Dienstag, 3. September 2019

Wie Spotify & Co. Hörgewohnheiten ändern, Teil 1: Muße

Quelle: redbull.com (Ja, sorry)
(ms) Hiermit versuche ich ein lange gehegtes Vorhaben zu realisieren: Eine Reihe über Spotify, Streamingdienste und wie sie sukzessive Hörgewohnheiten ändern, ändern können oder es bereits getan haben. Das wird einseitig und populistisch, da ich selbst keinen einzigen Streaming-Dienst nutze, außer Videos bei YouTube zu schauen. Und ich sträube mich auch dagegen. Die Gründe dafür versuche ich hier nach und nach aufzuzeigen. Teils mit guten Argumenten, teils mit reiner Emotion. Ich bin selbst ganz gespannt.

Vor Kurzem war ich auf einem klassischen Konzert. Der Kantor der Gemeinde veranstaltet eine ganz tolle Reihe, die da Musik am Ersten heißt. Das heißt: Jeden ersten Tag des Monats gibt es abends ein Konzert für umsonst. Vorletztes Mal war es reine Orgelmusik, unter anderem von Max Reger. Totaler Wahnsinn!
Nun spielte ein Saxophon-Quartett mit Orgelbegleitung. Sie spielten keinen Jazz, was bei dem Instrument nahe liegt, sondern Klassik. Bach. "Die Kunst der Fuge".
Kurz und knapp erklärt, worum es dabei geht: Das Grundgerüst - die Fuge - des gesamten Abends besteht aus fünf Takten. Diese werden pro Stimme und Durchgang immer weiter variiert, bis sie sich mehr oder weniger unverkennbar verselbstständigt hat. Über 80 Minuten war die Fuge mit Gegenfuge, Doppelfuge oder Spiegelfuge zu hören. Dabei änderten sich Tempo, Lautstärke, Länge, Intonation etc. Es ist wie ein Baukastensystem aus dem immer gleichen Steinchen. Wer gern Lego spielte, weiß wovon ich spreche. Die Holzbläser und die Orgel wechselten sich stetig ab. Das Thema wurde geändert, umgedreht und variiert, bis ein Neues hinzu kommt.

Das Ergebnis: Zuerst schien es recht eingängig zu sein, weil sich so wenig getan hat. Die Veränderung geschah dann so implizit, dass der letzte Contrapunct (so die Bezeichnung Bachs über die Variationen) kaum noch mit dem Ausgangsmaterial zu vergleichen war. Diese Entfremdung ließ sich aber beim aufmerksamen Zuhören nachzeichnen. Immer wieder erschien das Hauptthema oder Teile dessen. Es lag auch daran, dass das Quartett Art Of Sax ein irres Niveau an den Tag gelegt hat.

Was hat das denn nun mit Spotify zu tun?
Ganz einfach. Für diese 80 Minuten Hörgenuss braucht es Muße und Bereitschaft sich darauf einzulassen. Es macht zudem Spaß, wenn man merkt, was sich gerade tut, was sich ändert und wie die innere Systematik funktioniert. Muße auch deshalb, weil man sich - um belohnt zu werden - auf eine Sache konzentrieren muss. Klassische Musik in seiner Länge und Darbietungsform ist ein guter Gegensatz zu Spotify. Die Stücke sind ab und an recht lang. Es lässt sich nicht nach vorn und hinten spulen oder skippen, es gibt keine 30-sekündige Vorschau oder Werbung. Die Reihenfolge ist wichtig und muss durchgezogen werden, um den Kern des Ganzen zu verstehen. Außerdem: Wenn man sich das ganze live ansieht, dann meist in einer Kirche. So auch hier. Die Möglichkeiten der Ablenkung sind also gegebenenfalls sehr, sehr niedrig. Und es schickt sich nicht, währenddessen aufs Handy zu gucken. Einfach mal still sein, und sich komplett auf die Musik konzentrieren. Ohne Gesang, ohne Show. Pur. Rein. Das tut der Seele gut und sie dankt es einem, wenn man danach mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause geht.

Teil 1: Muße!

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