Samstag, 12. Oktober 2024

Famous - Party Album

Foto: Jack Lovekin
(Ms) Folgende These: Große Krisen können große Kunst hervorbringen.

Wenn wir dieser These einfach mal ohne Einspruch folgen, ploppen einige Nachfolgefragen auf. Auch aus ethischer Sicht im weitesten Sinne. Denn wenn ein Mensch eine schlimme Episode seines Lebens durchschreitet und auch wirklich leidet - ist es dann okay, das Ergebnis eines kreativen Schaffensprozesses, der sich diesem Leid anschließt oder aus ihm entspringt, gut zu finden?!
Das ist natürlich schwer zu beantworten, da ich als Hörer einer mir fremden Person nicht helfen kann. Habe ich überhaupt Einfluss darauf? Sicherlich nicht. Und es ist ja auch nicht so, dass ich mich an dem Leid eines anderen laben würde, so weit kommt es ja nicht.
Doch viele großartige Alben entspringen ja aus einem dunklen Tief der Person, die sie geschaffen hat. Heikel, heikel. Und leider gehen ja auch viele Personen an dem öffentlichen Rummel oder den abgründigen Seiten des Musikbusiness zugrunde.

Warum ich überhaupt diese schweren Fragen aufwerfe, hat einen recht einfachen Grund: Jack Merrett hat am Freitag (11. Oktober) mit seiner Band Famous sein erstes Album veröffentlicht. Und der Weg dahin war dunkel und krisengezeichnet. Seine Kunst verarbeitet das und ich hoffe inständig, dass es ihm hilft. Denn so viel steht fest: Party Album ist eine unglaubliche Platte! Wie viel Dringlichkeit, Energie und Härte stecken denn in diesen 31 Minuten?!
Jack Merrett kommt aus London und ich liebe diesen Akzent, der immer wieder in seiner Stimme zu hören ist. Apropos Stimme: sie ist ein wahnsinniges Alleinstellungsmerkmal. Tief, sonor, eindringlich und dennoch bricht sie immer wieder, wenn er über seine Krisen als Endzwanziger singt, brüllt, flüstert. Die neun Tracks der Platte sind gezeichnet von einem recht rohen Sound, an dem wenig glatt geschliffen wurde. Wenn das Klavier klingt, dann als ob es direkt neben mir stehen würde. Wenn die Gitarren, der Bass und die Drums scheppern, dann so, dass ich in diese wilde Szenerie am liebsten eintauchen möchte und auch ausrasten will.
What … The Rest Of Your Live ist ein herrlich pulsierender Alternative-Rock-Track, der mit einer richtig guten Keyboard-Hook glänzt und spätestens auf der zweiten Hälfte zeigt, was Merrett alles mit seiner Stimme anstellen kann - beeindruckend! 2004 setzt dem nochmal die Krone auf. Denn wie dieses Stück sich entwickelt, ist einfach richtig gut arrangiert. Ich verfalle sehr schnell Songs, die wie ein großes Crescendo aufgebaut sind und dies hier ist ein Paradebeispiel, durch das sich ein markantes Gitarrenriff zieht. In der Mitte des Tracks kommt der Eindruck auf, dass es dann so bleibt, aber bei weitem nicht - hinten lauert die Explosion! Richtig knarzig, wild, ruppig geht es auf God Hold You zu! Ein Lied wie dieses kann doch nur aus einem persönlichen Abgrund entstehen. Irre! Doch am Ende kommt die große Einsicht: Love Will Find A Way heißt das letzte Stück, hat einige sanfte Phasen. Doch auch eine Menge Verzweiflung mischt da mit.

So ist Party Album die bittere Einsicht, dass die Party vorbei ist. Die Zeit der durchzechten Nächte da acta gelegt. Da kommt ein bisschen Wehmut auf, doch eines ist viel wichtiger: Diese Platte strahlt vor heilenden Momenten, denn auf den neun Liedern bricht alles heraus, was sich bei Jack Merrett angestaut hat. Und ich wünsche ihm nur das beste, dass er seine Musik als Kanal nutzen kann, um seine Krisen wirklich verarbeitet zu haben. Und so bleibt die bittere Erkenntnis: Ja, ich kann das gut finden oder sogar brillant, wofür jemand anders gelitten hat.


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