Donnerstag, 16. Juli 2020

Laraaji - Sun Piano

Laraaji in seinem Element. Foto: Daniel Oduntan

 (ms) Gerne stöbere ich auf diesem Blog herum. Auch wenn ich Autor des selbigen bin. Nicht, um mein kleines Ego zu pushen. Sondern aus Neugier. Denn man vergisst auch, worüber man mal geschrieben hat. Dabei wollte ich hauptsächlich einer Frage nachgehen. Die lautet: Hat sich der Grundtenor, über den hier geschrieben wird, in den letzten Jahren verändert? Im Grunde genommen gibt es nur wenig Leitlinien für die Musik, die wir besprechen. In erster Linie muss es uns gefallen. Klingt banal, aber Auftragsarbeiten machen wir hier nicht. Wenn jemand lieb nachfragt und es sich als gut entpuppt, spricht für mich nichts dagegen. Doch wir bekommen halt auch ein nicht unerhebliches Maß an Schrott zugespielt. Ist so. Doch jede Medaille hat zwei Seiten. Und die andere Seite ist eine ganz Unglaubliche!

Denn seit gut zwei, drei Jahren hören wir schon sehr aufmerksam, regelmäßig und neugierig in all das rein, was unter einem Begriff läuft, der sich Neo-Klassik nennt. Meines Erachtens eine falsche Zuschreibung. 'Klassik' will hier eigentlich nur sagen, dass irgendwo ein reines Klavier zu hören ist. Meines Erachtens ist Klassik aber mehr. Es ist opulent, Orchester spielen eine Rolle, Cello-Quartette, Geigen-Soli, geistliche Musik. Das ist in meinen Ohren Klassik. Das 'Neo' will es nur irgendwie cool erscheinen lassen. Doch leider hat sich dieser Begriff irgendwie durchgesetzt. Schmerzhaft. Denn es werden so unterschiedliche KünstlerInnen wie Hauschka, Olafur Arnalds, Anne Müller, Brian Eno oder Lucien and the Kimono Orchestra darunter gefasst.

Frage: Gibt es denn wirklich keine Gemeinsamkeit? Hm, sehr schwer zu beantworten aus meiner Warte. Für den aufmerksamen Hörer unterscheiden sie sich in Thematiken, Techniken, der (instrumentalen) Geschichte, die sie erzählen, der musikalischen Verwurzelung. Doch eine Sache ist ihnen allen vielleicht wirklich gemein: Die Stimmung, die Atmosphäre. Denn meistens geht es schon recht andächtig, beinahe melancholisch zu. Meditativ, könnte man sagen. Nicht unbedingt bedrückend, aber eine dezente Traurigkeit schimmert auch ab und an durch. Vielleicht ist das der einzige Punkt, der dem Genre ein bisschen zusetzt. Wohl gemerkt: Das ist Meckern auf extrem hohem Niveau. Denn all diese MusikerInnen strotzen vor Kreativität, Raffinesse und einem schier unglaublichen Können und Sinn für den richtigen Ton.

Gut, dass nun auch etwas Abwechslung kommt. Leichtigkeit. Unbeschwertheit. Auch auf dem Klavier. Nur auf dem Klavier. Mal wieder ohne Stimme aber mit einer herrlichen Grundstimmung. Etwas, das ideal in diese Zeit passt. Sowohl vom Sommer her als auch von den merkwürdigen Begleitumständen, unter denen er stattfinden muss. Der New Yorker Musiker Laraaji veröffentlicht morgen ein Album, das auf den Namen Sun Piano hört. Neo Klassik ist anders. Das hier ist sonnig, hell, entspannt und erzeugt ganz unterschwellig eine gute Laune gepaart mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht. Der Name des Albums ist Programm. Auf den 12 Liedern, die ungefähr eine Dreiviertelstunde erklingen, herrscht Sommer. Für meinen Geschmack ist es Sommermusik beim Aufwachen. Gerne auch beim frühen Aufwachen. Im Urlaub. Man ist eh entspannt, zufrieden, ausgeschlafen und herrlich sorglos. Und nein, sie werden nicht beliebig. Okay, für meinen Geschmack könnte es auch ein langes Lied sein. Es geht mir um die Stimmung. So leichtfüßige, lockere Pianomusik, die nicht austauschbar ist, ist mir selten unter gekommen.
Schaut man in die Biographie von Laraaji überrascht es auch wenig, dass er auf der sonnigen Seite des Lebens steht. Ein Passionierter ist er. Begann früh mit Straßenmusik im Großstadtgewimmel von New York. Wurde zufällig von Brian Eno gesehen, der mit ihm musiziert hat. Heute ist er 77. Und er ist nicht nur Musiker sondern auch Mystiker und Meditationspraktiker. So steht es geschrieben. Hört man die Melodien auf Sun Piano, kann man schnell erahnen, dass er dabei stets ein genügsames Lächeln auf dem Gesicht hat, steht sorglos im Leben und genießt den Moment. Nein, es soll hier keinen Coelho-Touch haben. Kein Lebe-deinen-Traum-Kalenderspruch. Sondern das Innehalten steht hier im Vordergrund. Dass sich der Puls auch mal beruhigen kann. Und wenn das für 45 Minuten bei der Musik von Laraaji passiert, dann hat der Pianist schon eine Menge Gutes getan.
Daher: Große Empfehlung, sich mit dieser Platte eine kleine, unbeschwerte Auszeit zu nehmen. Maske weg, Musik laut, Welt aus, Augen zu, Pause an.

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