Montag, 12. Oktober 2020

The Screenshots - 2 Millionen Umsatz Mit Einer Einfachen Idee

Foto: Frederike Wetzels

(ms) Welche war die letzte relevante deutschsprachige Band im Gitarrenrockbusiness? Und: Ist das wichtig? Oft sind es ja die Bands, die eh schon lange da sind, die dann die entsprechenden Reputationen bekommen. Ich frage mich: Wie wird man in fünf bis zehn Jahren über eine Band wie Provinz oder Giant Rooks berichten, die gerade ganz gut Oberwasser haben? Werden sie sich einen Rang erspielen können? Ein Blick in die Glaskugel ist dabei wenig hilfreich, es wird sich zeigen.
Nein, junge Bands, die auf Deutsch singen, wollen sich ja auch irgendwie einen Rang erspielen. Mit ihrer Geschichte, dem Sound, der Darstellung oder den Texten.
Damit sind wir bei The Screenshots, die sich ja eine etwas dämliche Bandgeschichte zusammengesucht haben: über Twitter kennengelernt unter den Namen Kurt Prödel, Dax Werner und Susi Bumms. Anonym bleiben ist ja okay, aber das ist doch etwas zu viel Blabla. Oder ist das cool und ich verstehe es nicht? Bin ich zu spießig, um es originell zu finden? Doch hier gilt ebenfalls: Auch egal!

Lange Zeit ist das Trio gar nicht in die Öffentlichkeit getreten. Und dann der erste richtige Auftritt direkt bei Böhmermann. Kann man machen! Doch auch da blieben sie gesichtslos.
Nun treten sie seit letztem Herbst vollständig ins Licht und am 16. Oktober erscheint bereits ihre zweite Platte Namens 2 Millionen Umsatz Mit Einer Einfachen Idee.

Letztes Jahr auf dem Reeperbahn Festival sah ich sie abends im Terrace Hill und die Drei haben eine schön energiegeladene Show abgeliefert. Knarzige Gitarre, Bass, wirbelndes Schlagzeug, kehliger Gesang. Mehr braucht es ja oft nicht. Genau diese Power bringen die Krefelder (wenn man ihrer Herkunft glauben kann) auf Platte!
Was The Screenshots auf diesem Album sehr gut machen, ist, dass sie nie versuchen, irgendeiner der großen Genre-Bands hörbar nachkommen zu wollen. Sie kommen anders daher als Kettcars Storytelling, Tocotronics beinahe nerviger Intellekt oder der Eigenwilligkeit von Die Sterne. Die Zeit nannte ihre Musik "Diskurs-Pop". So weit würde ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Ja, sie wollen Debatten aufnehmen und voran treiben, aber für meinen Geschmack fehlt diesem Anspruch der programmatische Charakter. Ich wiederhole mich: Auch egal!
Ihre Texte schwanken zwischen Alltagsbetrachtungen, Humor, Übertreibung, Konsumkritik, Reflektion und Lakonie. Und auch die gute, alte Liebe darf nicht fehlen. Wenn man es jetzt aber irgendwie zusammen bringen will, dann kann man das Trio als irgendwie gearteter Mix aus Fortuna Ehrenfeld, Selig und der Gruppe Sport betiteln. 

Große Unterstützung braucht die Band eigentlich nicht. Ihr Sound und ihre Texte funktionieren super. Doch für Träume holten sie sich LGoony dazu und spielen beste Indie-Manier im Zusammenspiel aus Gitarre, Gesang, Schlagzeug, Tempo und Groove. Bleiben dabei schön unaufdringlich. Bis auf den Refrain: Da wird herrlich gebrüllt. Sowieso: Das tun sie auf den elf Song sehr gern und sehr gut. Auf perfekten Gesang wird kein Wert gelegt. Auch bemerkenswert, dass sich LGoonys Autotune gut in den Klang der Band fügt!
Ging es eben noch um Konsumkritik, wird auf Walter White Ist Tot das nächste modern-zivilisatorische Thema aufgriffen: Binge Watching! Und der Track enthält schöne kreativ-musikalische Reflektion: Alles gesehen, alles geguckt, vollkommen abgestumpft, gähn! Irgendwann enden wir dann wohl die eine Figur aus David Foster Wallaces Unendlicher Spaß: Verhungern vor der Flimmerkiste, weil wir nicht aufhören können uns zu berieseln.
Dann folgt noch Wir Lieben Uns Und Bauen Uns Ein Haus: Das Thema von einem 'Uns' Anfang der 30er: Heiraten, zusammen ziehen, Kinder kriegen, Haus bauen, endlich ein bisschen spießig sein mit Auto unterm Carport. Die wilde Zeit ist dann ein Stück weit vorbei. Doch die mit dem Titel identische Zeile wird hier so herrlich rausgebrüllt... das tut ja beinahe gut!

 
 
Auf John Mayer darf Susi Bumms dann ans Mikrophon und seziert sexistische Popsongtexte: ein toller feministisch-reflektierter Track, der dem Business gut tut. Hier wird auch nicht lange um den heißen Brei herum geredet, sondern Scheiße als Scheiße deklariert.
Zum Ende hin wartet dann noch ein weiterer, super Brüll-Song: j@@@@@ heißt er. Nun gut, lassen wir dem Trio das. Und das Lied ist der ideale Beweis, dass die Drei auf Perfektion keinen großen Wert legen, sondern einfach machen: die Gitarren schrammeln und nach der Studioaufnahme hatten sicher alle drei eine Stimmbandentzündung, dabei ist der Song eine schöne Liebesbekundung!

Fassen wir zusammen: Auf die Geschichte, den (digitalen) Auftritt und die Pseudonyme müssen wir keinen Wert legen. Auf dieses sehr gut gewordene Album jedoch schon! Uh, was bin ich gespannt, ob sie sich einen Rang erspielen können. Ich gönne es ihnen wirklich. Sie haben es sich mit dieser Platte mehr als verdient!

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