Foto: May Hartmann |
(ms) Tausend Gründe und Möglichkeiten gibt es, auf neue Musik aufmerksam zu werden. Manche bekommt man im Nachhinein gar nicht mehr so richtig zusammen, vieles passiert automatisch. Bei Bayuk weiß ich es ganz genau und der Grund ist wahnsinnig profan, aber er macht genau den Unterschied. Vor gut drei Jahren schwirrte ich durch Facie und sah diesen Titel. Es war echt das Wort. Wäre es normal geschrieben, hätte ich wohl nicht drauf geklickt. Happiness klänge mir vielleicht genau das Stückchen zu platt und ein wenig kitschig. Haaappiiiiiiiiiiiiinneeeeezz hingegen knallt, ist laut, will gehört werden, springt mir ins Gesicht. Dass das Lied gar nicht so wild ist, war dann egal. Denn es strotzt vor purer Schönheit, hat brüchige Ästhetik und holte mich mit der Portion Melancholie ab, die ich lange nicht mehr gehört habe, die ich gar nicht mehr musikalisch suche und dennoch hat es mich gepackt. Es folgte für mich Old June, ließ mich sprachlos zurück. Dieser sanfte, so direkte Text in diesem unheimlich stimmigen Musikkorsett. Ich war baff. Schaute dann auf die Aufrufzahlen und konnte meinen Augen nicht glauben, dass sie so gering waren. Auch die Anzahl der Besucher bei seinem Gig auf dem Reeperbahn Festival 2018 war überschaubar. Doch dann ist etwas passiert. Mit diesem Sound habe ich echt nicht gerechnet. Ich sah nur fünf, sechs Stücke, doch die Intensität und Lautstärke haute mich um. Ebenso Rage Tapes, sein erstes Album.
Ein bisschen gesucht und recherchiert und gelesen, dass Bayuk (Magnus Hesse in echt) sich Ideen von Tobias Siebert (And The Golden Choir) und mighty, mighty Tobias Kuhn (Monta, Miles) holt. Das muss gut sein, das muss packen, es geht gar nicht anders. Festzuhalten bleibt: Bayuk weiß sehr gut, wie ein eigenständiger, kreativer Klang funktioniert, der irgendwo im Pop verortet ist, aber sehr kunstvoll ausgefüllt. Dann gelingt es ihm zudem so oft Zeilen genau in diesen Sound zu singen, die ohne Ende knallen. Bislang.
Vergangenen Freitag ist seine neue Platte auf Groenland Records erschienen und trägt den unfassbaren Titel Exacty The Amount Of Steps From My Bed To Your Door! Boom! Ist es echte Romantik oder Liebeskummer? Erneut habe ich mich in der bescheuerten Lage wiedergefunden: Oh, das muss genauso (gut) werden, wie der Vorgänger. Denkfehler: Ich wünsche mir das gleiche nochmal. Ist ja aber Quatsch, dann kann ich die vorhandene Platte ja direkt hören. Was ich aber schon erhoffe: Auf irgendeine Art nochmal so mitgerissen zu werden. Mit den ersten beiden Singles ist das noch nicht gelungen, egal. Eine Platte muss für mich als Ganzes funktionieren!
Als vorzuziehendes Fazit kann schon mal festgehalten werden, dass das Album nicht mehr so experimentell ist. Lieder wie Phantom Track oder Lions In Our Bedroom sind sowohl von der Länge als auch von ihrem mutigen, wunderschönen Arrangement nicht zu finden.
Was aber auch gar nicht schlimm ist. Denn ich kann es verstehen, dass Bayuk vielleicht etwas mehr gefallen will, etwas runder, leichter zugänglich sein möchte. Klar, wer möchte sich nicht eine gewisse Position erspielen?!
Knapp 40 Minuten dauert die Platte und beginnt mit herrlich schönem, schweren Klang. You Won ist der Beginn dieses Albums. Ein runder Sound, bei dem er leichte Verzerrungen in der Stimme fast als eigenes Instrument nutzt. Inhaltlich wird mit diesem Stück der Leitfaden, der Kanon der Platte festgezurrt. Ein persönlicher Blick zurück auf die Jugend, die vergangenen Jahre. 29 ist Bayuk, daher kann ich mich unfassbar mit diesem Schritt identifizieren, wenn das Erwachsenenleben so richtig da ist und so viel um einen herum sich bewegt, ändert, dann schaut man zurück. Er meint zu dieser Scheibe, dass er seine musikalisch-ästhetische Hülle des Erstlings abgelegt habe und nun eine klarere Perspektive möglich sei, auf sich selbst und seinen Klang. Fast ein zweites Debut also. Hörbar. 200 Miles ist beinahe folkpoppig, der biographische Anknüpfungspunkt vielfältig. Bei diesem Stück ist auch der private, melancholische Fokus ähnlich zu viel Indiepop aus den 00er Jahre, den auch Bayuk geprägt hat: Wo stehe ich mit dieser Beziehung, die gerade in die Brüche geht und was gebe ich dafür?
Ja, das brutal Experimentelle ist nicht mehr da, aber in den Zwischentönen zu hören. Das leichte Schwirren zu Beginn in Head Under Waves zum Beispiel. Musik dringt dann immer stärker ans Herz, wenn sie auch inhaltlich knallt. Dieser Song erwischt mich privat so heftig, dass ich ihm fast dankbar dafür sein muss.
Als große Tobias Kuhn-Fans müssen wir natürlich etwas aufmerksamer bei Different hinhören, da das Lied als Feature mit Monta ausgezeichnet ist. Es beginn mit Radio/TV-Stimmen, leichte Synthie-Klänge, Akustikgitarre, Stimmung kommt. Wenn Kuhns Stimme einsetzt ist sofort das Bild von Aufbruch da: Voranschreiten trotz gebrochener Seele. Ein Stück gefüllt mit poppiger Dynamik, das gefällt sehr schnell und gut! Auch ein sattes Gitarrensolo muss dabei sein, herrlich nostalgisch im allerbesten Sinne!
Eine persönliche, subjektive Einschätzung von Musik kann ich nicht vermeiden (die Freiheit des Bloggenden). Das Thema Melancholie spielt auf diesem Album schon eine große Rolle. Ist inhaltlich ja auch irgendwie klar, wenn all die Schattierungen der Jugend und des Heranwachsens betrachtet werden, insbesondere auf emotionaler Ebene. Das ist etwas, das ich seit einiger Zeit musikalisch gar nicht mehr suche und brauche. Daher holt ein Stück wie Oslo mich nicht ab. Es bedrückt mich auf schöne Weise, aber das will ich eigentlich gar nicht, aber Skippen tu ich selbstredend auch nicht.
Gleiche Richtung und gleiches Argument bei Holiday Lights, Dear Paul oder Elephants. Überall gefallen mit die kleinen musikkreativen Spielereien, doch sie sind eher Garnitur statt Hauptgang. Glücklicherweise ist Supercoolkidsuniverse dann noch ein Track, der wieder nach vorne drängt, leicht, fast tanzbar ist!
Doch die wenigen Tracks, die klanglich strahlen, können ein recht andächtiges, lyrisch intensives Album für mich nicht in ein helles, begeistertes Licht rücken. Damit meine ich überhaupt nicht die Qualität. Das ist toll komponiert und produziert, sehr schön gemacht. Aber die - ich muss mich hier wiederholen - melancholischen Parts begeistern mich nicht. Sie packen mich nicht. Sie ziehen mich runter. Und aktuell möchte ich von Musik nicht runtergezogen werden. So bleibt das hier ein sehr subjektiver Einblick. Mit Sicherheit wird dieses Album bei vielen Ohren ankommen, da bin ich mir hundertprozentig sicher. Magnus wünsche ich es von Herzen! Wenn er bald wieder live spielen sollte, stehe ich selbstredend da. Das könnte nämlich wieder alles ganz anders klingen!
Und wer weiß... vielleicht wird Album Nr. 3 ja wieder eine Neuerfindung seiner selbst!
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