Samstag, 13. August 2022

KW 32, 2022: Die luserlounge selektiert

Bild: sarahscoop.com
(sb/ms) Wahrscheinlich ist es eine Generationenfrage. Das rede ich mir zumindest seit Mittwochabend ein. Meine Einschätzung mag falsch und unfair sein, aber so ist das halt. Autotune. Was soll die Scheiße? Es klingt in erster Linie total bescheuert, billig und befremdlich. Zudem beschleicht mich immer mehr der Anschein, dass es ja das einfachste Mittel ist, mit dem jeder noch so schlechte Sänger (bewusst nicht gegendert, da mir da hoc und zum Glück keine weibliche Rapperin mit Autotune einfällt) seine Musik irgendwie hörbar machen kann und seinen Rotz dann in den Äther schießt. Mittwochabend wurde mir das zwei Mal hintereinander bewusst. Erst bei einem Emms, danach bei Ennio. Beide spielten beim Einfach Kultur-Festival in Oldenburg im Vorprogramm von Audio88 & Yassin. So stand ich da mit dem Blick gen Bühne gerichtet und fand es nur schlimm. Dann schwenkte ich meinen Fokus und sah insbesondere viele jüngere Mädels (also um die 20), die das leidenschaftlich mitgesungen haben. Es gab zwei Mal billige Texte in billiger Musik verpackt und die nächste Frage war: Woher kann man die kennen? Auf meinem Hörradar erscheinen sie nicht. Vielleicht haben Spotify und Instagram was damit zu tun, beides nutze ich nicht. Tja, vielleicht ist es wirklich eine Generationenfrage. Das hoffe ich zumindest. 
Danach haben Audio88 & Yassin ordentlich abgefackelt. Das hat richtig Spaß gemacht. Und mir ist bewusst geworden, dass es kein zynischer, harter Rap ist. Sondern harter Rap, der mit Änderungen des Blickwinkels ziemlich schlimm den Finger in die Wunde bohrt!

The Streets
(Ms) Was für eine wunderschöne, wenn auch traurige Überraschung. Die bestimmt zehn letzten jeweils neuen Lieder von Mike Skinner aka The Streets fand ich durch die Bank weg alle großen Mist. Da musste ich echt skippen, weil mir sowohl die Beats als auch die teils recht platten Texte überhaupt nicht zusagten. Daher war ich auch mehr als skeptisch, als eine Mail reinflog, die Neues aus London präsentierte. Draufdrücken oder nicht? Play oder Pause? Klar, reinhören ist bei Mike Skinner immer ein Muss und dieses Mal ging es wieder auf. Die Traurigkeit, die in Bexit At Tiffany‘s durchscheint ist sehr verwandt mit einer Klangstruktur, wie sie bei ihm vor vielen, vielen Jahren schon zu hören war. Eine Melancholie, die man so echt nur bei The Streets hört, wenn er über das Ende einer Beziehung berichtet, das man so vielleicht gar nicht wollte. Wie die Briten mit ihrem Brexit, die diese dämliche Entscheidung nun ausbaden müssen. Ach, Mike, ich bin etwas beruhigt und heilfroh, dass die alte Liebe zur Musik immer noch lodert!


KeKe
(ms) Nochmal schnell ein paar Worte zum groooßen Thema Genrebezeichnungen. House-Wave. Trap. Boom-Bap. Ey, ich komme echt nicht mehr mit. Was soll das alles?! Schon wieder kurz vorm Aufregen. Wenn ich KeKes Musik nun mit Techno-Rap bezeichnen würde, bin ich ja auch nicht besser. Also schnell mal einen Punkt machen und sich auf das Wesentliche besinnen: Satten, eingängigen Bass, der schnell zum Kopfnicker wird und Bock macht. Es wird immer besser, wenn die Wienerin noch ordentlich Inhalt mitbringt. Bodypositivity. Mit dem eigenen Körper, egal wie er auch geformt ist, zufrieden zu sein, scheint mir oft eine der größten Herausforderungen dieser Zeit. Thick ermutigt all jene, die diesen Schritt noch nicht ganz geschafft haben. Daher: Mach mal laut das Ding!

 
Sinnfrei
(sb) Würde Farin Urlaub dieses Album zusammen mit seinem Racing Team veröffentlichen, läge ihm die Fachpresse vermutlich einmal mehr zu Füßen. Tut er aber nicht. Stattdessen stammt der Release Erotik des Zerfalls (VÖ: 19.08.) von der Düsseldorfer Band Sinnfrei und ich verneige mich tief. A bisserl Punk, a bisserl Ska, wunderbare Bläser-Passagen und Texte, die zwischen Sozialkritik und sehr viel Humor schwanken machen das Hören zum Erlebnis. Klar, nicht jeder Track ist ein Banger, aber bei welchem Album ist das schon der Fall? Ich bin auf jeden Fall sehr positiv überrascht und freue mich, diese Band kennengelernt zu haben. Lieblingssong: Ansatzlos Gestrichen!

 

Lambchop
(ms) Oh nein! Voll erwischt! Oben noch schön über Autotune abgehatet, so ist hier eine Band, die seit einigen Jahren ausgiebig damit arbeitet. Na gut, mittlerweile wird es wieder weniger, was ich begrüße, aber dem kann ich mich nun nicht entziehen. Lambchop also. Ein Phänomen seit vielen, vielen Jahren. Die Experimentierfreude nimmt einfach nicht ab. Das finde ich erfrischend und genial. Kurt Wagner ist auch schon über sechzig, ein Beweis, dass Alter im Musikbusiness überhaupt nichts zu bedeuten hat. Dann kann man auch irgendwann ein Album rausbringen, das The Bible heißt. Mit So There ist nun ein weiterer Song zu hören und der mich direkt ganz ruhig macht. Oh, wunderbarer Zauber der Musik. Das gefällt mir sehr. Und erneut wird geduldiges Hören belohnt. Wenn später im Lied ein leichter Rhythmus einsetzt, ist das im Lambchop -Universum schon ein bewegender Moment. Ich freue mich sehr auf die neue Platte, das kann nur gut werden!


And You Will Know Us By The Trail Of Dead
(ms) Geduld haben. Das ist eine Tugend. Vieles lohnt sich so, so sehr, wenn man nur ausreichend wartet, schaut, Dingen eine Chance gibt, abwägt und dann knallt es. Der Knall kann manchmal laut und mal zart sein. Mal fetzt er, dann sorgt er für Gänsehaut. Alles ist möglich. Bei And You Will Know Us By The Trail Of Dead sowieso. Ich finde es irgendwie charmant, dass sie ihre Alben durchnummerieren. So ist dieses Jahr XI: Bleed Here Now erschienen. Ist irgendwie komplett an mir vorbei gegangen. Zwei Ohren sind begrenzt in ihrer Aufnahmefähigkeit. Contra Mundum ist ein so typischer Track der Band mit dem endlosen Namen. Unvorhersehbar, was passiert. Ich wäre nicht verwundert, wenn er fünf Minuten so klingt wie am Anfang. Doch ich war heilfroh, dass er zum Ende hin Fahrt aufnimmt. Alles in einem bescheidenen, gediegenen Gewand, und dennoch (trotzdem?) wunderschön. Geduld wird belohnt. Punkt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (siehe Blog-Startseite unten) und in der Datenschutzerklärung von Google.