Freitag, 1. Mai 2020

KW 18, 2020: Die luserlounge selektiert

Bild: businesstraveller.de
(ms/sb) Es gibt ja so dämliche pseudo-moderne Narrative, die als cool und hip gelten. Zum Beispiel: Ich schaue ja kein Fernsehn mehr. Die Frage ist ja: Was will man damit sagen?! Ich hab mich vom Chips-Proletariat verabschiedet und drehe einfach so zu Hause durch? Ich bin so beschäftigt, dass ich es gerade noch schaffe, mir abends ein Brot zu schmieren?! Ach, keine Ahnung!
So vor die Glotze hau ich mich auch nicht. Aber Filme und insbesondere Serien auf Abruf konsumiere ich doch erheblich und sehr, sehr gerne. Mal zum Berieseln, gerne auch für die Konfrontation. Zum Beispiel mit der Miniserie Unorthodox, die auf der einen großen Plattform läuft. Es lohnt sich wirklich. Da der Berlin-Teil von der literarischen Vorlage abweicht, lohnt sicher auch das Buch. Doch im Berlin-Teil gibt es auch einen musikalisch interessanten Aspekt. Eine Tanz-Szene in irgendeinem Club, keine Ahnung. Die Protagonisten verlieren sich im Sound von Catnapp. Die aus Argentinien stammende Ampi mit der Die Antwoord-Frisur macht markante, elektronische Musik. Weiß zu gefallen. Kam in der Serie extrem gut, losgelöst davon aus.

Hier ist die luserlounge. Du bist ganz richtig. Es ist Freitag. Hier wurde selektiert. Das Ergebnis:

Goldroger
(sb) Es ist ja durchaus ein sehr interessanter Ansatz, sein Album in zwei Stufen - also zeitversetzt - zu veröffentlichen, auch wenn sich mir der tiefere Sinn dahinter noch nicht zur Gänze erschlossen hat. Bereits im November haben wir Euch über Teil 1 des neuen Goldroger-Logplayers informiert, am 08.05. folgt nun endlich Diskman Antishock II. Leider hält die Fortsetzung aber nur bedingt das, was der Appetizer versprochen hatte. Natürlich gilt noch immer, dass sich der Künstler angenehm vom chartsdominierenden Rap-Dreck abhebt, leider wird aber mit wenigen Ausnahmen das Niveau der ersten paar Songs nicht mehr ganz erreicht, obwohl mit Lip Gallagher sogar der beste Track des Gesamtalbums vertreten ist. Generell bin ich der Meinung, dass das Werk ohnehin als großes Ganzes betrachtet werden sollte und da stelle ich Goldroger durchaus wieder ein positives Zeugnis aus: Stil, Themen, Beats und Attitüde überzeugen und lassen das Album aus der Masse herausragen.


Glass Museum
(ms) Diese Woche ist mir das erste Mal die aktuelle Situation auf die Nerven gegangen. So richtig. Schlechte Laune, große Melancholie. Doch glücklicherweise gibt es herrliche Rezepte, die dagegen sehr wirksam sind. Nicht nur Musik. Sondern vor allem Menschen. Liebe, wertvolle, tolle, umsichtige, geduldige, ans Herz gewachsene Menschen.
Aber klar - auch die Musik. Und die immer wieder. Heute und hier aus Belgien. Daher stammt das Duo mit dem schönen Namen Glass Museum. Nennt mich einen musikalischen Nomaden, aber mit Belgien assoziiere ich aus dem Stehgreif kaum Bands; gut, dEUS... aber sonst?! Antoine Flipo und Martin Grégoire sollten dringend zu solch einem Status aufschließen. Beste Voraussetzungen bringen sie mir, denn schon letzte Woche erschien ihr Album Reykjavik. Wer typisch isländisch verträumte, sphärische Klänge erwartet, liegt falsch. Glass Museum machen aber ähnlich schwer in Worte zu fassende Musik. Ist das Klassik-Elektro, Jazz-Minimal-Weltmusik?! Egal! Das ist einfach gut! Punkt! Acht Songs befinden sich auf der Platte, die zwischen ruhigen Pianotönen, wilden Soundwänden, sehr viel guter Laune, Leichtigkeit, soundtrackhafter Wucht, tanzbaren Takten en masse changieren. Diese extrem harmonischen und gut zusammen passenden Übergänge erstrecken sich auf Albumlänge, sind mitunter aber auch in nur einem einzigen Song zu hören. Und wenn sich musikalisch andächtige Melancholie anschleicht, hat sie glücklicherweise nie lange Bestand. Dies ist eine fröhliche, helle, pfiffige Platte. Ein toller Wurf!

Drücken wir ihnen die Daumen, dass diese Konzerte im September stattfinden:
01.09.2020 Hamburg, Turmzimmer (Übel & Gefährlich)
02.09.2020 Berlin, Kantine am Berghain
03.09.2020 Haldern, Pop Bar



Luise Weidehaas
(ms) Das Leben steht still. In den letzten Wochen ganz wenig Trubel. Doch wahrlich keine Entspannung, keine Ruhe. Denn es sind ja keine Ferien. Es ist Ausnahme. Es ist Unsicherheit. Schön, dass das öffentliche Leben wieder ein bisschen stattfindet. Auch gut, dass es mal wieder regnet. Doch - das ist auch nur mein Eindruck - ist es keine leise Zeit. Irgendwo brodelt es ständig.
Das muss nicht sein. Und es fällt mir persönlich schwer, diese Ruhe selbst zu kreieren. Genau in diese Lücke füllt mal wieder Musik. Töne. Stimmen. Geschichten. Ganz, ganz zart und ganz bedacht und umsichtig kommt da Luise Weidehaas um die Ecke und präsentiert auf ihrem Album Shore zehn Lieder, die alles andere abschalten, runterfahren, dämmen. Anders als der Titel suggerieren mag, singt sie auf Deutsch. Und damit herrlich zugänglich. Ihre Lieder sind filigran, aber nicht zerbrechlich. Sie sind gefühlvoll, aber nicht melancholisch. Sie stellen Fragen, aber reißen einem nicht den Boden unter den Füßen weg. Ihre Musik funktioniert am besten, wenn man sie etwas lauter dreht, dann kommt die Gänsehaut schneller. Dazu eine Tasse Tee, ein gemütlicher Ort und die Augen geschlossen. Dann nimmt Luise Weidehaas einen mit in ganz unterschiedliche Orte. Ganz sanft. Ganz behütet. Shore ist ein unfassbar rundes Album; Liebe, Trost, Gefühl. Was mich so beeindruckt dabei, ist, dass es nicht so gestelzt herüber kommt (das macht mir das Hören von Anna Depenbusch beispielsweise unmöglich).
Es ist Musik, die genau zur richtigen Zeit kommt, einen einpackt, ganz weich. Das Album erschien am 27.03. Kauft es. Der Betrag geht in sehr kreative, richtige Hände.



Tim Vantol
(sb) Wir haben in den letzten Wochen ja immer wieder Künstler wie Nathan Gray, Dave Hause, Jesse Barnett oder Sam Russo gefeatured und Tim Vantol ist in dieser Reihe bestens aufgehoben. Auch thematisch ist der Niederländer ähnlich zu verorten, verarbeitet er in seinen Americana-Hymnen doch den Weg aus der Depression und das Überwinden seiner Lebenskrise. Mittlerweile ist der Sänger, der dieses Jahr eigentlich mit den Toten Hosen als Support auf Tour hätte gehen sollen, im schönen Berchtesgaden beheimatet und das sollte ihm auch die Ruhe geben, nach diesen komischen Zeiten wieder voll durchzustarten. Mit Better Days (VÖ: 22.05.) ist ihm auf jeden Fall ein berührendes aber keinesfalls zu sentimentales Album gelungen, das nichtsdestotrotz tiefe Blicke in die Seele und das Herz des Künstlers erlaubt.


The Everettes
(sb) Vor knapp 15 Jahren schlugen The Pipettes bei mir ein wie eine Bombe: Dieser 50's/60's-Girlgoup-Style gepaart mit Texten, die mitunter einen krassen Kontrast zu den Heile-Welt-Melodien darstellten, trafen damals genau meinen Nerv und ich hörte wochenlang kaum was anderes. Als nun das selbstbetitelte Debütalbum (VÖ: 29.05.) von The Everettes eintrudelte, fühlte ich mich direkt an die drei Damen aus Brighton erinnert, beim genaueren Hinhören erkennt man jedoch deutlich Unterschiede. Klar, der Ansatz ist ein sehr ähnlicher: The Everettes bringen das schon fast vergessene Konzept der 60's-Girlgroup mit ihrem ganz eigenen Charme zurück in die Gegenwart. sind in ihrem Auftreten aber nicht ganz so konsequent wie The Pipettes. Müssen sie aber auch gar nicht, denn es gelingt ihnen mit ihren vierzehn Songs spielend, die Uhr zurückzudrehen und die guten, alten Zeiten wiederzubeleben. Solche Experimente können selbstredend sehr easy in die Hose gehen, die Berliner/-innen hingegen wirken jederzeit authentisch und man kann sie sich mit ihrer von Northern Soul inspirierten Musik bestens in den Swinging Sixties vorstellen. Eine ganz, ganz tolle positive Überraschung, die ich mir - aber das nur am Rande - auch bestens im Radio vorstellen kann!


Pabst
(ms) Kleine Zeit- und Ortsreise. Klar, man kann ja durch die Gegend düsen, aber halt nichts Außergewöhnliches erleben. Daher ist die Reise im Kopf in jedem Fall ein probates Mittel und kein Eso-Quatsch! Also ab, ein paar Jahre zurück und nach Bochum. Mitten ins Herz des Ruhrgebiets. Grund des Ausflugs war ein Konzert von Drangsal (saustark!). Wir sind so da gewesen, dass gerade noch die Vorband spielte. Das waren Pabst. Super Name. Mächtiger Auftritt. Da stranden 'nur' drei Typen auf der Bühne und haben mit einem wilden, energiegeladenen Sound beinahe die Decke zum Einstürzen gebracht. Doch ich war kurz davor, sie irgendwie scheiße zu finden. Aber das oft nicht in Worte zu fassende in der Musik hat mich gepackt und ich blieb staunend zurück; mit dem ersten Dröhnen auf den Ohren des Abends. Das kann man sich bald auch zu Hause geben. Denn am 19. Juni erscheint ihr zweites Album Deuce Ex Machina und es ist vielseitig. So wie die drei bislang ausgekoppelten Tracks. Diese Woche kam Hell hinzu. Frohe Botschaften hagelt es nicht unbedingt. Aber einen extrem satten, temporeichen Sound! Das wirklich Überzeugende des Trios ist die nicht vorhandene Attitüde (sonst würden sie 'Die Pabst' oder 'Der Pabst' heißen). Tatsächlich macht dieser Klang, dieser Charakter der Band Hoffnung, dass da was Großes auf uns zu kommt im Juni! Wir werden berichten!



Juse Ju
(sb) So, Leute, Stift gezückt und Termin markiert: 19.06.2020! Da erscheint nämlich das neue Album von Juse Ju, das auf den Namen Millennium hören wird. Hurra! Aber noch nicht genug der Freude, denn es gibt nicht nur ein neues Soloalbum, sondern darüber hinaus hat Juse noch seine alte Band Massig Jiggs wiedervereint. Und siehe da: Dabei ist das Kollabo-Bonus-Album "Popbizenemy" entstanden, das ebenfalls veröffentlicht wird. Wenn das kein Grund zur Freude ist! Mit Shibuya Crossing hat Juse 2018 die Messlatte ja schon verdammt hoch gelegt, die erste neue Single TNT lässt aber auf einen neuen Geniestreich hoffen...



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