Dienstag, 4. Juni 2024

Amanda Bergman - Your Hand Forever Checking On My Fever

Foto: Julia Mård
(Ms) Kunst kann jeden Kanal des menschlichen Empfindens berühren. Kann diese Rührungen aufbauen, intensivieren oder auch abschwächen und abflauen lassen. Durch ein herrlich romantisches Lied kann eine innige Situation noch schöner werden. Energische, laute, wilde Musik kann meinen eigenen Zorn kanalisieren und im besten Fall verfliegen lassen. Habe ich Bock zu tanzen, dann schaue ich in den 00er-Klassikern, was meine Beine am schnellsten elektrisiert. Nerven die Personen in der Schlange an der Kasse vor mir, hilft mir aggressiver Rap, dass nicht die Person es abbekommt, sondern die Verwünschungen in der Luft verfliegen. Diese Liste lässt sich noch lang erweitern.

Doch ich behaupte, dass es ein Gefühl gibt, das im Alltag selten zur Geltung kommt. Und dieses Album ist das Vehikel, um es in den Vordergrund zu hieven, um es glänzen zu lassen. Es ist das Weiche, das Seichte, das Zarte und das Schöne. Zu laut ist es draußen, zu wild, zu bürokratisch, zu dreckig sind die Ecken und der Keller eh unaufgeräumt. Wann atmet man denn schon mal entspannt durch bei sinkendem Puls, schaut auf alles Gute, hält inne und lächelt zufrieden, weil alles gut ist, wie es ist. Ich behaupte, dass dies eine seltene Situation ist. Und Amanda Bergman bringt uns mit ihrem neuen Album Your Hand Forever Checking On My Fever genau das Album, das genau das mit unvorstellbarer Leichtigkeit schafft. Ja, man könnte behaupten, dass diese Platte wenig ereignisreich ist und Phasen der Länge hat. Das mag sicher stimmen, aber diese entspannte Ruhe hat einen wundervollen Kern.

Diese Platte ist die erste, die die Schwedin seit 2016 veröffentlicht. Acht Jahre sind viel in der Musiklandschaft. Gut Ding will aber Weile haben und sie hat ja auch noch eine Band und halt auch ein privates Leben (Kinder, Landwirtschaft, Umweltaktivismus). Neun neue Stücke gibt es. Über das Ende und den Anfang des Lebens. Um das Glück und die Trauer dazwischen. Einige sind ganz reduziert arrangiert, andere etwas opulenter, aber nie überbordend. Ein paar sollen hier stellvertretend für die Platte beschrieben sein. Da ist zum Beispiel der Opener Wild Geese, Wild Love. Gezupfte Gitarre, entspanntes Schlagzeug und dann eine hauchende Stimme, die einsetzt. Ein langsames Aufwachen, aber auch einen Schlussstrich unter der Vergangenheit ziehen. Und ein Akt der Ermächtigung, dass Wahrheit auf jeden Fall weh tut, aber auch befreien kann. All das vermittelt ihre Stimme, vollkommene Aufrichtigkeit. Wie Amanda Bergman auf I Love Him `Til I Love Him Right singt, hauchend und dann wieder kräftig. Und wenn dann eine Trompete einsetzt, dann macht es Peng! Die Lieder dieses Albums sind zum Teil aufrichtige Vergangenheitsbewältigung, geht ja auch in der Gegenwart meist nicht so gut. Doch Amanda Bergman macht sich auf den Texten auch reichlich nackt, singt sich alles von der Seele. Genau dann wird die Kunst am Größten wie auf Day 2000 Awake, wenn sie auf eine vergangene Beziehung blickt, hart und ehrlich zu sich selbst. Dabei jedoch in einem wunderschön warmen Klangkorsett.
Dann erklingt My Hands In The Water, das absolute Highlight in meinen Ohren. Lang ist es her, dass ich so ein wunderschönes, glänzendes Lied gehört habe. Für die lyrische Kunst tut es mir an diesem Punkt richtig leid, aber mir ist ziemlich egal, worum es in dem Stück geht. Das Arrangement an sich packt mich total, es ist so rund, so voller Energie, voller guter Ideen und phantastischer Umsetzung! Der wunderbare, weiche Bass, die Klarinette, das nicht enden wollende Schlagzeugspiel, ihre herrliche Stimme. Das ist der Moment, in dem ich inne halte, das Leben betrachte, mich darüber freue, die Kunst schätze und absolut im Hier und Jetzt bin.

So ist unterm Strich für mich der Klang des Albums viel essentieller als der Text. Wie gesagt, das tut mir leid, aber ich finde Your Hand Forver Checking On My Fever derart genial arrangiert, dass die Texte einfach nicht so stark ins Gewicht fallen. Diese neun Stücke sind herzerwärmend, leicht, sanft, beruhigend, zum Staunen anregend. Was will ich denn mehr von Musik, von Kunst?! Eben! Und auf der anderen Seite ist es doch wunderschön, dass jeder und jede mit dieser Musik eine eigene Geschichten schreiben kann.

Live lassen sie sich her verfassen:

16.09.24 - Berlin, Privatclub
24.09.24 - Köln, Jaki
26.09.24 - Hamburg, Nochtwache


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