Montag, 1. Februar 2021

The Weather Station - Ignorance

Dunkles Cover eines textlich harten Albums.
(ms) Eine folklorige Aussage ist, dass Hass die höchste Form der Liebe ist. Das ist natürlich Quatsch. Quatsch ist jedoch auch, dass Hass das Gegenteil von Liebe ist. Ignoranz, so hört man hier und da, sei das Gegenteil von Liebe. Ja, das tut halt so richtig weh, wenn man gar nicht mehr angeschaut, berührt, wahrgenommen wird. Wenn man egal geworden ist. Wie es soweit kommen kann und wie sich das anfühlt, darüber hat Tamara Lindeman sich kreativ den Kopf zerbrochen und unter ihrem Band-Namen The Weather Station ein hervorragendes Album produziert, das am 5. Februar erscheinen wird. Ja, es trägt den Titel Ignorance und tut oft weh. Hier liegt die erste Stärke: Der Titel steht tatsächlich stellvertretend für das Album, kann also als Gesamtkonzept betrachtet werden. Obwohl The Weather Station ein Solo-Projekt ist, besticht ihr fünfte Album insbesondere im ausgefeilten Klang: Es ist fein, pfiffig, dicht, dynamisch, nie ausbordend und dennoch bestechend stark arrangiert.

Lange habe ich mich mit dieser Platte beschäftigt, es zig Male gehört, um den Sound zu durchdringen bis mir aufgefallen ist, wie wichtig die Texte des Albums sind. Und nun Hand auf's Herz: Allzu oft beschäftige ich mich nicht mit englischsprachigen Texten. Das bedeutet halt Arbeit und abends, wenn Zeit für Musik ist, will mein mäßiges Schulenglisch nicht mehr so wie ich. Doch dieses Mal hat es sich gelohnt - so sehr! Tauchen wir in ein Album ein, deren Texte dem Klang entgegenstehen.

Die Platte beginnt direkt mit einem der stärksten Lieder desselben. Es gibt auf Robber so derart viele klangliche Details zu hören, dass man es immer wieder von vorne abspielen möchte. Diese Feinheiten ziehen sich durch jedes einzelne Stück: Lindemans Stimme, die zart hauchend und ebenso bestimmend sein kann. Extrem ausgeklügelte Arrangements mit kammerorchesterhaftem Charakter und einem sehr ausgetüfteltem Schlagzeugspiel, das sich immer wieder beweist. In Kombination mit dem Saxophon kommt hier gar jazzige Stimmung auf. Die Dynamik, Entwicklung, Dramatik dieses Stücks ist cineastisch, ganz groß, einvernehmend und auf brillantem Niveau. Blick in den Text: Ein zarter Song mit klarer Gesellschaftskritik. Die Diebe brechen nicht bei uns zu Hause ein, sondern verhandeln an reich gedeckten Tischen und in Banken, um sich selbst an der Allgemeinheit zu bereichern.

Konzentriert man sich auf das Schlagzeug/Percussion-Spiel allein, entsteht auf Atlantic eine durchaus nervöse, angespannte Stimmung. Diese wird durch die Stimme der Kanadierin jedoch auf ein artpoppiges Level neutralisiert, sodass der Gesamteindruck keine Unruhe stiftet - ein Beweis von sehr umsichtigem Songwriting.
Als ich Ignorance zum ersten Mal hörte - ich kannte nur die beiden Singles Robber und Tried To Tell You - war ich ein wenig enttäuscht, weil mir der musikalische Drive fehlte. Doch dies ist keine Musik für den Hintergrund, auch wenn sie häufig eine seichte Stimmung verströmt. Im tiefen, mehrmaligen Hören entfacht sich hier der Zauber. Beispielsweise am letztgenannten Lied. Ein schöner Indie-Artpop-Track, der im Text groß auffährt: Das Verlangen nach jemand anderem, obwohl man die Gefahr des Vertrauensbruchs kennt. Hart. Die Stärke: Lindeman singt hier aus Sicht des Gewissens des Protagonisten. Und auch hier ist klanglich das Streicherensemble das stilprägende Element. Dass Tamara Lindeman auch Schauspielerin ist, sieht man in den dazu gedrehten Videos. Alle weisen einen tollen roten Faden auf. Sie wurden coronabedingt zum Großteil draußen gedreht. 

Auch in Loss steckt die musikalische Raffinesse im Detail: In den kleinen, eindringlichen Klaviermelodien. Der sensible Text könnte aus dem umwerfenden, harten Buch Ein Wenig Leben von Hanya Yanagihara stammen, wo der Hauptdarsteller nicht erkennen will, wie weh im manche Beziehung tut und sich vor der Wahrheit verschließt, sie ignoriert. Wer kennt es nicht?!
In die gleiche thematische Kerbe haut auch Separated. Erneut von musikalischer und textlicher Gegenseitigkeit geprägt: Die Melodien sind durchaus leicht, der Text so bitter. Hier schildert sie, wie man sich langsam, an so vielen Stellen auseinanderlebt. Trotz der harten Thematik, wird man selten depressiv dabei. Auf Wear sind es wiederum großartig platzierte Klarinettenmelodien, die in Verbindung mit den Streichern dem Klang ein wundervoll rundes Gewandt geben und sich aus dem Hinter- in den Vordergrund des Gehörgangs schleichen.

Trust ist die erste echte Ballade des Albums. Nachdem sie auf Separated ausgebreitet hat, wie man sich auseinanderlebt, so zeigt sie hier, dass trotz Zeit, die man hat, um Dinge, Missverständnisse zu klären, alles nichts hilft, wenn das Vertrauen zerbrochen ist. So wahr! Hier wird man beim Hören tatsächlich zum ersten Mal ein wenig melancholisch und treibt dem Ende des Albums entgegen, das einem durchaus den Rest gibt. Mit Heart und Subdivisions geht ein lyrisch hartes, musikalisch sehr reifes, rundes, raffiniertes Album zu Ende. Und das durchaus schwermütig in zwei Liedern die textlich erneut dem Leitthema den Rest geben.

Nach gut 41 Minuten endet Ignorance. Man taucht also wieder in das eigene Leben ein, das hoffentlich inhaltlich viel fröhlicher ist als das Thema der Platte. Es ist ein insgesamt eher leises, feinfühliges Album, das in all seinen Details - textlich und musikalisch - voller Überraschungen und Stärken steckt! Wenn man eine Lehre daraus ziehen möchte: Die aktuelle oder kommende Beziehung so gestalten, dass man sich in diesen Liedern nie wiederfindet. Und doch kennt man deren Aussagen.
Ein unglaubliches Album!


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