Donnerstag, 10. September 2020

Everything Everything - Re-Animator

Foto: Everything Everything
(ms) Viele Genre-Bezeichnungen sind in meinen Augen bloß leere Hüllen. Eine schwierige Art und Weise Musik in Schubladen zu packen. Ein Vorhaben, das grundsätzlich zum Scheitern verurteilt ist, weil ein, zwei Schlagworte dem nicht gerecht werden. Bei vielen Zuschreibungen frage ich mich auch immer wieder, was es zu bedeuten hat. Letztens habe ich witch pop gelesen... Uff!

Doch keine Regel ohne Ausnahme.
Ein Genre ist so grob und groß beschrieben, dass es irgendwie passen muss, obwohl es halt auch einschränkt, ausschließt. Zudem beschleicht mich der Eindruck, dass es der Musik, den Ideen, den Arrangements, der Instrumentierung auch gerecht wird. Wir sprechen hier von art pop. Ja, kunstvolle Popmusik. Oder art rock, das ist im Grunde dann auch egal. Der Zusatz der Kunst ist hier an einer ganz bestimmten Stelle angesiedelt. Natürlich ist jegliche Musik eine Form von Kunst. Aber das setzen wir mal voraus.
Es gibt so ein paar Konstellationen, die derart kunstvolle, kreative Musik machen, dass dieses doppelt Gemoppelte in jedem Fall gerechtfertigt ist. Weil es erwähnt werden muss, kann, darf. Es ist nicht überspitzt, sondern das richtige Prädikat!
Beispiel 1: CocoRosie. Die beiden Schwestern haben es einfach raus, sehr ausgetüftelte Musik mit immer wieder harten Texten in einem sehr anspruchsvollen Gewand erklingen zu lassen. Beispiel 2: Get Well Soon. Was Konstantin Gropper anfasst, glänzt ganz schnell. Seine orchestralen Arrangements, die nie überladen sind. Seine durchaus romanhaften, philosophischen Texte. Das ist sehr rund. Sehr niveauvoll, sehr gut.

Beispiel 3 und dann kommen wir endlich zum Thema, dessen Ausschweifung nicht umsonst war: Everything Everything. Das Quartett aus UK veröffentlicht an diesem Freitag ihr neues Album Re-Animator. Die vier Jungs füllen in jedem Fall auch das Genre art pop aus. Es sind die Arrangements, der herausstechende Gesang, die Furchtlosigkeit vor elektronischen Elementen im Gitarrenbereich. Die Ausflüge in temporeich Verspieltes, der Mut zu Brüchen innerhalb eines Liedes, die aber nie störend sind.


Diesen Freitag (11. September) erscheint dieses neue Werk der Briten. Es ist ihr fünftes Studioalbum und es lehnt sich insgesamt ein wenig zurück. Damit sind wir direkt bei dem Punkt, der mich ein klein wenig stört, wenn man die gesamte Platte anhört. Denn: Der Vorgänger A Fever Dream aus 2017 ist immer noch eine wilder Wucht! Ein absolut bemerkenswertes Album, voller Sturm und Drang, voller Raffinesse, die dem art pop/rock absolut gerecht wird! Diese fuchsteufelswilden Momente wie auf dem damaligen Opener oder einem Track wie Ivory Tower fehlen auf Re-Animator.
Und schon befinden wir uns in der nächsten Zwickmühle des Musikgeschäfts: den Erwartungen. Man muss halt auch ganz ehrlich sein: zwei Mal die gleiche Platte will ich auch nicht hören.

Die Platte beginnt mit Lost Powers. Von wegen! In diesem Stück exerzieren sie ihre Königsdisziplin: das langsame, atmosphärische Crescendo. Dies entwickelt sich über den gesamten Track, wird immer lauter, voller ohne je überbordend zu sein. Doch es bricht nie in dieser hinreißenden Art aus wie beim Vorgänger (der Widerspruch bleibt). Auch auf Big Climb bleibt es verhältnismäßig ruhig. Vielleicht - und damit begeben wir uns in den Bereich der Spekulation - haben sie auch zu viel gewollt. Die vier Jungs haben immerhin Musikwissenschaften studiert, sind also mehr als vom Fach. Sondern sie kommen auch aus der Theorie. Auf Big Climb stecken halt viele kleine Elemente: im Takt versetzter Beat, vom Tempo anziehener Gesang, allerhand Synthie-Geräusche im Hintergrund. Das ist sehr harmonisch, auf jeden Fall. Doch der Mitreißfaktor fehlt ein wenig.


An dieser Stelle muss ich nochmals intervenieren. Re-Animator ist ein gutes Album. Absolut solide Arbeit. Wird live (hoffentlich ganz bald wieder normal) mit Sicherheit toll aufgehen. Nur das 'aber' ist nicht von der Hand zu weisen. Es macht sich breit bei It Was A Monstering oder Moonlight, Lieder, die dann doch eher vor sich hindümpeln. Bei Planets hört man die Raffinesse, doch so richtig überzeugen tun sie nicht.
Doch dann zum Ende hin, geht es nochmal rund. Dann bockt das Album doch noch so richtig. Dann Arch Enemy: Das ist ein Song! Groove, Drive, Whatever! Er ist im richtigen Maße verspielt, eine klug ausgewählte Single, ein Song zu dem man hervorragend tanzen kann (mehrere Kochvorgänge wurden dem Praxistest unterzogen) er bricht halt auch in einen wilden Strudel aus! Das ist ein Track, der dann doch die künstlerischen und mitreißenden Erwartungen erfüllt! Lord Of The Trapdoor geht in die gleiche Richtung. Das sind Lieder die das Umherdümpeln super auffangen! Auch In Birdsong. Der Track ist zwar auch ruhig, aber diese klassische Entwicklung eines ganzen Liedes über seine Spieldauer haben wir auch hier. Das ist einfach gut gemacht!
Und als letztes überzeugt noch Violent Sun. Ein treibend aufgebautes Stück, das ein dynamisches Schlagzeug und elektronische Elemente sehr atmosphärisch miteinander verbinden!

Also: Es gibt auf Re-Animator von Everything Everything einige Durststrecken, doch die Lieder, die herausstechen, sind schlicht brillant! So kann man das stehen lassen.

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