Montag, 22. November 2021

Fuzzman - Endlich Vernunft

(ms) Kleine Konfrontation aus Kärnten. Und dieses Mal gar nicht literarisch, sondern aus der Musik. Denn: Seit vielen, vielen Jahren bin ich vom Werk Josef Winklers auf schauderliche Weise begeistert. Er schreibt in all seinen Büchern eigentlich immer über die selben drei, vier Themen. Und dennoch bleibt es aufgrund seines gewaltigen Schreibstils immer wieder lesens-, nein, verschlingenswert. Er kommt aus Kärnten. Herwig Zamernik ist mit Kärnten auch tief verbandelt. Doch er bejaht das Leben, statt es wie Winkler immer und immer wieder an seine aushaltbaren Grenzen zu drängen. Bekannt wurde Zamernik mit Naked Lunch. Doch seit vielen Jahren macht er auch als Fuzzman Musik. Und betritt dabei ganz andere Sphären und Themen. Das durchaus Schwere und Melancholische von Naked Lunch hat auf seinen Solo-Platten nicht viel Raum. Das ist gut. 

Am 12. November ist sein neues Album Endlich Vernunft erschienen. Und plötzlich sah ich mich mit einem alten Thema konfrontiert: das Genre. Immer wieder versuche ich mich davon frei zu machen, immer wieder versuche ich das zu begründen, immer wieder sehe ich mich genau da gefangen, dass der Mensch Schubladen braucht. Und dieses Mal hilft sie mir echt weiter. Denn das Wort 'Schlager' ließ irgendwie nicht lange auf sich warten. Fuzzmans Musik ist so heiter, pathetisch, teils gemütlich und leicht, dass es auf mich schlageresk wirkt. Weit gefehlt mit dieser spontanen emotionalen Übersprungshandlung! Und zum Glück hörte ich letztens von Sven Regener einen sehr guten, sinnigen Einwand zum Genre. Schlager ist nur Schlager, wenn er ökonomisch floriert. Sonst ist es Schrott. Schlager dient einzig der wirtschaftlich erfolgreichen Funktion. Mehr will dieses Genre gar nicht. Dabei verwies Regener auf Reinhard Mey. Genau. Der hat nämlich Folgendes gesagt: „Ein Schlager ist nur gut, wenn er sich gut verkauft. Ein Chanson kann ein Meisterwerk sein, auch wenn es nur drei Menschen findet.“
Ha! Was für ein unverschämt guter Satz! Den lassen wir hier mal genau so stehen und betrachten Endlich Vernunft als poppigen Chanson mit österreichischem Charme!

An Baum für die Nacht ist das erste Stück und hier wird vorweggriffen auf den Schluss - ja, es ist eine Coda - das Album endet mit der gleichen Melodie wie es startet. Die acht Stücke sind also bestens eingebettet. Und fangen mit Kärntner Dialekt an. Doch das ist auch für einen Wahlnorddeutschen wie mich gut verständlich (liebe Grüße an Voodoo Jürgens an dieser Stelle). Hochromantisch ist der Gedanke, eines Tages mit den Krähen zu fliegen, die einen Baum für die Nacht suchen und die jetzt erstmal nur durchs Fenster zu beobachten sind, während das Herz schwer ist: Eskapismus jetzt! 
Gib Mir Mehr danach ist Aufbruch. 'Mir fehlt der Glauben an den Glauben.' Das sind Zeilen, die bleiben und hoffnungsvoll fatalistisch dreinblicken lässt. Die Bilder, die Zamernik darin schafft, sind tief verwurzelt in seiner ehemaligen Wahlheimat zwischen Menschen und Landschaft - ein Motiv, das immer wieder aufkommt. 
Die Frage vom Anfang steckt auch im nächsten Track: Weil Ein Schlager Vergeht. Da steckt die Krux ja schon im Titel. Das hier bleibt halt, weil es so rund ist und der Pathos aus dem Herzen und nicht aus einem Auftragsschreiberstudio kommt. Im Lied hängt schon der österreichische Hang zum Tod, der mit einem trotzig fröhlichen Blick auf ach-so-schöne Leben aufgebrochen wird. Das funktioniert gut, weil auch die Instrumentalisierung dieses Liedes so leicht ist. Ebenso locker, beinahe kindlich-naiv geht es mit Und Ich Träume Vom Meer weiter. Warum immer alles so schwer machen, alles zerdenken, zermalmen, wenn auch ein einfacher Traum von etwas sehr Schönem möglich ist?! Eben! Danke an diese Einstellung an dieser Stelle.
Das Thema Heimat kommt logischerweise auf dem Track Ein Heimatfilm erneut auf. Und die Assoziation, dass hier vielen anderen Songs die Ehre erweisen wird, nimmt nicht ab. Textlich bei Karat und musikalisch in der Bridge später bei Madsen. Kann natürlich geplant sein oder nur in meinem wirren Kopf so erstehen. Heimat kann alles sein - Pornofilm oder Witz auf Ketamin. Das ist das schöne. Insbesondere dann, wenn dieser Begriff von EkelhAfDen besetzt wird. Holen wir ihn uns zurück.
Verhältnismäßig derber geht es auf Da Ist Doch Nichts Verkehrt zu. Die Bläser kommen hier herausragend zur Geltung, sorgen auf einem eh abwechslungsreichen und hörenswerten Album für noch mehr Facetten.
Kurz vor Schluss gibt es mit Vom Ende noch etwas melancholische Schwere auf die Ohren. Sehr mutig, eines der acht Lieder gar als Instrumental erscheinen zu lassen. Doch es passt so, so, so gut ins Gesamtbild, stört in keinem Takt und macht das Album noch breiter, ehe es dort endet, wo es begann.

Rund, harmonisch, einfach nur schön. Weit entfernt vom Schlager, nah am Herzen, der Heimat, dem Saloppen zwischendurch. Endlich Vernunft ist emotional statt rational. Genau daher ist es so gut!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (siehe Blog-Startseite unten) und in der Datenschutzerklärung von Google.