Am Samstag brauchte die Gegend etwas, bis sie die Besucher in den Bann ziehen konnte, denn - wie zur Zeit eigentlich stets - hat es aus Eimern gegossen. Das kam den Besuchern und Veranstaltern nicht unbedingt gelegen. Denn zum ersten Mal wurde die große Kraftzentrale (wo in den letzten Jahren unter anderem die Editors oder Calexico gespielt haben) nicht bespielt, sondern mit einer Openair-Bühne am Cowperplatz ersetzt.
Angekommen mit durchnässten Schuhen, war das erste Ziel etwas Überdachtes. Zum Glück hat I Have A Tribe in der Gebläsehalle gespielt. Der Ire hat sich Unterstützung am Bass und Gesang geholt. Patrick O'Laoghaire selbst saß am Flügel und hat leise und bedächtig die Halle mit Gesang und Tönen gefüllt. Auch die bestuhlten Reihen füllten sich mehr und mehr. Ob das an der Musik oder am Wetter gelegen hat, sei dahin gestellt. I Have A Tribe spielten angenehmen Folk, die kleine, feine Geschichten erzählten. Die Gebläsehalle zeigte schon am Nachmittag, dass sie ein einzigartiger Ort für Konzerte ist. Innen ist es stockfinster und diverse Lichtprojektionen sorgten für Gänsehautstimmung.
I Have A Tribe, Gebläsehalle |
sonst konnte man sich bei den vielen Essensständen wirklich leckere Kleinigkeiten gönnen!
Dann: Bernd Begemann und die Befreiung openair auf der neuen Bühne. Natürlich fing es an zu regnen, man suchte Unterschlupf, doch was genau den Wettergott zur Mäßigung berufen hat, bleibt unklar. Vielleicht war es der gut tanzende Sänger, der sich schnell das Shirt auszog. Wer Begemann noch nicht live gesehen hat muss wissen, dass er auch ein etwas nasses Publikum genau weiß zu unterhalten: Herrlich! Er dehnt seine Songs weit auseinander, improvisiert mit Anekdoten und bringt die Zuhörer zum Mitschnipsen, Mitpfeifen, Mitklatschen, Mitgrölen zu "Judith, mach deinen Abschluss" oder "Ich hab nichts erreicht außer dir". Großes Kino, tolle Unterhaltung, scheiß auf das Wetter.
Zum Festivalnamen, der Traumzeit, passte an diesem Samstag wohl keiner besser als der Isländer Ásgeir. Seine sphärische Musik hätte vielleicht besser in eine der Hallen gepasst, um zur vollen Entfaltung zu gelangen, doch der Funke sprang auch auf der freien Bühne über. Mit insgesamt vier Synthesizern, Gitarren, Klavier und Schlagwerk erzeugte er mit seinen fünf Mitmusikern tolle Klangwelten. Sein Erfolgsalbum "In The Silence" hat er auf Englisch wiederaufgelegt, live jedoch ausschließlich isländisch gesungen. "Torrent" oder "King and Cross" waren zwei der Höhepunkte. Ásgeir selbst hielt sich äußerst zurück mit dem Publikum zu interagieren, musste er aber auch nicht, so viel Applaus hat er bekommen. Absolut zurecht. Highlight!
Bäm! Das silber-glitzernde Banner kommt voll zu Geltung. Tocotronic! |
Als Headliner des Abends spielten Tocotronic. Eigentlich muss man nichts mehr darüber schreiben. Seit Jahren machen sie konstant starke Musik, Hamburger Schule hin oder her. Politischer Diskurspop hin oder her. All das wissen die vier Mittvierziger selbst und inszenieren sich ein wenig selbstverliebt. Mit einer hymnenhafter Einmarschmusik kamen sie auf die Bühne und wurden dem späten Slot absolut gerecht! Die Gebläsehalle war proppevoll, auch der "Burggraben" vor der Bühne; dort tümmelten sich textsichere Fans und jene, die es währenddessen geworden sind. Natürlich gab es Worte gegen Deutschland, darf man auch erwarten, dazu schallender Applaus! Nur wenige Songs vom aktuellen, roten Album wie "Zucker" wurden dargeboten. Ansonsten ein toller Best-of-Mix mit Songs wie "Drüben auf dem Hügel", "Freiburg", "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein", "Macht es nicht selbst", "Explosion". Brilliant!
Liebes Traumzeit Festival, es war wieder einmal großartig. Das Booking ist vielseitig und wirklich originell! Wir freuen uns aufs kommende Jahr und bald gibt es noch ein paar Infos zu den Änderungen aus den letzten Jahren.
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