Freitag, 18. September 2020

KW 38, 2020: Die luserlounge selektiert

Quelle: griffinproperties.net
(sb/ms) Ein Hoch auf die Shuffle-Funktion! Kopfhörerlos wird momentan nur daheim genossen. Sei es drum. Es gibt so Momente und Orte, da bin ich selbst immer super gespannt, was für Musik sich denn auf meinem Handy befindet (ja, ich bin Streaming-Verweigerer und habe einfache mp3-Dateien auf dem Telefon). Insbesondere beim Kochen werde ich häufig von mir selbst überrascht. Während ich zu den Zwiebeln und den Knobi kaum zu halten bin, weil Love A ballern, hüpfe ich zu den Tomaten wie nicht gescheit zwischen Schneidebrett und Kühlschrank hin und her, weil Deichkind auf ihrer letzten Platte doch recht eindrucksvoll bewiesen haben, dass sie es immer noch können. Während das Öl in der Pfanne langsam tanzt, sind es dann wieder Friska Viljor, die mich für einen kurzen Moment melancholisch werden lassen (die letzte Platte lässt grüßen!). Langsam ging es dann wieder stimmungsvoller zu, als der ganze Gemüsekram angebraten wurde, denn Sam Vance-Law besticht halt mit einer unverschämten Lockerheit und viel Coolness! Während die Stärkebeilage zu Ende gequollen ist, skippe ich kurz Kreator (was haben die denn da verloren?) und lausche noch eben Enno Bunger. Das muss man halt auch nicht begründen, warum das gut ist. Ach, du Welt der Töne, Du machst mich froh!

Dieser Wochenüberblick hat auch einen shuffleähnlichen Charakter. Luserlounge. Freitag. Gerne.

The Screenshots
(ms) Reden wir darüber, wie Bands ihre Gründung erzählen. Sympathisch und irgendwie schön: Die Jungs von Friska Viljor wurden gleichzeitig von ihren Freundinnen verlassen, betranken sich massiv, gründeten die Band. Wirr und dadurch irgendwie auch sympathisch: Völlig entgegen gesetzte Aussagen von ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead. Bisschen gaga: The Screenshots. Sie sollen sich über Twitter kennengelernt haben, Wikipedia nennt sie 'Internet-Künstler'. Wenn es ein erfundener Mythos sein soll, erkenne ich nicht mal die ironische Ebene. Die brauchen sie auch gar nicht. Denn das Trio überzeugt auch rein musikalisch und erinnert ein wenig an The Subways. Musikalisch und optisch. Schlau für die Saga war natürlich auch der anonyme Auftritt bei Böhmermann als wirklich erster Gig. Jetzt zeigen sie aber ihre Gesichter und kündigen die nächste Veröffentlichung an: 2 Millionen Umsatz Mit Einer Einfachen Idee - so heißt die Platte, die am 16. Oktober erscheinen wird. Man darf gespannt sein, ob es eine selbsterfüllende Prophezeiung sein wird. Träume ist die erste Auskopplung und dafür haben sich die drei (Schein-?)Krefelder LGoony mit ins Boot geholt. Ein Track zwischen Ironie und Ernst, mit ordentlich Tempo und Gitarre, so soll es sein. Vorhang auf:  


Kitty Solaris
(ms) Dinge, die fehlen: Tanzen! Natürlich wird das in den eigenen vier Wänden intensiv betrieben und gerne auch schräg und verrenkt, sollen die Nachbarn doch denken, was sie wollen...
Doch es wird dem Club-Gefühl, das ich derzeit so schrecklich vermisse, niemals nahe kommen. Die Hitze, die Lautstärke, die Dichte, der schöne Rausch, die Energie, die im Laufe des Abends entsteht. Blicke, die ausgetauscht werden, gehören natürlich auch dazu. Dazu passt der neue Track von Kitty Solaris ideal: Cold Blood. In besagtem Szenario pulsiert das Blut natürlich. Dann setzt passend zum langsamen, aber doch stimmungsvollen Bass, der diese Elektro-Nummer trägt, Kittys Gesang ein legt sich ideal darüber. Schnell harmoniert dieses Lied gewaltig in sich selbst und verströmt eine lässige und gleichsam schwungvolle Stimmung. Super Soundtrack zum Wochenende!
Der Song wandelt schon eine Woche auf dieser Erde, heute (!) erschien die gesamte Platte dazu. Sunglasses waren nicht nur diese Woche wettertechnisch vonnöten, jetzt sogar auditiv!

Leto
(sb) Kurz vor meinem Urlaub erreichte mich ein kleines Päckchen von Rookie Records; darin enthalten u.a. die neuen Alben von Frau Doktor, Schalko und Leto. Natürlich machten sich alle Scheiben mit auf den Weg nach Italien und so wurde dort nicht nur Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys gehört, sondern gelegentlich auch deutscher Punk. So wirklich in Erinnerung geblieben davon sind jedoch nur Leto, bei denen ich vom ersten Track an das Gefühl hatte: "Moment, das kennst Du doch! An was erinnert Dich das?" Erst ein paar Tage später kam ich drauf und war erstaunt, dass mich die stimmliche Ähnlichkeit (zumindest in einigen Passagen) zwischen den Hamburgern und den Husumer Kollegen Turbostaat so lange beschäftigt hatte. Wie dem auch sei: Wider (09.10.) vereint auf seinen zehn Tracks Punk, Emo, Hardcore und Indie, die Lyrics wirken wohldurchdacht und abwechslungsreich: Es geht beispielsweise um eigene Erwartungen, Selbstoptimierung, Anspannung, aber auch um Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigung. Wer willst Du sein? Wer kannst Du sein? Welchen Druck hältst Du aus? Fragen von Leto, die jeder nur für sich beantworten kann. Das Album jedenfalls hinterlässt Eindruck, live gibts das Ganze hier zu bestaunen (weitere und Ersatztermine sind in Vorbereitung):

08.10. Hamburg, Molotow SkyBar (Releaseshow)
21.11. Lübeck, Blauer Engel
25.11. Köln, Gebäude 9 (Support für Love A)
26.11. Hannover, Faust (Support für Love A)
27.11. Wilhelmshaven, Kling Klang
28.11. Eberswalde, Exil
12.12. Bonn, Bla
23.01. Braunschweig, B58
19.02. Jena, Café Wagner
20.02. Glauchau, Café Taktlos


Suzanne Vega
(sb) Bei den Stichworten "New York" und "11. September" zuckt man unweigerlich zusammen, in diesem Fall aber gibt es keinen Grund dazu, denn es handelt sich lediglich um das Leitmotiv bzw. Veröffentlichungsdatum des neuen Albums von Suzanne Vega. Als die inzwischen 61-Jährige Anfang 2019 in New York City's berühmtem Café Carlyle (zB Woody Allen und seine Jazzband spielten wöchentlich dort) auftrat, war Corona noch in weiter Ferne und entsprechend intim war auch der Rahmen, in dem An Evening of New York Songs and Stories aufgenommen wurde. Stimme, Gitarre, Bass, Keyboard, fertig - und mehr braucht es auch gar nicht, damit die Künstlerin ihre Geschichten und die dazu gehörigen Songs zum Besten geben kann. Mir persönlich sagt zwar die Aufnahmequalität in manchen Passagen nicht sonderlich zu, musikalisch bietet Suzanne Vega jedoch einen herausragenden Querschnitt durch ihr breites Repertoir. Neben den bekannten Tom's Diner (im Original einst übrigens die allererste mp3-Datei überhaupt!) und Luka überzeugen vor allem Ludlow Street und Marlene On The Wall, wobei das Album sein ganzes Können tatsächlich erst als Gesamtwerk entfaltet und eine Hommage an New York mit all seinen positiven und negativen Eigenschaften darstellt. Stark!
 

Giant Rooks
(sb) Was gab es nicht für einen riesigen Hype um die Giant Rooks - von "deutscher Indie-Sensation" bis "die werden es auch locker international schaffen" war alles dabei! Zurecht? Naja, in Sachen Erfolg ist zumindest zu vermelden, dass ihr Debüt-Album Rookery (VÖ war am 28.08.) es in Deutschland auf Anhieb auf Platz 3 der Charts geschafft hat, was angesichts des medialen Trubels und des Major Labels im Rücken nicht arg verwunderlich ist. Und ja, klar, die Giant Rooks verbreiten eine ungemeine Lässigkeit, der man sich nicht entziehen kann und die - zumindest vermute ich das mit meinen 42 Jahren - auf jüngere Menschen einen großen Reiz ausübt und die Leichtigkeit widerspiegelt, die man sich für sein Leben wünscht. Kenne ich ja aus meiner eigenen Jugend oder auch aus der Zeit, als beispielsweise The Kooks ihre ersten Schritte machten und einschlugen wie eine Bombe.
Und genau da kommen wir auch schon zur Kritik: So einzigartig und besonders, wie die Giant Rooks von der PR-Maschinerie gerne gemacht werden, sind sie nämlich bei weitem nicht. Sie treffen den Nerv der Zeit und haben sich ihr Image hart erarbeitet, der schwerste Part steht ihnen aber noch bevor, denn die geschürten Hoffnungen wollen nun auch erfüllt werden. Man darf gespannt sein, inwiefern die Band aus Hamm nachlegen kann, denn Tracks wie Wild Stare oder Watershed schüttelt man nicht mal so eben aus dem Ärmel.


Shame
(ms) Oh, yeah! Man muss noch nicht mal die Stimme hören, man weiß schon vorher, dass diese Band aus dem Vereinigten Königreich kommt. Es sind die schrammeligen Gitarren, das etwas Rotzige, was diesen Song so ausmacht. Der bewusst amateurhaft gehaltene Klang der Snare, die dann auch nicht perfekt klingende Mikrophonaufnahme des Gesangs, die dann mit eindeutiger Landesfärbung daher kommt. Yeah! Das sind Shame und sie veröffentlichten vor Kurzem ihren neuen Song Alphabet. Er treibt über knapp drei Minuten und bringt einen Geist der Musik zurück, den ich so zuletzt vor über zehn Jahren gehört habe. Super gut. Der Track wird auf dem kommenden Album erhalten sein, Termin und Name sind noch unbekannt. Doch es lohnt sich in jedem Fall ins aktuelle Werk aus 2018 Songs Of Praise reinzuhören!

Annie Dressner
(ms) Die Formulierung "Was er/sie anfasst, wird zu Gold" klingt ja wirklich super kitschig und schlimm, aber auch daran ist wie so oft auch ein wahrer Kern. Heutiges Beispiel: Matthew Caws. Der Sänger, Texter und Gitarrist von Nada Surf sucht meines Erachtens seinesgleichen wenn es um ehrlich gefühlvolle Musik ohne Geschmäckle geht. So hat er mit Annie Dressner den Song Midnight Bus produziert und spendet ihm auch seine Stimme. Diese Art von Duett hat er mit Juliana Hatfield als Minor Alps schon auf Albumlänge umgesetzt und es funktioniert hervorragend. Es mag schlicht an gutem Handwerk oder auch seiner feinen Stimme liegen. Dieses leise, schöne Lied ist Teil ihres jüngst erschienenen Albums Coffee At The Corner Bar (VÖ 4. September). Nur Stimmen, Text, Gitarren und ein wenig Orgelsound im Hintergrund. Oft braucht es einfach nicht mehr, um ein wenig Gänsehaut zu erzeugen.


Martin Klein
(sb) Aufgewachsen in Tirol, dann nach Wien übergesiedelt und schließlich in Utrecht gelandet, wo er bei dem blinden holländischen Pianisten Bert van den Brink Klavier studierte - das waren die frühen Lebensstationen des Martin Klein, der am vergangenen Freitag mit Nachtlieder sein drittes deutschsprachiges Album veröffentlichte. Wahrlich ein begnadeter Musiker, dem es vom ersten Moment an gelingt, den Hörer einzufangen und mit auf eine Reise durchs echte Leben zu nehmen. Piano und Stimme des Österreichers ergänzen sich perfekt und erzählen zusammen Geschichten, die greifbar sind, die mitunter automatisch vor dem inneren Auge ablaufen und tief blicken lassen. Für ruhige Stunden kann ich mir kaum einen besseren Begleiter vorstellen, denn wie sagte schon Matze Rossi einst so schön: Musik ist der wärmste Mantel.
Als Zuckerl finden sich auf dem Album auch noch die Bandversionen einiger Songs, die erahnen lassen, wie vielschichtig und wandelbar die Musik Kleins ist.
Zudem freue ich mich sehr, endlich auch mal wieder einen Live-Termin ans Ende eines Reviews packen zu können. Voilà:

12.11. Wien, Chelsea


Lambchop
(ms) Ach, es gibt diese Bands. Da muss man nicht lange um den heißen Brei rum schreiben, das kommt direkt aus dem Herzen. Seit vielen Jahren bin ich begeisterter Fan von Lambchop. Alternative Country, Easy Listening, Whatever. Es ist schlicht und ergreifend wunderschön, was Kurt Wagner seit vielen Jahren unter diesem Namen laufen lässt. Diese ruhige Eleganz in den Liedern, voller Aufrichtigkeit und ganz sanftem Humor ab und an. Richtig gute Menschen, wenn man sie mal live gesehen hat. Das tut einfach dem ganzen Körper gut.
Doch so habe ich mich diese Woche ziemlich erwischt! Zum Einen wurde ich überrascht durch die Ankündigung des neuen Albums Trip, das am 13. November erscheinen wird. Selbstverständlich: die Vorfreude ist sehr groß. Zum Anderen jedoch habe ich dann erschrocken festgestellt, dass ich das aktuelle Album This (Is What I Wanted To Tell You) nicht mal im Plattenregal stehen habe. Schande auf mein Haupt. Vielleicht war ich zu wenig angetan von den Ausflügen ins Elektronische mit der Auto Tune-Stimme. Doch das scheint eine Epoche gewesen zu sein. Denn nun gibt es den ersten Vorgeschmack zu genießen: Reservations. Ein Cover von niemand geringerem als Wilco. Gecovert haben Lambchop schon immer gerne mal und das auf ihre herrlich eigene Weise. Hier haben sie sich ausnahmsweise recht getreu am Original orientiert, Tempo und Klavierthema übernommen. Erstaunlicher wird es, wenn man sich die Vorlage nochmal zu Gemüte führt. Denn die klingt schon verdächtig stark nach einem Lambchop Song. Vielleicht haben sich die Nashviller einfach nur zurück geholt, was ihnen gehört - vom Geiste her, vom Sinn, von der musikalischen Idee. Nur ein Element ist wirklich neu: Aus siebeneinhalb wunderschönen Minuten sind dreizehn wunderschöne Minuten geworden! Und auch auf dem neuen Album werden zahlreiche, weitere Cover zu finden sein. Wir halten euch auf dem Laufenden!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (siehe Blog-Startseite unten) und in der Datenschutzerklärung von Google.