Dienstag, 23. Februar 2021

Boundaries - Maidan

Foto: Malthe Folke Ivarsson
 (ms) In Dänemark sind die Nächte nicht wesentlich länger als hier, die Strände breit, das Bier teuer, die Berge mehr als flach und die Legosteine ordentlich aufgebaut. Was also bringt eine Band dazu ein unglaublich dunkles, düsteres, drückendes Album einzuspielen wie es Boundaries nun getan haben? Die Antwort bleibt uns verborgen. Und es bleibt zudem zu hoffen, dass die Texte der Gruppe nicht aus eigener Erfahrung stammen, sondern zu einem faszinierenden Hang zur dunklen Seite der Seele, wie es sonst nur die österreichischen LiteratInnen vermögen. Weltschmerz, Hoffnungslosigkeit, Melancholie, Depression, Eingeengtsein, schwere Lasten auf der Schulter und Weltuntergang. Von physischer Gewalt spricht das Quartett an keiner Stelle, doch die psychische Bedrängnis ist in jedem Akkord zu vernehmen. Denn eines zeichnet ihren Erstling Maidan aus: Das Album ist ein gewaltiger Beweis dafür, wie druckvoll Gitarrenrock sein kann. Genau das ist es: Ein Rockalbum, wie es im Buche steht. Ohne Pose, ohne jegliche Allüren, doch aufgrund der finsteren Grundstimmung wahrscheinlich auch ohne Airplay. Wer sich der Platte öffnet, taucht ein in ein dichtes Universum, dominiert von großen Gitarrenmächten und packenden Stimmungen!

Die größte Referenz, die man an die Struktur der Musik legen kann, sind bestimmt die Editors. Doch mit einem bedeutsamen Unterschied: Die Dänen scheinen ihre Gitarren ein paar Stufen runter gestimmt zu haben und die Lichtblicke sind in der Regel nicht da, so konsequent sind sie. Die Stimmen beider Bands sind erstaunlich gut mit einander zu vergleichen; großes Plus!

Plattencover
Mit schwerem Schlagzeug, gezupfter Gitarre, tiefer Stimme und einem Bass, der für reine Nervosität sorgt, geht es mit Erosion los. Das sollte man laut hören, wenn textlich die Schwere der Welt auf den Schultern des Protagonisten schwillt. Man hat das Gefühl, die Platte wird mit jedem Track stärker. Auch auf Mirror Image geht es stets nach vorne, aber auch runter, in den Keller, wo menschliche Abgründe lauern. Die Gitarren sind im besten Sinne einnehmend und durchaus hypnotisch in ihrer Wucht. Doch das Pendel dieses starken Songs ist nicht beruhigend, sondern die musikalische Dichte unterstreicht die Depression, Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit im Text. Harter Tobak, starker Tobak.
Wie es ist, sich vor der Welt verstecken zu wollen, weil Menschen und Gedanken einen verfolgen, davon erzählt Reeds. Der Sound erscheint einerseits wie eine große, dunkle, bedrohliche Wand, Wolke, Welle: mächtig, erdrückend. Doch ihr wohnt auch eine schwer zu definierende Geschwindigkeit inne, die sich nur unter dem Wasser, in der Wolke bündelt. Eine irre Energie, die fesselt, dröhnt, kracht. Das ist ein äußerst starker, beeindruckender Effekt, den die Band hier erzeugt!
Mit A Song On The End Of The World kommt mittendrin ein Spoken-Word-Beitrag, der keineswegs das Tempo rausnimmt, sondern die spannungsreiche Stimmung aufrecht erhält. Denn der Tag, an dem die Welt untergeht, wird ein ganz normaler sein. Was für ein Horrorszenario fernab von irgendeiner vorhersehbaren Invasion.
In Rites Of Passage rollt die dunkle Welle weiter. Ein finster-dynamischer Track, der übers Land zieht und für Verwüstung sorgt - Woha! Im Track ist eine Guzheng, ein chinesisches Instrument, zu hören, das perfekt eingesetzt ist. Beim Konzert (Daumen sind gedrückt!) wüsste ich gar nicht, ob ich Ohropax tragen oder mich der irren Soundkulisse hingeben sollte. Häufig dominiert ganz unterschwellig der Bass, wenn er hoch und runter saust. Auf Tusk schnürt er einem die Kehle zu, wie das Messer im Text ihr nahe ist. Das Gefühl der Zeilen lässt sich auf Indefinite Hours am besten finden: I Don't Understand How To Feel Content. Das ist zu spüren. Gleichzeitig ist dies der ruhigste Song: Im Hintergrund eine verzerrte Gitarre, die einen Grundton schafft, darüber nur Stimme und Akustikgitarre, dennoch bleibt die erdrückende Stimmung dicht. Das liegt auch an vielen wiederkehrenden Instrumentalparts, die immer wieder überzeugen.
So kommt dieses unglaubliche Album auch zu einem irren Ende, wenn Harness ertönt. Mit was für einem gewaltigen Werk diese Platte endet, ist kaum auszuhalten. Sechs Minuten Power, unaufhaltsam dank des Basses, der einen wie ein unaufhaltsamer Strudel in den Bann zieht. Dazu werden dezent aber extrem eindrucksvoll Streicher in Szene gesetzt.

Maidan der Gruppe Boundaries ist ein überwältigendes Werk. Lange habe ich nicht derart energiereiche, dichte, dynamische, konzentrierte Gitarrenrockmusik gehört. Rockmusik, was für ein unglaublich verstaubter Begriff, den man mit langhaarigen Säufern und langweiligen Riffs verbindet. Die Negativbeispiele in meinen Ohren sind da immer die Foo Fighters oder Queens Of The Stoneage - Musik, die mich unglaublich anödet. Ich lehne mich weit aus dem Fenster, aber das ist okay: Die Dänen retten dieses Genre mit einem packenden Album!
Und das ist erst ihr Debut! Wie soll es denn nur weiter gehen?! Egal, der erste Schritt gemacht und haut einem direkt in die Seele und Magengrube. Was für eine Empfehlung, was für eine Platte!

Maidan erscheint am 5. März!

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