Foto: Frederike Wetzels |
(ms) Krautrock war lange Zeit ein eher diffuser Begriff für mich. Dachte eher, dass es eine Epoche als ein Genre bezeichnen würde. Doch weit gefehlt. Ein paar Bücher und aufmerksame Hinhörer später, war ich um einiges klüger. Es ist doch mehr als bemerkenswert, wie innovativ und zukunftsträchtig die 70er Jahre waren und wie wenig sie zu jener Zeit beachtet worden sind. Zeitlos - nichts weniger als das. Absolut genial und neu. Neu! Das ist genau das richtige Stichwort, wenn man sich das kürzlich erschienene (6. November), sehr gute Album von Urlaub In Polen anhört.
Es ist unverkennbar, wie Sounds aus den 70er Jahren darin wieder auftauchen. Aber auch der Geist dieser Musik. Ich bin wahrlich kein Experte dieser Zeit und auch viel zu jung dafür, doch Hallogallo von NEU! war ein Hit, der heute seine Effekte nach sich zieht! Diese stoische Dynamik, die hinter dem Lied steckt, ist faszinierend. Zehn Minuten treibt das Lied vor sich hin ohne auch nur in einem Takt Langeweile aufkommen zu lassen. Man muss es sich immer wieder bewusst machen: Das Stück stammt aus dem Jahre 1972.
Klaus Dinger und Michael Rother haben danach nicht mehr zueinander gefunden. Beide waren Genies, die sich dann auf ihren Wegen verwirklicht haben.
Dass Jan Philipp Janzen und Georg Brenner nochmal zusammen finden würden, war so auch nicht abzusehen. Das sind die Typen, die hinter dem sehr guten Bandnamen Urlaub In Polen stecken. Vor neun Jahren veröffentlichten sie ihr letztes Album und lösten dann die Band auf. Nun ist All zu hören. Und was haben sie sich für eine schöne Doppeldeutigkeit dabei ausgedacht: Zum einen die englische Bedeutung und die deutschsprachige Unendlichkeit, wenn man gen Himmel guckt. Auf wunderbare Weise passen beide Begriffe zu dieser Platte.
Doch für eine reine Aufwärmung altbekannter Töne, Melodien und Musikgeister à la Conny Plank sind Janzen und Brenner viel zu kreativ. All ist kein reines Krautrockalbum, das sehr gut diesen Stil ins Heute bringt. Es geht weit darüber hinaus. Wobei es mit Impulse Response recht krautig startet. Wie gut dieser Track arrangiert ist, ist kaum auszuhalten. Denn die wahre Kunst ist ja, bei den wenigen Änderungen in der Musik den Hörer bei der Stange und die Dynamik aufrecht zu halten. Dazu nutzen sie auch verzerrten Gesang und Gitarrenakkorde, die immer wieder das Grundgerüst aufhellen; wobei genau dieses konstante Rhythmusgerüst nie an Spannung verliert.
Das recht kurze (eineinhalb Minuten) 2 Sec. Delay ist ein weiteres, sehr kurzweiliges Beispiel dafür, wie weit sie sich über die 'Tradition' hinaus bewegen. Und das sehr sicher und eigenständig mit ihren irgendwie weltallklingenden Synthie-Tönen. Und auch T.H.D.T. überzeugt direkt ab dem ersten Takt. Vielleicht sollte ich mich nochmal kneifen, aber Brenners Stimme ähnelt darauf stark der von Damon Albarn - super gut! Ja, ein gewisser futuristischer Unterton ist der Platte nicht abzusprechen, der sich auch in der anderen Interlude, Rodeo, herausperlt.
Ja, einige Töne und Effekte knarzen, wie immer wieder in The Witcher zu hören ist. Doch stören tun sie nie. Viel mehr machen sie das Hörerlebnis spannend ohne gewollt zu klingen. Es ist ein weiteres Stück, das immer wieder recht krautig-monotone Parts aufweist, aber genauso oft durch innovative Parts überzeugt. Etwa, wenn es ausbricht oder im Hintergrund ein Saxophon singt, mäandert und sich mit Brenners Stimme abwechselt.
Krautrock wohnt ein sehr hypnotischer Charakter inne, der sich stark von dem der psychedelischen Musik unterscheidet. Letztere reißt den Hörer mit Wucht in den Bann. Krautrock ist da sanfter, feiner, unbewusster, unterschwelliger. Und das macht den Reiz aus, dass man nur so indirekt eingelullt wird und es gar nicht richtig merkt. Bestes Beispiel dafür: Overall.
Ob das Schlusslied Proxy Music eine Anspielung auf die Band von Brian Ferry ist, bleibt nur Spekulation. Klanglich würde ich sagen: Nein. Aber wer weiß, was sich die beiden Soundtüftler dabei gedacht haben.
Ja, Urlaub in Polen haben eine sehr gute Platte veröffentlicht. Ja, sie wird der breiten Öffentlichkeit eher verborgen bleiben, weil der Markt zu/so groß ist. Doch egal. Für den kommerziellen Erfolg oder Fame machen Janzen und Brenner sicher keine Musik. Sondern um der Atmosphäre, der Emotionen, dem Drive wegen. Und das ist ihnen auf All außerordentlich gut gelungen!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (siehe Blog-Startseite unten) und in der Datenschutzerklärung von Google.