Montag, 2. Juni 2025

Leselounge: Rike van Kleef - Billige Plätze

(Ms) Es läuft einiges schief.
Ein Beispiel vom vergangenen Wochenende: Ich machte ein paar Besorgungen, im Auto lief Radio21. Aber nicht besonders lang. Denn zuerst machten sich die Moderatoren darüber lustig, dass in Magdeburg ein Theaterstück von oder über Tokio Hotel lief. Danach wurde über prominente weibliche Groupies berichtet und mit welchen Männern sie denn alles Sex hatten. Der Tonfall eher salopp und völlig normal. 
Der schale Beigeschmack: Hier machen sich die Radioleute über eine Band lustig, die eine wichtige, laute Stimme für die queere Community ist und Frauen im Rockgeschäft werden komplett sexualisiert dargestellt. Was P. Diddy oder Til Lindemann tun ist denen aber hoffentlich bekannt. 
All das im Frühsommer 2025. Es läuft einiges schief.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Musikgeschäft hat irgendwie einen recht fortschrittlichen, liberalen Charakter was Gleichberechtigung angeht und irgendetwas suggeriert Offenheit gegenüber allen Geschlechtern. Dass das nicht so ist, zeigt Rike van Kleef sehr eindrucksvoll in ihrem neuen Buch Billige Plätze, das just im Ventil Verlag erschienen ist. Auf gut 300 Seiten fasst sie wahnsinnig umsichtig und sehr gründlich recherchiert zusammen, wo vor und insbesondere hinter der Bühne die Probleme der Gleichberechtigung liegen. Ob es um die Zusammenstellung von Teams geht, einer Konzert- und Festivalorganisation, die Eltern berücksichtigt, Livestätten, die sich auf Menstruation einstellen bis zu all den sexuellen Übergriffen und Machtverhältnissen, für die sich Männer verantworten müssen. Ja, es gibt mittlerweile viele Künstlerinnen, die groß, erfolgreich und als Vorbilder dienen. Aber wenn die Musikerinnen von Blond erzählen, dass sie lange die Dusche für Frauen auf einem Festival suchen mussten und die dann auf einem Parkplatz stand und nicht abgeschlossen werden konnte, wird klar, dass die Problemfelder tief sitzen. Sehr tief.

Rike van Kleef berichtet nicht nur sehr eindrucksvoll und erschütternd von eigenen Erfahrungen, sondern lässt zahlreiche AkteurInnen zu Wort kommen, die aus ihren Metiers berichten. So viele Jobs gibt es in der Musikbranche. BusfahrerInnen, LichtechnikerInnen, Menschen am Ton und im Bühnenbau. BookerInnen, JournalistInnen, PR-Agenturen und all die Menschen auf der Bühne. Als Fan, der auf Konzerte und Festivals geht, bekommt man von vielen dieser Jobs gar nicht so viel mit. Daher ist dieses Buch nicht nur eine sehr klare Auflistung all der Probleme, sondern beleuchtet auch eine Branche, bei der enorm viele Handgriffe im Hintergrund verlaufen und die uns erst all die schönen Live-Momente ermöglichen.

In wenigen Tagen habe ich dieses Buch gelesen, da ich aus dem Staunen gar nicht mehr rauskam, was denn alles schief läuft. Ich habe viel gelernt! Als Typ, der hier über Neues berichtet, auf Konzerte geht und darüber schreibt, hauptberuflich aber etwas ganz anderes macht, ist dies ein wahnsinnig wichtiges Buch. Denn es macht bekannt, was intern zu Teilen schon besprochen wird. Die Musikbranche ist eine große Kunst- und Unterhaltungsindustrie. Eine Branche, in der es schon einige Netzwerke gibt, die FLINTA-Stimmen lauter werden lässt und in der schon viel passiert. Und wo es noch viel zu tun gibt.

Billige Plätze ist nicht nur eine fundierte Zusammenstellung der Bereiche, in denen mehr getan werden muss. Dieses Buch steckt den Kopf nicht in den Sand - obwohl ich mir beim Lesen oft an den Kopf gefasst habe. Es zeigt zahlreiche Felder auf, an denen gearbeitet werden kann und muss - und das ganz undogmatisch, sondern positiv in die Zukunft schauend. Es ist eine Ermunterung auch an alle Männer, dass sie immer von Gleichberechtigung profitieren werden! Es nichts anderes als eine Pflichtlektüre für jede Person, der die Kunst wichtig ist und sie liebt.

Und was hat das Buch mit mir zu tun? Groß und besonders einflussreich ist dieser Blog nicht. Aber egal, er ein Mosaik des Geschäfts. Ich setze dieser Seite keine Quote für FLINTA-Artists, hoffe aber, recht ausgeglichen zu berichten. Ob das wirklich so ist, möchte ich in einem zweiten Schritt herausfinden mit einer Reflexion dessen, worüber hier eigentlich berichtet wird. Stay tuned und lest dieses Buch!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (siehe Blog-Startseite unten) und in der Datenschutzerklärung von Google.