Freitag, 18. Dezember 2020

KW 51, 2020: Die luserlounge selektiert

Quelle: pernod-ricard.com
(sb/ms) Was haben Nick Cave, The Hives und Nightwish gemeinsam? Zugegeben ist das eine etwas seltsame Konstellation, doch sie hatten kürzlich alle dieselbe Idee: Streaming-Konzerte zu veranstalten. Okay, das ist spätestens seit dem Frühjahr keine nennenswerte Innovation mehr. Einige KünstlerInnen haben sich dazu entschlossen, ein paar Auftritte habe ich gesehen: Mine, Enno Bunger und Waving The Guns haben beispielsweise stabil überzeugt! Doch die großen Namen hier erdreisten sich meines Erachtens eine Vorgehensweise dabei. Sie verlangen Eintritt dazu.
Da kann man jetzt sagen: Wie unsolidarisch ist das denn, wie kann man denn kritisieren, dass KünstlerInnen Geld für Kunst haben wollen? Ja, kann ich verstehen. Ich gebe gerne Geld für Konzerte und Platten und Merchandise aus. Doch meine verwunderte Ablehnung gegenüber der Bezahlschranke zu Online-Konzerten entspringt eher einem diffusen Gefühl. Ja, vielleicht wird das sehr professionell gemacht mit tollem Sound und ausgebufften Funktionen der Teilhabe (so bei The Hives angedacht). Mine, Fatoni und Fortuna Ehrenfeld haben während ihrer Online-Gigs Spenden gesammelt für die Kulturszene oder gemeinnützige Organisationen. Da habe ich gerne gegeben. Sowieso Fortuna Ehrenfeld, diese nimmermüden Supermenschen: In Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut und türkischstämmigen MusikerInnen haben sie mal wieder ein eineinhalb Stündiges Konzert auf die Beine gestellt, das man for free anschauen kann. Ja, das griffige Gegenargument zu den oben genannten Gruppen fehlt hier. Dennoch hoffe ich ausdrücken zu können, worum es bei dem (hinkenden) Vergleich geht.

Luserlounge hier. Weihnachtsstimmung auch eher noch in der Mottenkiste. Egal. Freitag. Selektiert.

Sofia Portanet
(ms) Wir würden gerne den Pop-Olymp und die hohen Chart- und Streaming-Plätze zerstören und so zusammensetzen, dass Qualität und Kunst oben steht und nicht nur belangloser Schrott. Doch leider funktioniert die Welt nicht, wie sie uns gefällt. Und so muss man auch bei der phantastischen Sofia Portanet sagen, dass ihre Musik viel zu wenig Raum bekommt für die Qualität, die sie hinlegt. Auch ihr großartiges Album Freier geist droht dann bei den anstehenden Jahresrückblicken nicht überall gebührend berücksichtigt zu werden. Ändern wir das! Mit ihrer eigenen fast neuen Veröffentlichung. I Trust kommt dieser Woche mit einem strahlenden Video aus der Berliner (?) Nacht daher, reichlich funkelnder Kostüme, viel Neon und genauso viel Kitsch, dass es nicht überschwappt. Nicht ganz neu ist das Lied: I Trust ist die englischsprachige Version von Menschen Und Mächte, das auf ihrem Debut zu hören ist. Ja: Ich finde die deutsche Version griffiger, programmatischer und in seiner textlichen Aussage griffiger. Also: Guter Grund, sich diese Platte noch zuzulegen und gleichzeitig das Video zu bestaunen:


Moon Taxi
(ms) Popmusik ist ja ein heißes Pflaster mit vielen Ausprägungen, Nischen und Richtungen. Einige Gassen und Sträßchen sind so klein, dass man sie kaum sieht. Sie gehen vom großen Pop-Weg ab. Sich dort zu behaupten ist halt auch nicht leicht. Und wir mögen Popmusik. Einige Künstler und Bands schaffen den Spagat zwischen Kommerz, großen Tönen, Kunst und Indie-Werkelei. Seit 2006 gehen Moon Taxi diesen Weg: Auf den ersten Hörer recht große Popmusik, doch sie ist ausgestattet mit allerhand Kniffen und Spielereien. Ihr Pop besticht mit zahlreichen Gitarrenfrickeleien, einer ordentlichen Portion Synthies und Effekte. Dazu gesellt sich ein oft tanzbarer Beat samt sehr angenehmer Stimme. Ja, man könnte ihnen Beliebigkeit vorwerfen, aber es macht auch sehr viel Spaß, sich mal nicht kaputt zu denken und ständig so aufmerksam beim Musikhören sich zu verkrampfen. Am 22. Januar erscheint ihr sechstes Studioalbum: Silver Dream! Vielleicht eine gute Idee, das neue Jahr etwas unbeschwert zu starten.
Interessante Randnotiz: Die Band kommt aus Nashville. Dem Zentrum des Country und einiger großen MusikerInnen und Bands. Sie nehmen den Geist der Vergangenheit und gestalten ihn mit ihrem Weg. 

 
Nax
(ms) Besuch aus Argentinien hatten wir auch schon lange nicht mehr. Das ist nun vorbei mit Nax! Dabei bin ich immer wieder erstaunt, wie gut es vielen Bands gelingt von den 80ern angehauchten Poprock zu machen, ohne dass es allzu nostalgisch ist. Der Hall passt, die große Synthie-Fläche im Hintergrund, die ganz fein dosiert ist, sowie das treibende Zusammenspiel aus Bass und Schlagzeug. Estrella Guía ist ein neuer Track der Formation um Nicolás Castello. Es bedeutet so viel wie 'leitender Stern', was man sicher hoffnungsvoll interpretieren kann in Wochen, die mal wieder reichlich schräg sind. Laut aufgedreht ist es auch ein tanzbarer Hit für den Dancefloor daheim!



Kapitän Plattes Lokalrunde
(ms) Bielefeld, was hat man nicht alles für Witze über dich gemacht? Ja, deine Innenstadt hat ein paar unschöne Ort, dein Fußballverein strotzt nicht vor Sympathie und es gibt sicher auch tollere Unternehmen als Dr. Oetker. Doch du hast auch so viele Ecken, die wirklich bestechend sind: Viel schöne Natur, eine nette Altstadt und natürlich richtig gute Clubs. Im Sinne von: Wirklich richtig gute Clubs. Unzählige Abende habe ich im Forum verbracht, als dort die legendären Visions-Partys stattfanden. Nicht nur eine super Idee, sondern auch ein klasse Laden: sehr bezahlbares Bier, furchtbar liebe Menschen an der Theke, dem Eingang, der Garderobe. Nicht zu vergessen der Pizzastand außen für/gegen den späten Hunger. Oder den Bunker Ulmenwall: Sicher einer der schönsten, ungewöhnlichsten Venues weit und breit. Erstmal im Nirgendwo der Innenstadt eine unscheinbare Treppe runter (!) gehen und dann tritt man in einen Bunker ein: Schmale Gänge und ungewöhnlich niedrige Decken für einen Club. Eine Bühne, die man zu 270° einsehen kann, wo die Band mal gern im Kreis angeordnet ist und sich via Spiegel unter der Decke verständigt. Seit ein paar Jahren gehört auch das Nr. z.P. dazu, in bester Nachbarschaft zum Forum. Ein bisschen moderner, ebenso sympathisch. Fatoni hat den Laden mal nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Überall dort findet seit Wochen, Monaten nichts mehr statt. Schlimm. Was tun, dachte sich das Bielefelder Label Kapitän Platte und veröffentlicht Anfang Januar einen Soli-Sampler: Kapitän Plattes Lokalrunde. Zu den drei genannten Clubs, die davon direkt (!) profitieren, gesellt sich noch das Movie - da war ich allerdings aus unerfindlichen Gründen nie drin. Was ist zu hören? Neun Lieder lokaler Bands samt all möglicher Spielrichtungen: treibender Rock, sphärischer Post Rock, Indie, New Wave. Ja, das lohnt sich. Mit dieser guten Sache unterstützt man Menschen voller Herzblut, die vor Ort verankert sind, phantastische Arbeit machen und das (Nacht-)Leben der Stadt bereichern!


Lizzard
(sb) Bis zum Release von Eroded am 19.02.2021 wird noch einiges Wasser durch den Bodensee fließen, aber ich habe schon mal ein erstes (und zweites und drittes) Pre-Listening des neuen Albums von Lizzard gewagt und fühle mich gut 25 Jahre zurückversetzt. Geschmeidiger 90er-Jahre-Sound in neuem Gewand. Die Franzosen klingen mal wie Alice In Chains, gelegentlich noch ein bisschen härter - und transportieren trotz allem weder eine Grunge- noch eine gängige Metal-Attitüde. Kann man ihnen ja durchaus positiv auslegen. Mit Prog-Rock kommt man der Sache wohl am nächsten. Die elf Tracks lassen sich auch easy am Stück durchhören, nix zum Skippen dabei - und doch fehlt mir so das Momentum, wirklich darauf einzusteigen, gefesselt zu werden. Schade eigentlich.

 
Oi Va Voi & Anna Phoebe
(ms) Es gab ja mal eine Zeit, in der New Age-Musik sehr populär war. Diese recht spirituell angehauchte Popmusik à la Enigma, wo auf breite, große, ins Kitschige gehende Synthie-Flächen teilweise Text drauf gesprochen wurde. Bisschen unheimlich, aber auch bisschen geil. Es ist ein extrem hinkender Vergleich zur neuen, sehr hörenswerten Bearbeitung eines Liedes von Oi Va Voi durch deren Violinistin Anna Phoebe. Hier wir auch mit Hall, pulsierendem Beat und frickeligen Soundkonstruktionen gearbeitet. Die Formation mit neun (!) Mitgliedern machen die beste Interpretation von Weltmusik: Irgendwo zwischen Jazz, Pop und viel groovigem Sachverstand, was nicht näher zu beschreiben ist, aber sehr gut aufgeht. Vanished World erschien auf dem letzten Album und Phoebe gab dem Track einen neuen Anstrich: Mehr Tempo, mehr Dramatik, mehr Griffigkeit, man könnte dazu tanzen. Die Ausgangsversion war etwas langsamer, feiner, fast melancholisch. Toll, was die Violinistin daraus gemacht hat!


Monaco F
(sb) In Bayern genießt Monaco F ja durchaus Kult-Status und das völlig zurecht. Sein Jahresrückblick auf dieses seltsame 2020 erscheint heute und wird im Freistaat sicher wieder ordentlich eskalieren. Ebenfalls zurecht. Schließlich war und ist 2020 nur So Mittel - und das wird man doch mal sagen und rappen dürfen.
 

Gossenboss Mit Zett
(ms) Die Auswahl von Rap auf unserer Seite lässt sich ganz grob kategorisieren: Flow, bisschen Nonsense, Sympathie, klare politische Einstellung und eine genau dosierte Portion Hass. Dazu gesellt sich nun Gossenboss Mit Zett! Bester Oldschool-Rap, auch wenn das die 'Szene' vielleicht anders sieht - mir egal. Stabiler Beat mit Wumms und einfach schnörkelloser Rap darüber. Das reicht, das passt. Vor zwei Jahren sah ich den Dresdener Rapper als Support von Neonschwarz; möglicherweise kann ich mich an seinen Auftritt nicht mehr so recht erinnern. Am 12. März jedoch erscheint seine neue Platte No Future. In die gleichnamige Single kann man nun reinhören, sie macht sehr neugierig und steigert die Vorfreude auf das Album! Schön laut gedreht:

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