Freitag, 18. Juni 2021

KW 24, 2021: Die luserlounge selektiert!

Bild: www.thefactsite.com
(ms/sb) Unverständnis gegenüber der Welt. Das zieht sich durch mannigfaltige Ebenen des Seins. Beispielsweise gegenüber dem schwarz-gold-goldenen Fahnenschwenken, derber Hitze und der Abschaffung von Hitzefrei! Aber das ist ein anderes Thema. Heutiger Aufreger (endlich): ein Kleidungsstück. Ich merke, dass diese Einleitung immer mehr zu einem Platz des ziellosen Gepöbels wird. Nun gut, schon okay, oder? Also: die Weste! Endlich! Es ist, wie so oft, ganz simpel. Denn es stellt sich mir die Frage: Was soll das? Mir ist am Torso kalt aber am kompletten Arm nicht? Viele Westen sind zusätzlich nicht nur so doof geschnitten, sondern auch auch gefüllt mit Daunen. Wozu? Haben die Westentragenden Hornhaut auf den Armen? Ein komplett sinn- und nutzloses Kleidungsstück. Oder geht es um die zusätzlichen Taschen? Dann wäre ich für noch mehr Konsequenz: Die guten alten Täschchen, die man auf den Gürtel schienen kann. Das sieht dann so bescheuert aus, dass es bald sicher wieder modern ist.
Nächste Woche: Benjamin von Stuckrad-Barre.

Nicht aus der Mode kommt diese Rubrik. Freitag. Luserlounge. Wir haben selektiert. Na klar!
 
Japanese Breakfast
(ms) Wenn zwei wichtige Quellen für Schönes über die gleiche Band berichten, werde ich noch aufmerksamer als sonst. Quelle 1: Unser Mailpostfach! Quelle 2: Der tägliche Newsletter vom ZEIT Magazin. Was Herr Amend mit seinem Team täglich zusammenstellt, ist nicht verkehrt. Manchmal feiern sie sich für meinen Geschmack ein Stück zu sehr selbst ab, aber... das machen wir ja auch. Japanese Breakfast ist natürlich ein unglaublich guter Name, der direkt haften bleibt. Michelle Zauner steckt dahinter und macht... tja. Also. Was für Musik ist das?! Seit einigen Wochen finde ich die Bezeichnung Artpop sehr gut. Ein genialer, künstlerischer Ansatz von Popmusik. Get Well Soon würde ich auch so betiteln. Beide Ensembles haben musikalisch kaum Schnittmengen. Es geht mir dabei viel mehr um den musikalischen Ansatz, der zu hören ist: hohe Qualität! Vielschichte Tracks, die nur aufs erste Hören simpel erscheinen (okay, bei Gropper trifft das nicht zu). Doch Michelle Zauner hat ein irres Talent: Die Stücke auf dem neuen Album Jubilee (am 4. Juni erschienen) strotzen vor catchy Leichtigkeit, dass ich es kaum glauben kann. Die Genialität der Tracks macht sich vielleicht erst beim zweiten Hören bemerkbar. So ging es mir zumindest. Dieser entspannte, tanzbare Schwung kommt super durch. Immer wieder deutlich zu vernehmen: Die Klasse, die im Arrangement und den Ideen steckt. Sie bestätigt meine Theorie: Ein lockeres, beschwingtes Lied zu schreiben scheint schwerer als es den Eindruck hinterlässt! Tolle, tolle Platte!!!


Anna Ternheim
(sb) Ach Anna, Du Wunderbare! Ich verfolge Deine Karriere schon sosososo viele Jahre und immer wieder schaffst Du es aufs Neue, mich zu bezaubern und zu begeistern... Diesmal hat es allerdings ein wenig gedauert, denn die Originalfassung ihres Albums A Space For Lost Time veröffentlichte Anna Ternheim bereits im Jahr 2019. Am 11.06.21 folgte der Release der Extended Version und damit hat mich die Schwedin dann halt doch wieder gepackt. Neben den zehn ursprünglichen Tracks finden sich nun acht weitere Songs auf dem Album wieder, die der Scheibe eine völlig neue Dimension verleihen und sie nochmal gehörig aufwerten. Gerade als Doppel-Vinyl macht das gute Stück jetzt verdammt viel her! Als "Naked Versions" bezeichnet die Künstlerin die Neuaufnahmen der Songs; bei früheren Releases war das durchaus berechtigt, denn damals reduzierte Ternheim die Lieder instrumental auf ein Minimum. Diesmal jedoch wurden sogar Gäste eingeladen, um den Tracks ein neues Gewand und eine ungeahnte Tiefe zu verpassen. Sowohl das Kaiser Quartett, als auch Pianist Lambert und Helgi Jonsson verfeinern Ternheims Werk und sorgen für ein neues, noch besseres Klangerlebnis. Ich gebe zu: Ich habe die Neuauflage von A Space For Lost Time eigentlich nur aus Sammelgründen gekauft, aber das war mal wirklich gut investiertes Geld! Wunderwunderwunderschön!


Ghost Woman
(ms) So daneben kann ich also mit meinen Erwartungen, den Bildern in meinem Kopf liegen. Fehlgeschlagene Vermutung 1: Hier singt eine weibliche Stimme. Ist bei dem Namen Ghost Woman aber auch leider ein viel zu verführerischer Gedanke. Daher: Hut ab vor Evan Uschenko für die Namensfindung. Fehlgeschlagene Vermutung 2: Resultiert aus Nummer 1, dem Namen. Ich dachte halt, dass es mysteriös, dunkel, vertrackt, wuchtig zu geht. Auch hier lag ich daneben. Was macht er also für Musik? Eine Mischung aus den Beach Boys und Garage würde ich behaupten. Damit mag ich vielleicht auch falsch liegen, es wäre nur folgerichtig. Am 16. Juli erscheint seine erste EP Lost Echo's, drei Lieder stecken (nur) darauf und zwei sind schon zu hören. Da frage ich mich schon, was das für eine Veröffentlichungspolitik ist. Warum dann noch fast vier Wochen warten?! Naja, er wird seine Gründe haben. Wer auf reduzierte Gitarrenmusik mit gedämpfter Stimme und erstaunlicher Geschwindigkeit steht, wird hier auf jeden Fall hellhörig! 


Gregor McEwan
(ms) Lana del Ray soll ja unglaublich produktiv sein und in sehr kurzen Zeitabständen Alben raushauen. Kenne ich alle nicht. Nur ihren Smashhit, der zurecht so betitelt werden kann, Summertime Sadness. Ja, beides geht zusammen: Sommer, Eis essen, Kurzweil und doch melancholisch sein. Dieses leicht betrübte, aber auch irgendwie schöne Gefühl hat nun Gregor McEwan auch in einen tollen Track gepackt: The Beat Of Your Drums. Er schafft es hier, in nicht mal drei Minuten in folkpoppiger Manier eine sehr konkrete Atmosphäre hinauf zu beschwören - sehr rund, sehr gelungen! Zudem muss es ja auch Spaß gemacht haben all die Reimpaare zu finden! Und: Hut ab vor dem Mut der Wiederholung! So bleiben Stücke ja halt auch haften! Er hat halt mal wieder gezeigt, was für ein guter Musiker er ist. So einfach ist das. Punkt.


2 Meter Stillstand
(ms) Wie ich seit eineinhalb Jahren in die Augen anderer Menschen schaue, hat sich vollkommen verändert. Es ist oft der einzige Part eines Gegenübers, der aus dem wertvollen, aussagekräftigen Mimikgerüst sichtbar ist. Augen erzählen extrem viel. Dann dachte ich, dass viel darin zu lesen sei. Möglich ist das. Doch wenn ein Gegenüber die Maske abnimmt, ist es doch ein anderer Mensch. Ich fahre viel mit der Bahn und sehe dort alle so. Kaum jemanden danach mal ohne gesehen. Wer sind sie? Was ich sagen will: Augen sprechen. Nicht alles, aber viel. Und in den Augen aller Beteiligten aus der extrem sehenswerten Dokumentation 2 Meter Stillstand von Philipp Welsing ist viel zu sehen. Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Planlosigkeit. Und doch auch ein ganz kleiner Schimmer Hoffnung und Vorfreude auf den Tag X, wenn endlich alles wieder so ist, wie es sein soll. Hier sprechen Kulturschaffende aus Hamburg über ihre Situation. MusikerInnen, Gestaltende, Machende, Menschen hinter und auf den Bühnen. Den Begriff 'neue Normalität' finde ich unfassbar irreführend und falsch. Das hier ist nicht normal. Das darf es nicht werden. Es ist die absolute Ausnahme. Das, was wieder kommen wird, ist normal. Das Gewohnte. Und darum geht es: Was macht diese Pandemie mit Hamburger Kreativen? Wie geht es ihnen? Wie haben sie diese Zeit bislang erlebt? Was haben sie gelernt, sich gewünscht? Worauf freuen sie sich? Philipp Welsing ist in einer Dreiviertelstunde Ungeahntes gelungen. Denn: Die Erzählweise ist extrem aufs Schlichteste reduziert. Keine Off-Stimme, kein Schwenk, keine Musik im Hintergrund. Nur die Menschen, die im Kulturbetrieb arbeiten sind zu sehen und hören. Ihre Geschichten, Sorgen, Gedanken, Hoffnungen. Ihre Augen. Das hier ist sehr gut!

 
 
Marius Leirånes
(sb) Mo i Rana ist eine Stadt am Ende des Ranfjords, der nur wenige Kilometer südlich des nördlichen Polarkreises in Norwegen liegt. Von hier stammt der Musiker Marius Leirånes und der Sound spiegelt exakt das wieder, was man sich von dieser Randlage erwartet. Musik und Geografie sind eng miteinander verwoben. Orte haben ihre Klänge, und Klänge haben ihre Räume. Es ist viel über den "nordischen Sound" geschrieben worden und wir neigen dazu, an Isolation, Melancholie, eine bestimmte Art von Licht, Kälte, weite Flächen aus Eis und Fels zu denken, wenn es um die Tiefe Skandinaviens geht. Die Heimat von Marius Leirånes ist die Hälfte des Jahres in ewige Dunkelheit getaucht, während die Mitternachtssonne die Sommermonate rund um die Uhr erhellt. Drama, Dunkelheit, Schönheit und Licht in gleichen Maßen. Durch die Kombination von Elementen aus Electronica, Progressive Rock, Ambient und Post-Rock nimmt Langtidsperspektiv (VÖ: 23.07.) Euch mit auf eine Reise, die vom Heiteren zum Stürmischen und vom Tragischen zum Triumphalen reicht.

 
Taha
(sb) Hm, wie nennt man das jetzt? Ist das noch Rap oder schon Rock oder Punk? Crossover? Oder ist das Genre letztendlich eh egal, wenns gefällt? Ich entscheide mich mal für Letzteres und bin ganz überrascht, dass mich Medizin (VÖ: 02.07.), das neue Album von Taha (ehemals Kex Kuhl) passagenweise extrem anspricht. Tracks wie Benzin, Messer oder 666 (geiles Video!) sind einfach ziemlich geniale Bretter, die schon beim ersten Hören zum Mitsingen (oder gar Mitgrölen) einladen. Ich möchte da jetzt nicht zwingend von lyrischem Tiefgang sprechen, aber Spaß machts auf jeden Fall. Weniger anfangen kann ich mit den Songs, die einen Drogenbezug herstellen, weil mir das meist - und in diesem Fall ganz besonders - zu aufgesetzt und gewollt nach Bad Boy klingt. Brauchts des? Man sollte meinen, dass Taha einen Track wie Drugs eigentlich gar nicht nötig hätte, aber was solls? Wie dem auch sei, der Gesamteindruck bleibt (überraschend) positiv und lässt sogar selbstzerstörerische Tendenzen gut aussehen bzw. klingen.
 
 
Woods of Birnam
(ms) Geschafft! Diese Selektion beginnt und endet mit einem ähnlichen Thema: Artpop! Gerne wiederhole ich mich hier unten. So nenne ich die sehr kreative, künstlerische, vielschichte Herangehensweise an Musik, die dann breiter, feiner, mitunter auch dramatischer wird. Woods Of Birnam gehören auf jeden Fall in diesen Kreis hinein. Allein das Werk How To Hear A Painting ist ein mehr als eindrucksvoller Beweis dieses Musizierens! Genauso raffiniert: Mit diesem Eindruck brechen. Das tun sie auf dem neuen Stück All We Need: Ein lässiger Feel-good-Track, der mit einem markanten Rhythmus glänzt, aber sonst eher wenig hängen bleibt. Muss er auch gar nicht. Denn, was Christian Friedel und Co. dort aushecken, lässt die Vorfreude zündeln. Offenbar gibt es zum zehnjährigen Bandbestehen ein Fest, vielleicht ja eine Platte. So wie MusikerInnen das nun mal machen. Fände ich sehr, sehr gut! 

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