Foto: Lucja Romanowska |
(ms) Auf C. habe ich momentan eigentlich gar keinen Bock mehr. Nein, ich ärgere mich nicht über die Entscheidungen der Politik. Dafür bin ich zu wenig weitsichtig. Und vieles ist mir mittlerweile vollkommen egal, da ich einigermaßen gut zurechtkomme. Nur in den Urlaub möchte ich mal wieder. Oder mit den vielen extrem guten Menschen aus Nah und Fern wieder lachend in einer Runde sitzen. Das ist kein Kitsch, aber großer Pathos. Das ist für mich okay. Wir müssen aber über C. reden, wenn wir das neue, sehr gute Album von Schreng Schreng & La La hören. Denn bei aktuell erscheinender Musik bestimmt es im Wesentlichen den Aufnahmeprozess. Zwischen Kreativität, ein wenig unterwegs sein im Sommer und dann wieder viel Ungewissheit beziehungsweise Verbot einer Zusammenkunft mehrerer Menschen, musste dieses Album raus. Das Ergebnis: Eine beeindruckende Bewältigung der Gegenwart (Czollek lesen - hier aber anders gemeint) und ein nimmermüder Beweis, dass es alles raus muss. Die Akkorde, die Melodien, die Rhythmen und selbstverständlich all die in Zeilen zusammengedichteten Gedanken, Sehnsüchte, Sorgen, Nöte, Reflektionen.
Und wenn da jemand wirklich gut drin ist, dann ist es Jörkk Mechenbier. Was in diesem Kopf los ist, würde ich gerne mal wissen. Manch Texter braucht sehr lange, um alles zu Papier zu bringen, die nötigen Menschen zur Realisierung zusammen zu bringen und es guten Gewissens zu veröffentlichen. Doch Mechenbier sprudeln die Gedanken und Lieder nur so raus. Ob Trixsie, Love A oder Schreng Schreng & La La. Wie viele Lieder er wohl schon geschrieben hat?!
Klar, sie wollten ins Studio - normal. Ging dann nicht. So wurde hin- und hergeschickt, gemeinsam gebastelt voneinander getrennt, immer am gleichen Strang ziehend. Jörkk mit Text, Lasse Paulus mit Musik.
In der dichtesten Phase der Produktion steht ein Abend für sich. Wie wohl die Stimmung war? Wie klar der Kopf wohl gewesen ist? Wie viele Notizen wohl herum flogen? Wie viel Kamillentee aufgekocht wurde? Denn: Jörkk schrieb alle Texte an einem (!) Abend und sang sie genau dann auch ein. Puh! Neben dem irren musikalisch-kreativen Output ist das wohl ein wahrer Höhepunkt an Schaffensenergie.
Dann hin und her. Rauf und runter. Hier und da. So hört man auch im ersten Track von Projekt 82, das am 26. März bei Rookie Records (wo auch sonst?!) erscheinen wird! Hunderte Sprachnachrichten aufgenommen, versendet, abgehört. Ein Best Of im Intro - super Idee. Und ja, die Themen von Jörkk sind auch C.-beeinflusst.
"Ich bin ein Longdrink aus zehn Kurzen, du meine 15 Liter Bier", so startet es auf Fremder Mutter Zwilling, die ersten gesungenen Worte des Albums. Der Gesang sanfter als bei Love A, die bitteren Erkenntnisse die gleichen. Zarte Melodien und Backpfeifen in alle Richtungen: gegen dich, gegen Politik, Wirtschaft und hauptsächlich gegen sich selbst. Du Kaputt Ich Kaputt wiederum ist ein bedingungsloses Liebeslied mit den guten alten Höhen und Tiefen des Zusammenseins. Schön ehrlich, schön bitter, was man von dem anderen erwartet und selbst (nicht) geben kann: "Dass ich genauso kaputt bin wie du dich fühlst."
Doch die allgemeine Wut gegen die EkelhAFDen kommt auch laut zur Geltung, für Alukappenspacken könnten sie sich auch Schrammel Schrammel & Kreisch Kreisch nennen. Insbesondere die letzten beiden Worte des Tracks sollten laut aus den Boxen scheppern!
Und immer wieder Zweifel und Abgrenzung und Selbstreflexion. Und so kluges Songwriting. Es macht sich im Zeilensprung bemerkbar, wenn Jörkk auf 1 Shanty Gegen Doof singt: "Auf Demos ist keiner mehr sicher / [Pause] ob er auf der richtigen Seite steht." Stark! Und wie unendlich schön, beide immer wieder als heillose, unheilbare Romantiker zu hören (Gesichtsmuskelzerrung). Und dass Humor und Musik gut funktionieren kann, dann ist hier auf Ernährungsberatung der nächste Beweis. Süßer, melancholischer Ukulelen-Sound, dazu ein paar Watschen zur abgefuckten Selbstoptiemierung. Lieber Bier genießen (auch in rauen Mengen) statt auf jedes Gramm zu achten! Herrlich!
Was der englischsprachige Titel Summer auf der sehr runden Platte macht, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht so genau. Und zum starken Ende hin nochmal zwei irre Zeilen, die man sich sofort unter die Haut brennen lassen möchte: "Für die Überdosis reicht die Kohle nicht / Weil Optimismus lediglich ein Irrtum ist" (Bremse) und "Viele Fehler gemacht - hallo Nacht" (Platzwunde).
Lässt man die Platte an sich heran (am Besten in Ruhe), dann packt es sofort zu. Am Hirn, Verstand und immer wieder ins Herz und gibt dem Hörenden einen Klaps auf die Wange, aufrecht weiter zu machen. Wünschen wir ihnen, dass sie möglichst bald wieder auf der Bühne stehen!
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