Donnerstag, 14. Januar 2021

Lo'Jo - Transe De Papier


Foto: Christophe Martin
 (ms) Regelmäßig mokiere ich mich bei Besprechungen zu Musik in längerer oder kürzerer Form über Genrebezeichnungen. Ihre Funktion ist ganz klar: Wir schätzen Musik in einen bestimmten Stil ein und können sie somit gruppieren, ganz ohne Wertung. Doch wie sinnvoll ist das ab einem gewissen Punkt? Beispiel 1: Sowohl Billie Eilish als auch Björk könnten als 'Pop' bezeichnet werden, obwohl ihre Herangehensweise und ihr Selbstverständnis von Musik - ganz abgesehen vom Klang - sicher stark auseinander gehen. Beispiel 2: Verklausulierte Wortkombinationen, die gar keine Vorstellung mehr entstehen lassen. Oder was könnte Grim Wave, Gothic-RnB oder Witch Pop sein? Ja, ich weiß es auch nicht, hilft auch nicht weiter.
Um Beispiel 3 soll es in diesem Text gehen. Das heißt: Weltmusik. Ein Wort, das größer nicht mehr sein könnte, es schließt nichts mehr aus, alles ist möglich. Dann könnte es ja auch Pop sein, oder? Genau! Doch genau das machen Lo'Jo eben nicht, das hier ist keine Popmusik.
Das französische Quintett fusioniert derart viele Stile, dass eine Bezeichnung Oriental Jazz Klezmer Voodoo Hypnotic Blues sein könnte. Aber darunter kann man sich halt auch nichts vorstellen. Nein. Weltmusik. Das habe ich bislang nicht verstanden, jetzt wird mir der Begriff klar, weil es so aufgeschlossen und auch experimentell ist, dass man dazu aufgeschlossen sein muss auch seine Hörgewohnheiten mindestens für ein Album ad acta zu legen.

Diesen Freitag, am 15. Januar, erscheint das nächste Album Transe De Papier. Ja, wer der französischen Sprache mächtig ist, und noch mehr kann und versteht als 'Artur est un perroquet' ist hier klar im Vorteil! Ja, ich habe keine Ahnung, worum sich die Texte drehen, vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig. Dieses Album will gespürt werden, am besten ein wenig lauter als ohnehin schon die Anlage eingestellt ist!
Es will erhört werden. Ja! Es gibt so unheimlich viel zu entdecken. Irgendwann habe ich aufgehört erraten zu wollen, wie viele Instrumente ich auf der ganzen Platte höre. Sie ist zwar nur 36 Minuten lang, doch ungemein abwechslungsreich. Man könnte sagen, dass eine nicht näher zu beschreibende Grundstimmung herrscht auf diesem Album: Geheimnisvoll, mystisch, hypnotisierend, nah.

Diese Nähe liegt an den Stimmen, die zu hören sind. Dazu gehören die des Bandkerns um Denis Péan und Richard Bourreau, deren Worte direkt ins Mark dringen, so warm und rund sind sie. Da die Zusammensetzung der Gruppe sich seit den 80er Jahren und 17 (!) vorher erschienenen Alben ständig ändert, sind andere Namen (leider) Schall und Rauch.
Getragen wird der Sound von den vielseitigen Percussion, wie stetig im Hintergrund wirbeln und eine angenehme Unruhe in die Musik bringen. Sie werden von Bass, Gitarre und Keyboard ergänzt. Grob. Denn die angesprochen breite Instrumentierung findet dann ihren Raum. Sei es der warme Klang der Klarinette auf Pas Pareil, der orientalische Sound auf Sépale (dessen instrumentalen Ursprung ich nicht erlauschen kann und so großartig mit dem Gesang Hand in Hand geht) oder einer Vielzahl an Saiteninstrumenten, die Minuscule eine wundervolle Leichtigkeit bescheren. 
Vielschichtig, mannigfaltig ist der Klang, dieses Erlebnis. Lo'Jo nehmen einen mit und setzen uns aus in einer verzauberten Traumwelt, die so bunt ist wir ihr Sound. Denn: Diese Traumreise hat viele Orte, ist verwunschen und mystisch. Man betritt den schmackhaft duftenden Orient, den bunten Norden Afrikas und Schamanenkulte weltweit. Weltmusik. Tanzen kann man zu Lo'Jo auf jeden Fall sehr gut, doch bloß kein Standard; am besten die Augen schließen und die Körperbeweungen von der Musik dirigieren lassen! Dafür sorgen auch prominente Gäste; beispielsweise Tony Allen, der auf zwei Stücken trommelt. Oder trommelte. Denn dies mag vielleicht das letzte Klangzeugnis des im vergangenen Jahr verstorbenen Drummers sein.

Verlassen wir also unseren Rock/Pop/Folk/Rap-Kosmos und tauchen in diese herrliche Welt ein, die Reise ist es wert! Versprochen!


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