! Was für ein wunderbares Album hat Moritz Krämer hier erschaffen! Nochmal: Vielen Dank!
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