Mittwoch, 29. Juli 2020

Zugezogen Maskulin - 10 Jahre Abfuck

Foto: Rob Kulisek
(ms) Angefangen Rap zu hören, habe ich mit Fettes Brot. Da ist wohl aber auch Sprechgesang oder Pop der richtige Begriff. Und das ist recht lange her. Das eröffnete die typische Teenie-Phase, in der man (auch) das hörte, was halt überall läuft: Massive Töne, Curse, Samy Deluxe.
Das war dann irgendwann (zum Glück) rum und wurde von einer relativ langen Phase abgelöst und/oder aufgefangen, in der Gitarren in irgendeiner Art und Weise im Vordergrund standen. Das hält bis heute an. Doch neben Genres wie Neo-Klassik, Easy Listening oder Hardrock kam dann auch der Rap für mich persönlich wieder zurück. Bands wie Neonschwarz, Waving The Guns oder sookee haben mich extrem überzeugend wieder zur Kopfnickermusik geführt. Neben der politischen Schiene hat sich die Bande um die Antilopen Gang, Fatoni, Juse Ju, Edgar Wasser, Dexter, Audio88 und Yassin in meinen Hörgewohnheiten breit gemacht.
Zugezogen Maskulin passen da nirgendwo so richtig rein. Unterhaltsam: ja. Politisch: ja. Sehr viel Flow: ja. Aber. Mit ihrem herrlich doppelbödigen, zynischen, schwarzhumorigen Prolo-Asi-Auftreten stehen grim104 und Testo irgendwo anders. Wo genau, mag ich gar nicht vermuten. Wo anders halt. Derart wo anders, dass sie auch mal Support von Thees Uhlmann gewesen sind. Schräg, aber passt.

Vor drei Jahren erschien ihre letzte Platte Alle Gegen Alle und sie läuft regelmäßig daheim laut aufgedreht. Denn das muss. ZM leise funktioniert halt nicht. Dann stoßen sie nicht an. Dann ärgern sie nicht. Dann provozieren sie nicht. Laut geht das alles wesentlich besser. Dann wird durch die Boxen auch erst so richtig deutlich, wie grim wütend ins Mikro brüllt oder Testo schön pseudo-prollig seine Lines raushaut. Ja, ihre Arten ergänzen sich herausragend. Von Gegensätzen mag ich gar nicht sprechen. Aber es war ein pfiffiger Schritt, dass sie beide zusammen auftreten und unterschiedliche Rollen spielen.


Damit ist es bald womöglich vorbei. Denn kommende Woche Freitag, am 7. August, erscheint ihr neues Werk: 10 Jahre Abfuck. Und nicht nur der Titel der Platte legt nahe, dass dies vielleicht das Kapitel Zugezogen Maskulin beendet, sondern auch einige Tracks, die darauf enthalten sind.
Bitte Folgendes nicht falsch verstehen: Sollte es in der Art wie auf dem neuen Werk doch weiter gehen, dann ist es gut, dass sie aufhören. Denn leider ist ihr viertes Album eine riesige Enttäuschung. Unabhängig von den Tracks und dem Inhalt (kommen wir gleich zu), hat man natürlich eine gewisse Erwartungshaltung an neue Releases. Auch beim Wahlberliner-Duo. Fies soll es sein. Prollig soll es sein. Politisch soll es sein. Vor derbem Diss sollte eine Menge vorhanden sein etcetcpp. Aber ich will keinen Coming of Age-artigen Rückblick hören, dem der Wumms fehlt. Sowohl in den Beats als auch im Inhalt. Für diesen Text habe ich mir 10 Jahre Abfuck mehrmals durchgehört, und jedes Mal war eine Qual. Inständig habe ich ab der Hälfte gehofft, dass es bald vorbei ist. Doch die Platte schleppt sich von Song zu Song und kann mich nicht überzeugen. Im Gegenteil.
Dabei möchte ich dringend dazu sagen, dass hier kein Rap-Experte am Start ist. Dafür sind andere da. Vergleiche siehe oben. Doch den Weg von ZM habe ich aufmerksam verfolgt, sie ein paar Mal live gesehen und dort zurecht komplett abgefeiert. Nun. Gehen wir mal ins Album rein...

Eröffnet wird es mit einem dem Album gleichnamigen Track. Und wenn grim sagt, Erwartungen enttäusche ich am liebsten mit Vorsatz, dann möchte man das am liebsten glauben. Doch es gab keinen spürbaren Vorsatz, das ist hier das Problem. Müder Beat, müder Text direkt zu Beginn. Sie referieren über ihre Anfänge. Also echt. Das ist ja okay, aber das haben sie auf drei Platten bewiesen, dass sie es enorm besser können. Weitaus besser! Puh, es folgt Der Erfolg, der den beiden wohl Recht gebe. Ich will nur skippen, ein völlig belangloser Track. Tanz Auf dem Vulkan ist dann endlich politisch und derbe, aber der Trap-Beat nervt komplett. Klar, ZM wollen nicht gefallen. Aber so bugsiert man sich auch komplett ins Aus. Doch der Song ist immer noch einer der wenigen Lichtblicke des Abfucks.
Rap.de ist selbstredend eine Abrechnung. Auch mit Figuren wie Denis Cuspert, der für den IS kämpfte und starb. Aber darüber sich nochmal auszulassen... na gut. König Alkohol hingegen ist der Gegenpart zu Grauweißer Rauch. Inhaltlich macht es natürlich neugierig. Doch es klingt so, wie das letzte Bier schmeckt, was ja immer etwas über ist. Werden sie zu dem Lied wieder Champagner ins Publikum ballern? Zuzutrauen wäre es ihnen natürlich, schön doppelbödig. Nur leider hat der Song keinen Zug, keinen Drive, plätschert klanglich vor sich hin, kann auch vom Text nicht überzeugen, außer dass man beinahe ein wenig Mitleid bekommt. Normiefest ist in erster Linie ein dämlicher Begriff. Im Track reflektieren sie, dass sie irgendwann im Mainstream angekommen sind, wo sie nie hin wollten. Aber die Gage stimmt halt. Verabschieden sie sich nun aus diesen Kreisen?


Über das männliche Gehabe im Business und in der Gesellschaft referieren sie auch. Gutes Thema, brenzliges Thema, insbesondere im testosterongetränkten Rap. Doch auch Echte Männer Freestyle kann nicht überzeugen. Das hat Juse Ju bei Weitem besser gemacht. Oh ja!
Mit Sommer Vorbei kommt der nächste Lichtblick durch die düsteren Wolken. Super starker Part von grim und eine kleine Abrechnung mit der partywütigen Jahreszeit und Testos Überzeile Habt ihr F*tzen eure Tage / Warum wird hier nicht gelacht. Tatsächlich findet dieser Sommer ja gar nicht statt. Blühen die beiden wohl gerade auf?
Dunkle Grafen überzeugt auch, nur der Beat wird mal wieder mehr als gewöhnungsbedürftig. Doch das sage ich als Normie. Jeder Schritt ist wohl das mit das Härsteste, was sie als Duo zu Papier gebracht haben. Einen inhaltlich ähnlichen harten Track hat grim ja schon auf seiner Solo-EP gebracht. Hier sollte man einfach aufmerksam hinhören. Fans mit Ahzumjot ist eine weitere schöne Abrechnung mit der Branche; immerhin will ich das Lied nicht sofort skippen. Okay. Auch da scheint in einigen Zeilen durch, dass es das letzte gemeinsame Album von grim104 und Testo gewesen sein wird. Es War Nicht Alles Schlecht - skip. Exit zum Schluss ist dann noch ein Trostpflaster, vielleicht der stärkste Song des Albums. Ein guter, reflektierter Track, der aber auch die vielen Tiefpunkte des Albums nicht wett machen kann.

Puh. Okay.
Nochmals: Ich bin kein Rap-Experte. Aber das hier ist echt hart. Insbesondere wenn man weiß, wie unendlich gut die beiden sein können. Doch wenn sie nochmal auf Tour gehen, werde ich da sein. Manchmal wirkt es live ja besser als gedacht. Diese Hoffnung bleibt.

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