Donnerstag, 5. September 2019

Niels Frevert - Putzlicht

Man sieht ihm die Sorge an. Foto: Benedikt Schnermann
(ms) Um die neue, extrem gute Platte von Niels Frevert zu verstehen, sollte man wissen, wer Philipp Steinke ist. Das ist der Mensch, der dem Album Putzlicht seine Gestalt gegeben hat, der Produzent. Und er ist nicht irgendein Dahergelaufener, sondern ein Namhafter. Lassen wir mal bei Seite, dass er auch für Andreas Bourani oder Revolverheld gearbeitet hat, wichtiger ist eine offensichtlich andere Qualität von ihm. Er holt eine irre Kraft, Kreativität und Qualität aus Bands oder Musikern, die mit sich selbst so sehr am hadern sind. Das hat er zuletzt eindrucksvoll auf der Kettcar-Platte Ich vs. Wir bewiesen. Kettcar, die nach Zwischen den Runden kurz davor waren, die Band aufzulösen. Vergleicht man die beiden Alben miteinander, weiß man auch warum. Und nun hat Steinke bei Niels Frevert etwas Ähnliches bewirkt. Schaut man sich die letzten Alben des Hamburgers an, so ist - zumindest in meinen Augen - die letzte Platte, Paradies Der Gefälschten Dinge, ein wirklich schweres, teils sperriges Album, das an die Vorgänger nur bedingt rankommt. Insbesondere Zettel Auf dem Boden von 2011 ist ein unglaublich schönes, starkes, wortgewandtes Werk. Was genau bei Niels Frevert in den fünf Jahren seitdem passiert ist, wissen wir natürlich nicht. Man kann es jedoch erahnen. So ist nachzulesen, dass er längere Zeit gar keine Musik gemacht hat und auch auf den Texten des neuen Albums kann man Anhaltspunkte finden, was ihm zu schaffen machte.
Nach fünf Jahren Pause schätzen wir uns also mehr als glücklich, dass an diesem Freitag (6. September) Putzlicht über Grönland Records erscheint. Die zarten, sanften, schweren, sehr melancholischen Seiten hat Frevert gänzlich abgelegt. Auf der Platte ist eine satte, leichtfüßige Band zu hören, die keine Angst davor hat, die Regler aufzudrehen und die Saiten schwingen zu lassen, samt Rückkopplung. Das gab es vorher bei Niels Frevert nicht. Revolution. Die tief hängenden Streicher sind zum großen Teil passé; hier ist jemand, der aufrecht und frohen Mutes in die Zukunft strahlt.



Doch natürlich kann man sein "altes" Ich nicht gänzlich ablegen. Und so beginnt die Platte ungewohnter Weise mit einem Intro, einer Prelude, auf der die Streicher gut eineinhalb Minuten nochmal zu Geltung kommen.
Und dann kommen Lieder, die unerwartet persönlich sind. Oder sein können. Je nach Interpretation. Immer Noch Die Musik ist natürlich ein Mutmacher, der aufzeigt, dass die schönen Klänge stets ein Ausweg sind, wenn man mal wieder kurz vorm Heulkrampf steht. Vielleicht ist es auch eine Notiz des Interpreten an sich selbst. Doch Musik kann genau das auch schaffen: das Herz "in Schutt und Asche" legen. Jüngstes, eindrucksvollstes Beispiel: die neue Platte von Enno Bunger. Der Text legt sich über ein zügiges Schlagzeug, im Refrain erstrahlen Chöre, es ist gitarrenpoppig, man hört, dass Philipp Steinke am Werk war. Dazu passt der folgende Track mit dem irren Namen Ich Suchte Nach Worten Für Etwas Das Nicht An Der Straße Der Worte Lag. Eindeutig interpretierbar wie er hier über den schwierigen Songwritingprozess schreibt, Ideen entwickelt, verwirft, neu schafft.
Die große Stärke von Niels Frevert liegt natürlich im Formulieren. So schafft er es Zeilen, Strophen und Refrains zu dichten, die eventuell auch bei den von uns so verabscheuten Radio-Bubis zu finden sein könnten, aber halt nicht kitschig und berechenbar klingen, sondern aufrecht, gefühlsecht und mit einer ganz, ganz sanften Portion Ironie, die es zu entdecken lohnt.
Zum Sound: Einen Track wie Leguane hätte es vorher bei Frevert nienienie gegeben. Breitere Keyboard-Sounds, satte Bassläufe und richtig gitarrig.



Und nun noch mal zu den Texten. Ein großartiger Rezensent schrieb vor Jahren sinngemäß, dass Niels Frevert es schafft mit seinen Liedern Dreieinhalbminutenromane zu dichten. Das wäre mir selber gerne eingefallen. Der Anteil dieser Songs ist auf Putzlicht eher gering, aber sie sind da. Zum Glück. Zwei Beispiele. Erstens: Wind In Deinem Haar. Der Song besteht fast nur aus Satzfragmenten, aus denen jedoch ein schlüssiger roter Faden entsteht. Seit Jahren liegt der zweite Teil von Der Mann Ohne Eigenschaften in meinem Bücherregal. Ich stelle fest: Fragmente lieber hören als lesen. Freverts Charme-Plus, seine manchmal brüchig klingende Stimme, kommt dabei wunderbar heraus.
Zweites Beispiel: Brückengeländer. Oh, das hat mich gepackt! Richtig tief in der Seele. Ein Dreieinhalbminutenroman (okay, bisschen über vier). Zum Einen ist es vielleicht die Gemütslage, die er auch auf Ich Suchte Nach Worten... besang. Zum Anderen ist es ein toller, großer Song, der eine Parallele zum eigenen Leben zieht: ein im Nachhinein gebrauchtes Jahr, aus dem man lernen muss, dass alles hätte-wenn-und-aber nichts nützt, es ist: "Vergangenheit, vorüber und vergessen." Ja, das muss man lernen. Danke dafür. Da ist ein gewisser Pathos völlig angemessen!

Mensch, Niels Frevert. Ich habe mich wirklich auf dieses Album gefreut. Ich hätte nicht gedacht, dass es so phantastisch ist und mich so berührt. Dafür ist die Musik da.
Der neue Sound, die feinen, klugen Texte. Es passt hervorragend.

Das sollte man sich demnächst hier anschauen:

09.10. Essen - Zeche Carl
10.10. Köln - Club Bahnhof Ehrenfeld
11.10. Frankfurt - Nachtleben
12.10. Münster - Gleis 22
16.10. München - Orangehouse
17.10. Dresden - Scheune
18.10. Berlin - Heimathafen
19.10. Hamburg - Mojo Club

02.12. Freiburg - Jazzhaus
03.12. Stuttgart - Im Wizemann Studio
04.12. Augsburg - Soho Stage
05.12. Ulm - ROXY
06.12. Mannheim - Alte Feuerwache
07.12. Hannover - Pavillon
08.12. Oldenburg - Wilhelm13
09.12. Leipzig - die naTo
12.12. Rostock - Helgas Stadtpalast
13.12. Magdeburg - Moritzhof


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