Freitag, 10. September 2021

KW 36, 2021: Die luserlounge selektiert

Quelle: ponderings.com.au
 (sb/ms) Die Gegend hier ist dicht bebaut, besonders schön sind die drei, vier Straßen hier nicht. Bizarr ist diese Bemerkung erst, wenn ich nach der Arbeit, am Wochenende oder gerne abends auf dem Balkon sitze: dann ist es ziemlich still. Da frage ich mich schon, wo die ganzen Leute sind. Auf den anderen Balkonen nicht. Ich hoffe, sie sind unterwegs und kleben nicht vor der Glotze. Unergründliches Menschenherz.
Wenn ich auf dem Balkon sitze, sehe ich die Garagenzeilen von nebenan. Direkt dahinter geht ein Eingang in eine Reihenhausreihe. Vor der ersten Garage sitzt sehr häufig ein Mann, der dort hinter wohnt. Er sitzt oft wirklich einfach nur draußen vor seiner Garage rum und es passiert nichts. Manchmal steht er langsam auf, öffnet das Tor, holt einen Besen hervor und fedelt Laub auf die Straße. Recht behäbig, aber auch entspannt. Dass er so oft da sitzt und so wenig macht, fand ich lange Zeit irgendwie seltsam. Zunehmend beobachte ich jedoch, dass er mit sehr vielen Passanten ins Gespräch kommt, er kennt sie alle hier. Und sie scheinen gerne auf einen kleinen Schwatz vorbei zu schauen. Mit dieser Erkenntnis drehte sich mein Bild von ihm. Finde ich gut. Einfach mal den Mut haben, mit Menschen zu sprechen, die auch hier wohnen. Guter Typ.

Mit der Nachbarschaft ins Gespräch kommen geht auch, wenn die Musik sehr laut ist. Dafür sind wir da.

Und De Scheenen Hoa
(ms) Das tut mir jetzt wirklich leid und ich meine es ernst. Denn Musik ist mir echt ein heiliges Thema. Ich widme ihr sehr gerne einen beachtlichen Teil meiner Zeit, lass mich verführen und verzaubern. Mir fehlt einfach gerade die absolute Entspannung, um mich vollkommen auf den Text von Und De Scheenen Hoa einzulassen. Wenn ich mich anstrenge, würde ich es wohl verstehen, denke ich. Genau das ist das Problem, gewissermaßen. Aufgewachsen bin ich in einer Gegend, in der ziemliches Hochdeutsch gesprochen wird, wohnen tue ich nicht unweit der Nordsee. Da ist es vielleicht nicht unerstaunlich, dass mir der Zugang zum Mostviertler Dialekt fehlt. Aus der Wiener Josefstadt kommt das Trio, das sich Und De Scheenen Hoa nennt und letzte Woche ihr erstes Album Immer Wieder Neu veröffentlicht hat. Acht Lieder, eine halbe Stunde zwischen sanftem Akustikpop (mit Kontrabass!!!) und Mundart. Sie drehen sich um die Liebe, was aus dem morbiden Österreich eine gute Nachricht ist (gestern erst einen Band von Josef Winkler zu Ende gelesen...). Die musikalischen Miniaturen drehen sich um Zuneigung unabhängig vom Geschlecht, in Dialogform verfasst, was den besonderen Reiz ausmacht und ein genaueres Hinhören und Genießen schon verlangt. Es tut mir leid, dass ich dem hier nicht gerecht werden kann. Ergo: Auftrag an alle Lesenden!
 
 
Leyya
(sb) Bleiben wir in Österreich und leiten gekonnt über mit dem Satz: Scheiße, der Sommer ist vorbei! Dabei hätte Longest Day Of My Life die Scheibe des Sommers sein werden können, wäre sie nicht erst am 27.08. erschienen. Allerdings trügt der elektronisch-luftige Schein gewaltig, denn hinter der Fassade verbirgt sich die musikalische Therapie von Bandmitglied Sophie Lindinger. Depression - in der Gesellschaft immer noch viel zu tabuisiert. Für die Musikerin der schmerzliche Alltag, der sie verfolgte und verzweifeln ließ. Der die Kreativität killte. Der alles andere in den Hintergrund drängte. Der aus einem geplanten Album eine EP werden ließ. Ende August verabschiedeten sich Leyya auf unbestimmte Zeit von den Bühnen dieser Welt und bestehen vorerst als reine Studioband weiter. Hoffen wir, dass es Lindinger und ihrem musikalischen Pendant Maarco Kleebauer gelingt, sich aus den Fesseln der Krankheit zu lösen. Auf ihrer aktuellen EP legen sie jedenfalls sechs klasse Songs vor, die die durchlebte Phase der vergangenen zwei Jahre eindrucksvoll dokumentiert. Ganz stark!

 
Kraków Loves Adana
(ms) Musikalischer Mut. Das ist hier vielleicht genau das richtige Stichwort, weil es auf mehreren Ebenen auf diesen Track, diese Band, dieses Album zutreffen wird. Nun gut, von der letzten Behauptung müssen wir uns ab dem 12. November überzeugen lassen, wenn Follow The Voice des Hamburger Duos Kraków Loves Adana erscheint. Und ihre sechste Platte zeugt mal wieder von einer klanglichen Neupositionierung. Zum Einen ist es mutig den Text des gleichnamigen Tracks genau so knapp zu lassen, wie er ist. Er muss genau so sein, braucht keine Ausformulierung. Es ist alles gesagt. Das muss man erstmal schaffen. Zudem ist der Sound mutig, der sich wenig ändert, gewissermaßen stoisch bleibt ohne je lethargisch zu werden. Respekt. Ich denke, dass dieses Stück erst dadurch seine Form gewinnt, greifbar und schön wird. Eine zarte Melancholie schwebt im Hintergrund, über die Deniz Cicek sich gekonnt hinwegsetzt. Die Tendenz geht zu mehr Retro, eine langsame, dichte Version von Sofia Portanet vielleicht gar. Oh, was freue ich mich auf das Album! Es könnte erneut schön werden. Schön dunkel.
 
 
Jan Plewka und die schwarz-rote Heilsarmee
(sb) Es gibt grottenschlechte Cover von Ton Steine Scherben, es gibt gelungene Remakes der Rio Reiser-Klassiker - und es gibt Jan Plewka. Als Sänger von Selig, Tempeau und Zinoba hat er es - auch in den Charts - nach oben geschafft, doch als Verkörperung des Königs von Deutschlands gelingt es dem Künstler, sich neu zu erfinden. Ein Hauch von Reinkarnation, möchte man fast sagen. Auf Wann Wenn Nicht Jetzt (CD/DVD, VÖ: 03.09.) schlüpft Plewka bereits zum zweiten Mal in die Rolle des legendären Songwriters und gibt zusammen mit der schwarz-roten Heilsarmee zahlreiche Songs Reisers zum Besten. Highlights: Wenn Die Nacht Am Tiefsten und Mein Name ist Mensch. So muss es damals gewesen. So und nicht anders. Ein größeres Lob kann man Jan Plewka wohl kaum aussprechen.

 
Víkingur Ólafsson
(sb) Was ist der Kerl nur für eine Maschine! Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson veröffentlichte am 03.09. sein viertes Album innerhalb weniger Monate und hat sich diesmal Mozart & Contemporaries vorgenommen. Darauf vereint der Künstler neun Stücke des Komponisten mit ausgewählten Werken von CimarosaGaluppiC.P.E. Bach und Haydn. Zu hören ist Musik des späten achtzehnten Jahrhunderts, die Ólafsson gekonnt interpretiert und perfektioniert. Keine Frage: Technisch ist das einwandfrei, besser kann man das vermutlich nicht spielen. Und dennoch fehlt mir diesmal im Vergleich zu seinen anderen Werken ein wenig die Emotionalität. Das klingt extrem geschliffen, sehr (eventuell gar zu?) sauber und fast schon steril. Vielleicht kenne ich mich in der Klassik aber auch einfach zu wenig aus, um mir da wirklich ein Urteil erlauben zu dürfen...
 

Siberian Meat Grinder
(ms) Ich gebe es wirklich gerne zu. Würde diese Band anders heißen, hätte ich wahrscheinlich niemals auf den Link geklickt. So einfach bin ich zu kriegen. Was für ein bestialischer Name: Siberian Meat Grinder. Klar, da ist eine Menge Show mit verbunden, aber auch das finde ich super. Seit zwei Jahren will ich auch dringend mal zum Wrestling, aber gibt ja Gründe, warum das momentan schwierig ist. Schaut man durch die Videos der russischen Hardcore-Metal-Band mit Rap-ähnlichem Gesang, wird schnell klar, dass das Visuelle neben dem temporeichem Sound im Vordergrund steht. Der vermummte Sänger, die schnellen Schnitte der Bewegtbilder undundund. Egal, find ich gut. Im Januar gibt es dann das neue Album Join The Bear Cult der Kombo, das hier auch schon angeteasert wird. Klanglich ist darüber hinaus noch nichts Neues zu hören, aber das hier auf jeden Fall eine wuchtige Möglichkeit, sich ein Bild (haha) von der Band zu machen:
 

Spencer Cullum's Coin Collection
(ms) Der Vergleich zu Junip kommt mir persönlich schon ein bisschen zu schnell, daher lieber bedacht an diese Musik heran gehen. Eine ganz wichtige Voraussetzung für ihren Genuss ist hier wirkliche Ruhe und die innere Bereitschaft, sich drauf einzulassen. Nicht, weil es hörtechnisch besonders anspruchsvoll ist, sondern weil die Unaufgeregtheit des Klangs im Vorbeihören halt verschwinden kann und dann nicht mehr ihre Kraft ausstrahlt. Packend ist selbstredend die Querflöte ab der ersten Sekunde von Imminent Shadow, der ersten Single aus dem neuen Album von Spencer Cullum's Coin Collection (nebenbei große Liebe für den Namen!). Wahlheimat Nashville ist natürlich eine musikalische Ansage, aber das finde ich hier gar nicht so entscheidend. Viel mehr beeindruckt mich, dass dieses ruhige, leicht brüchige, zart melancholische Stück über weite Teile ohne Percussion auskommt, ein Kontrabass zu hören ist und die gezupfte Gitarre schlängelt sich bedächtig durch das Lied, während Cullum darüber singt oder viel mehr spricht. Außerdem kommt das Stück mit einem wirklich tollen Video daher. Am 24. September erscheint das der Band gleichnamige Album, auf dem es neben dieser Single mit all ihren Feinheiten mit Sicherheit noch viel mehr zu entdecken gibt!

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