Freitag, 19. März 2021

KW 11, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: 11.lv
(ms/sb) Diese gesellschaftliche Auszeit macht mich ganz unkreativ. Diese kleine Einleitung ist, ich betonte es an unterschiedlichen Stellen, eine große Herausforderung. Es soll kurzlebig oder banal sein. Blöd oder witzig. In der richtigen Länge wichtig. Das sind einige der Möglichkeiten.
Heute entscheide ich mich für banal: Warum erfreut sich der langweiligste Schuh einer derart großen Beliebtheit? Das habe ich noch nie verstanden. Ganz ehrlich. Das ging mir im Sportunterricht früher schon so. Ich habe ihn immer gehasst. Diese dämlichen Poser, die direkt aus der Umkleide kamen, sich einen Ball (o.ä.) schnappten und dann wie nicht gescheit durch die Halle jagten, bevor es überhaupt losgeht. Wie blöd. Wir haben uns umgezogen und erstmal hingesetzt. Homo ludens am Arsch! Ich verzettel mich: sie trugen alle weiße Turnschuhe. Wie öde. Wie unglaublich öde. Genau so wie der Charakter der Träger. Das ist heute nicht anders. Warum weiße Sneaker? Sie sind wahnsinnig klobig, haben überhaupt nichts Ästhetisches und sind sicher auch noch sackteuer. Wozu? Dass sie schnell dreckig werden? Ich bin hier ganz ehrlich: Ich mag es, wenn der Schuh mit seiner Farbe knallt. Aber weiß knallt nicht. Null. Nicht in der Turnhalle früher, nicht heute. Nie. Ein langweiliger Schuh für langweilige Menschen.

Glücklicherweise schreiben wir über Dinge, mit denen wir uns auskennen. Luserlounge. Musik.
 
Loney Dear
(sb) Man könnte es sich nun natürlich leicht machen und einen Verweis auf das Frühwerk von Bon Iver platzieren. Mach ich aber nicht, denn das würde Loney Dear nicht gerecht werden und das Wirken des Schweden abwerten. Man würde dabei unterschlagen, welch brillanter Songwriter er ist, welch fesselndes Motiv er mit seinen maritim angehauchten Texten für sein Album A Lantern And A Bell (VÖ: 26.03.) gewählt hat und wie fragil und emotional er es umgesetzt hat. Das hat durchaus minimalistische Züge, portraitiert aber auf diese Weise ideal, was der Künstler zum Ausdruck bringen möchte. Eine Stimme, die zumeist nur durch ein Klavier, einen dezenten Kontrabass, gelegentliche Akkorde und diffuse Wassergeräusche begleitet wird. Die Niedergeschlagenheit, die Loney Dear bei der Entstehung des Albums begleitete, ist greifbar. Und doch geht man gestärkt aus den knapp 30 Minuten hervor und weiß, man ist nicht allein. Sehr super.

SYML
(sb) Draußen wirds langsam heller, aus den Boxen kommts noch immer düster. Kein Wunder, wenns um Trennung und Ängste geht. In diesem Fall beschäftigt sich Brian Fennell, der Künstler hinter SYML, mit der schweren Erkrankung seines Vaters und der Erkenntnis, ihn bald zu verlieren. Der Künstler war im Frühling des vergangenen Jahres gerade mit Dermot Kennedy auf Tour als sich COVID-19 zu einer Pandemie ausbreitete. Diese Zwangspause nahm der Amerikaner zum Anlass, sich zuhause in Seattle ins Studio zu begeben und weiter an einigen Textentwürfe und losen Kompositionen zu arbeiten, die sich in den Monaten vor der Tournee angesammelt hatten. Das Ergebnis lässt sich hören - und zwar sowohl einfach so nebenher, als auch ganz konzentriert im Vordergrund. Die EP DIM (VÖ: 16.04.) beinhaltet zwar "nur" fünf Tracks, diesen wohnt jedoch eine ungewohnte Intimität inne, die den Hörer unweigerlich berührt.


Jungstötter
(ms) Wenn Talent immer wieder so wundervoll ausgelebt wird, dann bleibt mir nichts anderes als Staunen übrig. Deshalb machen wir es hier auch ganz kurz. Sizarr war bereits eine Band, die zurecht sehr hoch gelobt worden ist. Fabian Altstötter, die treibende Feder, macht seit dem Erscheinen seiner Solo-LP Love Is Musik unter dem pfiffigen Namen Jungstötter und weiß in jedem Klavieranschlag zu überzeugen. War das Album ein unfassbar dichtes, sanftes, brillant arrangiertes Werk, ist Massifs Of Me (VÖ: 5. März) eine zarte, kurze EP, die nur aus Saiteninstrument und Stimme besteht. Zwei neue, zwei neu arrangierte Pianostücke. Fertig. Wunderschön, sehr nah, auf beste Art dramatisch. Eine einnehmende Überbrückung zum kommenden Album!


Feu Follet
(ms) Dark Wave als Genre habe ich lange nicht so richtig verstanden. Sind die Stimmen tatsächlich so oft verzerrt oder die SängerInnen außergewöhnlich talentiert/beschenkt? Was ja auch irgendwie völlig egal ist. Macht man die Augen zu und die neue Platte von Feu Follet laut an, wird man in einen dunklen Traum gesogen. Oft ist man dort in Fast Forward unterwegs, manchmal total verschwommen, dann wieder eher nebulös, beim nächsten Track findet man sich tanzend in einer dunklen Disco, wo es gruselig animalisch zugeht. Beim nächsten Track sitzt man auf einer Art slow-motion-schwarz-weiß- Autoscooter. Ganz unterschwellig beginnt dieser Sound zu faszinieren. Irgendwie ist man drin, gefangen. Und es ist nicht ganz klar, woher dieser Strudel kam. Sind es die klug bedienten Synthieinstrumente, die den dichten Klang erzeugen? Sind es die Stimmen, die einen an die Hand nehmen voller Ver- und Misstrauen gleichzeitig? Oder doch wieder die tollen Spielereien, die mal im Vorder- mal im Hintergrund tanzen? Alban Blaising wird es wissen, er ist der Kopf dahinter. Der Franzose agiert umsichtig: Schreibt die Musik, arrangiert und produziert alles. Doch auf dem neuen Album Beneath The Earth lässt er stets andere singen: Vlimmer, Pat Aubier, Isabelle B. Baumann und XTR HUMAN. Das Ergebnis: extrem abwechslungreich, spannend und traumwandlerisch.



Desolat
(ms) Schwer. Sehr schwer. Heavy. Dunkel. Langsam. Melodiös. Aber nicht schwerfällig. Kräftig. Diese Ruhe muss man bei einem derartigen Sound erstmal behalten. Wie aus einer vergangenen Zeit klingt er. Nach rausgestreckter Zunge. Schwarzem Outfit. Breitbeinigen, langhaarigen Gitarrenspielern. Wiegendem, versunkenen Headbangen. Völliges Understatement, wenn die Wiener sich Desolat nennen und so astrein abliefern. Am 19. April veröffentlichen sie eine neue EP: Songs Of Love In The Age Of Anarchy. Satte Ansage, die perfekt in diese kuriose Welt passt. Genau wie ihre Musik, möchte man sie gerne etwas langsamer drehen. Nicht falsch verstehen: Es passiert ja nichts, aber man steht die ganze Zeit unter Strom, oder? Niemand kennt sich aus, was ab welchem Wert passiert und wer wann wo nicht geimpft wird. Da bin ich beinahe froh, infiziert und genesen zu sein. Zurück zur Musik: Regelmäßig skandieren wir, wie wir es schätzen angebrüllt zu werden. Bei den Österreichern schätze ich wie harmonisch das bei den schweren Gitarren und dem kehligen Gesang doch aufgeht! Je weiter man in die EP rein hört, umso mehr ist festzustellen, dass Humor und satte Riffs sich nicht ausschließen! Wenn man beim Hören alles vergisst, dann hat Musik Ungeahntes geschafft! Dunkler, heavy Tipp aus dem Süden!



Lambchop
(ms) Nimmermüde Kreativität. Nie endende Lust auszuprobieren. Keine Furcht vor Experimenten. Immer alles mit einem roten Faden ohne irgendwo auszubrechen oder nicht wieder zu erkennen zu sein. Das trifft voll auf Kurt Wagner zu. Der Kopf, Texter, Hauptarrangeur von den wunderbaren Lambchop. Zugegeben, das vergangene Cover-Album Trip hat mich nicht vom Hocker gerissen. Es war fein, aber zu wenig originell. This (Is What I Wanted To Tell You) hingegen war klassische Fliesenleger-Manier! Nun hat er mit Klaviertönen, Sampelingmaschinen und (zum Glück) ohne Autotune gearbeitet und ein stilles, sensibles Album geschaffen. Tatsächlich: Das dritte Album in drei Jahren! Hut ab! Das hat er zuletzt mit seiner Band Mitte/Ende der 90er Jahre gemacht. Mich beeindruckt das. Lambchop ist eine Band, die nie für Aufsehen gesorgt haben. Banausen hören darüber hinweg. Doch der Sinn, das Schöne liegt im Leisen, kaum Ausgesprochenen. Ein immer wiederkehrender Hauch, der nur zu erspüren ist. Welch unfassbare Gabe, welch beneidenswertes Talent er mit uns teilt! Danke! Vorfreude!
Showtunes erscheint am 21. Mai bei den geschmackvollen Menschen bei City Slang!



Mine
(ms) Das Problem ist halt Folgendes: Hast du einmal am Stück auf wahnsinnigem Niveau abgeliefert, wirst du immer daran gemessen. Das gilt sowohl für Text als auch für Musik. Mir ist aktuell niemand anders bekannt, die so klug, raffiniert, kenntnisreich, empathisch, ehrlich und klar arrangiert und textet wie Mine. Wenn am 30. April ihr Album Hinüber erscheinen wird, ist Elefant bestimmt eines der schwächeren Lieder darauf. Zu gut sind Unfall und Mein Herz. Und ganz nebenbei: Warum gibt es gut sechs Wochen vor Erscheinen schon so viel Stoff daraus zu hören? Ist die Überraschung dann noch so groß oder ist das ein irgendwie seltsames Vermarktungsding? Ich verstehe das nicht.
Den Song verstehe ich jedoch sehr gut. Eine Ottonormalmetapher wird in einen Beziehungskontext gesetzt, dazu wird ein passend funky Beat garniert. Fertig. Dazu ein Video in klassisch (neuer) Mine-Optik und ein (gewollter?) Tanzverweis auf Toni Erdmann. Natürlich ist das ein absolut okayer Track, doch er kann (in meinen Ohren) nicht mit vielen anderen Highlights ihrer jüngsten Schaffensenergie mithalten. Die oben aufgeführten Beispiele sind eindrücklich, auch das tolle Feature mit Mädness ist ein paar Level darüber. Klar: Meckern auf hohem Niveau. Freuen wir uns also weiter ungehalten auf Ende April. Vorhersage: Ganz brutal starkes Album. Trotzdem.

 

Milli Dance & U.N.O.
(ms) Wenn Bock auf Zeit auf Scheißegal trifft. Dann baut Milli Dance mit U.N.O. zusammen ein Album. Der eine die Stimme von Waving The Guns, der andere ein alter Bekannter, der die Beats baut. Der eine in Rostock, der andere in Dresden. Der eine schreibt die Texte, der andere schnipselt die passende musikalische Untermalung. Zeit war ja zuletzt genug da, und was andere dazu sagen, war beiden eh schon immer egal. Conclusio: Machen! Ergebnis: Saustark! So wurden Ideen, Zeilen, Samples hin und her geschickt und es wurde größer und gewissermaßen runder. Fünf Vor Fick heißt das sympathische Album, das am 21. Mai selbstredend bei Audiolith erscheinen wird. Bei der ersten gleichnamigen Auskopplung beweist Milli Dance ein weiteres Mal, wie leidenschaftlich er hasst und dass gegen alle (!) ausgeteilt wird. Kompromisslos, ehrlich, sauber aggressiv. Was mich am Maskenträger immer wieder so beeindruckt: er macht und macht und macht. Ob WTG jetzt statt vier nur noch zwei sind. Ob er mit Pöbel MC eine Platte macht oder ein Feature mit Juse Ju. Immer Bock, immer extrem stark. Immer genau zum richtigen Zeitpunkt! Allein mit dem Track stecken sie den im Video auftauchenden Fatoni in die Tasche, dessen Album mit Edgar Wasser leider nur sehr dürftig geworden ist.
 

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