Donnerstag, 16. Januar 2020

Die luserlounge interviewt: Turbostaat

Foto: https://diffusmag.de/
(ms/sb) Als wir zwei vor ein paar Jahren bei der luserlounge eingestiegen sind, hätten wir uns noch nicht mal im Traum erhofft, dass unser Blog eines Tages als Medienpartner auf Tourplakaten genannt würde (so geschehen bei der Europatour der Sonars) oder wir die Möglichkeit bekämen, unsere Lieblingsbands zu interviewen.

Umso schöner natürlich, dass wir in der Zwischenzeit unsere PR-Kontakte so weit ausbauen konnten, dass wir nicht nur mit den neuesten Alben der ganz Großen (z.B. Nick Cave, Pet Shop Boys oder Robbie Williams) bemustert werden, sondern uns, wie in diesem Fall, unsere Favoriten Rede und Antwort stehen. Natürlich freuen wir uns ganz besonders, dass sich Marten Ebsen, Gitarrist und Songwriter von Turbostaat, Zeit genommen hat, um unsere Fragen rund ums neue Album Uthlande (VÖ: morgen) zu beantworten.


Servus und Moin, zuerst mal vielen Dank, dass wir als kleiner Blog die Möglichkeit bekommen, Euch ein paar Fragen zu stellen. Und los geht’s:

(sb) Mit Rattenlinie Nord habt Ihr als erste Single einen Track ausgekoppelt, der politischer kaum sein könnte. Bislang habt ihr Eure Einstellung in der Regel – wenn überhaupt – ja nur sehr subtil in Eure Texte einfließen lassen. Die Tricks der Verlierer, Euer bislang politischster Song, erschien lediglich als Single, weil er thematisch nicht zum Album passte. Woher der Sinneswandel? Und wurde Rattenlinie Nord genau aus diesem Grund auch die erste Single?

Marten: Hm, ich selber empfinde den Song nicht unbedingt als viel politischer als andere Lieder von uns. 

(ms) Zum Inhalt des Liedes: Es geht ja um die Flucht vieler Nazi-Größen zum letzten Reichssitz unter Karl Dönitz zum Flensburger Stadtteil Mürwik, von wo aus auch einige Nazis untergetaucht sind. Ich war vor kurzem genau dort und war erschrocken, wie wenig man über genau diese Zeit erfährt. Die Infoschilder drumherum berichten von Flora, Fauna oder der ehemaligen Torpedostation unter'm Kaiser.
Für Euch als Flensburger: Wie seht Ihr die Aufarbeitung dieses Stadtkapitels in der Öffentlichkeit? Oder etwas provokanter: Dominieren in Flensburg die deutsch-dänischen Freundschaften und Konflikte (zu sehr)?

Marten: Für mich als Mensch, der lange in Flensburg gewohnt hat, war es erst einmal ganz seltsam, dass ich erst vor ein paar Jahren über die Rattenlinie Nord gestolpert bin. Das bestärkt natürlich das Gefühl, dass diese Zeit und die Taten unserer Großeltern immer noch unter den Teppich gekehrt werden oder unzureichend thematisiert werden. Es gibt aber Gedenkkultur und gute Arbeit, die von einigen wenigen gemacht wird. In Flensburg oder auch in Husum/Schwesing. Es wäre sicher sinnvoll, wenn sich mehr - auch gerade junge - Menschen gegen das Vergessen engagieren würden.

(sb) Ihr seid ja bekannt für Eure kryptischen Songtitel und mitunter auch Texte. Wie kommt Ihr auf so Titel wie Ja, RoduchelnFünfWürstchenGriff oder Harm Rochel? Entstand das zufällig und Ihr habt Euch dann nen Spaß draus gemacht, weil Ihr immer wieder darauf angesprochen wurdet? Oder was ist die Story dazu? Und was zur Hölle ist/sind Roducheln?!

Marten: Ach, wir fanden es immer ungeil, so Standardliedertitel zu vergeben und haben uns dann etwas anderes ausgedacht, das uns Spaß macht und wir originell fanden. Das ist auch nicht kryptisch gemeint, sondern sollte nur Schlagerhaftigkeit vermeiden. Zu den Roducheln: Roducheln sind Kartoffeln aus Mecklenburg. Die wachsen von November bis März und müssen in Maßen gegessen werden. Glaube ich zumindest.

(ms) Zu den neuen Songs: Die Texte machen einen zugänglicheren, einfacher zu verstehenden Eindruck. Woran liegt es? Wollt Ihr es den Hörenden einfacher machen? Oder gab es eine neue Herangehensweise ans Songwriting?
Bei Euren Freunden von Pascow ist ja eine ähnliche Tendenz zu erkennen.

Marten: Hm, kann ich jetzt eigentlich nicht so nachvollziehen, aber gut. Ich habe einfach geschrieben wie immer, aber habe mich häufiger nach Nordfriesland in der Zeit bevor es Turbostaat gab begeben. Vielleicht ist es dadurch etwas zugänglicher geworden. 

Foto: https://commons.wikimedia.org/
(ms) Man sieht ein paar grobe Themen Eurer Texte, die auch bei den neuen Tracks erkennbar sind. Auf Schwienholt wird wieder eine Geschichte von einem schwachen Mitglied der Gesellschaft beschrieben. Was reizt Euch daran, über die Verlierer zu schreiben und zu singen?

Marten:  Ich würde Verlierer sehr stark in Anführungszeichen setzen. Man selber hat auch sein Leben lang mit der Welt und der Gesellschaft gehadert und hat sich seit seiner Jugend mit anderen Freaks und Aussenseitern verbunden. Das setzt sich einfach fort. 

(ms) Zum Inhalt eines anderen Liedes. Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und mag in Brockengeist scharfe Kritik an der Echoverleihung und der (aktuellen, erfolgreichen) Radiomusik hören. Wie ist Euer Standpunkt dazu? Braucht es Preise für Erfolg? Sind Alternativen wie der der Preis für Popkultur ein probates Mittel?

Marten: Interessant. Brockengeist geht eigentlich um Freunde von mir, Drogen und zu wenig Empathie. Zu den Musikpreisen: Das ist doch alles Ausdruck dieses omnipräsenten Konkurrenzdenkens. Das ist doch echt Quatsch. 

(ms) Daran angeschlossen: Musik ist Business und Geschäftemacherei. Ihr habt sicherlich davon mitbekommen, dass die Rapperin sookee aufhört Musik zu machen, da ihre Einschätzung ist, dass feministischer Rap kapitalisiert wurde. Wie ist Euer Standpunkt? Seht Ihr zum Teil einen Ausverkauf gewisser Themen?

Marten: Nee, das habe ich nicht mitbekommen. 

(sb) Ihr bringt es als Band ja mittlerweile auch schon auf über 20 Jahre und habt stets darauf hingewiesen, dass es Euch nur in unveränderter Besetzung unter dem Namen Turbostaat geben wird. Wir finden das natürlich sehr löblich, aber auch sehr romantisch. Wann reifte in Euch der Entschluss, das so zu handhaben?

Marten: Das steht in der ersten Platte und es gab nie einen Entschluss dazu. Peter sagte mal: „Das ist doch völlig klar!“ und so ist das auch. Wir empfinden das auch nicht als romantisch oder dezidiert löblich. Turbostaat ist halt diese Gruppe von Menschen und nicht unbedingt eine Idee mit Erfüllungsgehilfen. 

(sb) Wie vorhin schon erwähnt, seid Ihr nun bereits seit gut 20 Jahren als Band aktiv, mit Euren letzten beiden Studioalben habt Ihr sogar die Top 20 der Charts geknackt. Hand aufs Herz: Feiert Ihr sowas oder nehmt Ihr es einfach nur zur Kenntnis und fühlt Euch bestätigt?

Marten: Es ist immer besser, wenn Konzerte ausverkauft sind und Platten gut laufen, jedoch gibt es einem kaum nachhaltige Zufriedenheit oder gar Bestätigung. Ich würde sagen, wir nehmen es zur Kenntnis, schmunzeln und machen dann etwas anderes. 

(sb) Ein Blick auf Eure bevorstehende Tour lässt mich, der am Bodensee lebt, etwas desillusioniert zurück. Da ist ja wirklich gar nix dabei, was auch nur annähernd erreichbar wäre. Kommen da noch Termine dazu? Gerade der Club Vaudeville in Lindau oder die ein oder andere Location in Vorarlberg/Österreich (Conrad Sohm in Dornbirn oder das Poolbar Festival in Feldkirch) würden sich doch anbieten, oder?

Marten: Wir hoffen, dass wir im weiteren Verlauf des Jahres weiter im Süden spielen dürfen. Es ist nicht immer so einfach. Der Weg ist weit.

(sb/ms) Na dann hoffen wir doch mal, dass das noch klappen wird und danken Dir, dass Du Dir Zeit für uns genommen hast.



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