Freitag, 12. Februar 2021

KW 6, 2020: Die luserlounge selektiert

Quelle: nicolelong322.files.wordpress.com
(sb/ms) Gestern erschien mit Todesliste das neue Album Audio88 und Yassin. Wir haben drüber berichtet.
Eine Frage, die nicht nur dieses Album, sondern die Veröffentlichungsstrategie vieler KünstlerInnen begleitet, ist: Wie viele Singles werden im Vorfeld ausgekoppelt? Wann werden dazu welche Entscheidungen getroffen und worauf beruhen sie?
Von Audio88 und Yassin gab es fünf Videos vorab! Bei 13 Tracks auf dem Album! Über ein Drittel der Lieder sind also schon bekannt, bevor ich das ganze Album hören kann. Warum entscheidet man das? Was erhofft man sich davon?
Keine Ahnung, ich bin kein Musiker.
Daher möchte ich aber kurz aufzeigen, warum ich mich dabei so wunder: Wird das Album als ganzes Kunstwerk dadurch nicht deutlich entwertet und geschwächt und beinahe überflüssig gemacht? Ich könnte ja auch einfach nur regelmäßig Singles veröffentlichen, Edgar Wasser handhabt das beispielsweise so. Ist ja auch eine nachvollziehbare Entscheidung, wenn man sich nicht binden möchte. Aber wenn ich ein Album veröffentliche, dann weiß ich doch ganz genau, warum da welche Stücke drauf sind und warum welche Lieder eben nicht drauf sind. Das ist doch das Ergebnis eines mitunter sehr langen kreativen Prozesses. Das möchte man doch bewahren und neugierig sein, wie die Hörenden auf das ganze Werk reagieren. Hm. Offensichtlich nicht. Soll mit dieser Herangehensweise Playlisten bei Spotify und Co. bestückt werden, deren Nominierung man kurz abfeiert? Keine Ahnung. Wer Ideen hat, schreibe uns!

Raus aus der Spekulation. Rein in den Hörgenuss. Luserlounge hier. Freitag. Selektiert. Stark!

Dota
(ms) Na, auch Fragezeichen im Gesicht, im Kopf? Auch manchmal völlig ratlos, wie es weitergehen soll?! Obwohl man doch versucht, dass alles besser wird? Mal das Auto stehen lassen, Bio kaufen, Amazon boykottieren?! Ja klar, das tun wir alle. Doch manchmal hat man das Gefühl nicht so richtig weiter zu wissen, oder? Genau! Dota Kehr hat darüber ein Lied, ein Album geschrieben und zeigt bereits auf der gleichnamigen Single Wir Rufen Dich, Galaktika ihre Stärken im Texten und Songwriting. Sie bringt ihre eigenen Probleme absolut nachvollziehbar vor und gibt uns immerhin für ein Schwelgen, ein Träumen einen Ausweg: Rufen wir Galaktika! Vielleicht hat sie ja eine Antwort für uns, die lila Fee aus Hallo Spencer. Das spielerisch Leichte mit dem Ernsten verbinden, das zeigt Dota seit vielen Jahren wie es geht. Für die Single hat sie sich Francesco Wilking mit ins Boot geholt, der das Lied mit seiner warmen Stimme noch ein Stückchen runder macht. Die Platte erscheint am 28. Mai und wir werden berichten! 


Citizen
(sb) "Im Wesentlichen geht es darum, dass ich mein Haus nie verlassen will, und obwohl mich das glücklich macht, es auf verschiedene Arten doch ziemlich schlecht für mich ist.“ So beschreibt Mat Kerekes, Sänger von Citizen, die Intention seines Songs Blue Sunday. Klingt nach Lockdown-Tristesse, oder? Wie dem auch sei: Die Vorab-Single macht sehr viel Lust aufs Album Life In Your Glass World, das am 26. März erscheinen wird. Das Trio aus Ohio (USA) kommt ursprünglich aus der Punk-/Post-Hardcore-Ecke, präsentiert sich auf der neuen Scheibe jedoch deutlich variabler und so wurde mit Blue Sunday ein großartige Indie-Track ausgekoppelt, der dies bestens vor Augen führt. Kreativen Leerlauf oder Wiederholung scheint es für die Band aus Ohio nicht zu geben - eine Eigenschaft, die ich auch an meiner Lieblingsband Therapy? extrem schätze. Nur die Erwartungen an einen selbst zählen, nicht mediale Zwänge oder das Setzen auf bewährte Muster. Auf den Punkt: Das ist ein richtig geiles Album, das sich bei mir in den bisherigen Jahres-Charts sehr weit oben ansiedelt.
 
 
Vetle Nærø 
(ms) Es ist eine einfache, aber auch sichere Falle, die man gerne zuschnappen lässt: Irgendwie nordischer Name plus Neoklassik und ich bin drin. Ja, so schwach und dumpf geht's in der Selektion oft zu. Doch was Vetle Nærø spielt, weiß auch zu überzeugen, auch wenn so viel gar nicht zu hören ist. Es hat den Anschein, als ob die NeoklassikerInnen sich gegenseitig aufzeigen wollen, wie viel Minimalismus geht. Waves ist ein Stück, das ganz sanft und seicht ist ohne je zu zerbrechen. Es beginnt hauchdünn und wird langsam größer. Die Wellen, die das Lied darstellt, gleichen erst einer windstillen Ebbe, die immer flutiger, aber nie gefährlich wird. Das wirklich Erstaunliche: Nachdem diese drei, vier, fünf Wellen angekommen sind, verschwinden sie auch wieder. Der junge Norweger an den Tasteninstrumenten hat also kein beliebiges, sehr schönes Stück komponiert. Nein. Dahinter steckt auch eine sehr konkrete Idee, die beeindruckend aufgegangen ist. Vier Minuten und 36 Sekunden schwappte es einmal an Land, direkt an unsere Füße und verschwindet dann auch wieder. Was für eine tolle Momentaufnahme. Das passende Album dazu, By Heart, erschien im letzten Dezember!


Flock Of Dimes
(ms) Auf dem Rechner habe ich eine Datei, wo ich alle besuchten Konzerte dokumentiere. Wer, wann, wo, wie viele Besucher ungefähr. Man kommt ja durchaus mal durcheinander. Und nun half sie wieder, seit letztem September kam auch kein neuer Eintrag dazu.
2014 also. Dortmund. Ich war noch Student und wohnte in NRW, good old times. Das Way Back When Festival fand statt und es war ein Traum mit Honig, Friska Viljor oder Johnossi. Im exzellenten FZW spielten auch Wye Oak, auf die ich mich sehr gefreut habe. Also hin und fasziniert gewesen: Die haben zu zweit einen extrem vollen, runden und verspielten Klang auf die Bühne gebracht. Phantastisch. Sängerin Jenn Wasner macht nun schon länger Solo-Musik unter dem Namen Flock Of Dimes. Das weiß schnell zu gefallen. Ihre Musik klingt herrlich beschwingt, federleicht, zuversichtlich und sehr rund. Mit Head Of Roses erscheint am 2. April ihr zweites Album auf Subpop. Two ist die Single daraus, die es schon zu hören gibt. Dezent eingesetzte Synthie-Töne bringen Leichtigkeit, ein sehenswertes Video zeigt die Sängerin als Künstlerin. Der Track versprüht irgendwie gute Laune und erstrahlt in toller Kurzweiligkeit. Eine kleine, feine Pause von all dem, was da draußen so schwillt.


PeterLicht
(ms) Natürlich, die Freude ist immer groß, wenn PeterLicht neues Material in den Äther haut. Doch es ist und bleibt stets eine große Wundertüte, was dabei herauskommt und wie es sich anhören wird. Nutzt er wieder gerne Autotune? Bleiben seine Lieder so knallig wie seine Optik und die seiner Videos zuletzt? Wie verschwurbelt wird es beim nächsten Mal? Ist wieder mehr Bandsound zu hören? Diese Fragen kann man nun so einigermaßen beantworten, denn mit Dämonen erschien die erste Single seines kommenden Albums Beton Und Ibuprofen.
Die Optik schreckt mich ab, da bin ich ganz ehrlich. Der Sound hingegen überzeugt ab der ersten Sekunde. PeterLicht ist immer dann am stärksten, wenn er leise und etwas melancholisch ist. Ja, man hört, dass das Lied am PC zusammen gebastelt wurde, macht aber überhaupt nichts. Was genau PeterLicht meint, ist und bleibt ja oft nebulös. Auch hier. Aber die Grundaussage berührt: Wenn die Dämonen kommen / Ist jeder, der ein Menschen ist, dein Freund. Nicht nur jetzt. Das Gebilde im Kopf kann immer wieder zusammen brechen. Und ja, dann braucht es einen Menschen. So einfach ist das. Der Rest des Liedes ist ein traumwandlerischer Sparziergang.
Die Vorfreude auf die Platte ist selbstredend groß! Sie erscheint am 5. März bei Tapete Records!


Remember Sports
(sb) Loslassen. Sich von der Vergangenheit lösen. Von unangenehmen Gefühlen, ungeliebten Gewohnheiten, bedrückenden Erinnerungen. Davon handelt Like A Stone (VÖ: 23.04.), das neue Album der Indie-Rocker Remember Sports aus Philadelphia. Seit dieser Woche ist der erste Vorgeschmack daraus erhältlich und legt die Latte direkt mal ziemlich hoch: Pinky Ring besticht durch seine poppige Melodie, garniert mit einem hellen Tamburin. Das klingt laut, aber doch vertraut und nach bester US-Indie-Schule. Ihr könnt Euch sicher sein: Da bleiben wir dran und werden auch übers Album berichten!


Regener Pappik Busch
(ms) Widmen wir uns am Ende dieser Selektion dem Jazz. Ein Genre, dass immer mehr Anklang findet in der luserlounge. Ein Genre, von dem wir im Grunde genommen aber auch gar keine Ahnung haben. Da wird viel aus dem Bauch entschieden. Eine Bewertung fällt aufgrund fehlender Kenntnisse eher schwer. Aber egal, oder?! Genau!
Jazz, Nr. 1: Diese Kombo und ihr Album profitiert in erster Linie von den Namen, die darauf stehen. Das sind Sven Regener und Richard Pappik von Element Of Crime und Ekki Busch. Der Einfachheit halber haben sie ihr Projekt nach sich benannt. Und sie spielen: Schlagzeug, Klavier und Trompete. Sehr reduziert, sehr klassisch. Hier gibt's keine Schnörkel und eigentlich auch keine Experimente. Denn die Stücke, die sie für ihr Album Ask Me Now eingespielt haben, sind Coverversionen der großen Namen am Jazzhimmel: Coltrane, Monk oder Gillespie. Sichere Sache also. Dennoch verleihen sie ihren Interpretationen je nach dem Melancholie, spritzige Frische und Pepp. Das läuft gut nebenher in der Videoschalte, beim Lesen, Kochen, Entspannen. Guter Jazz. Punkt.



Archie Shepp & Jason Moran

(ms) Wir bleiben, wie gesagt, beim Jazz. Und hier wird nun klar, wo die Unterschiede in diesem Genre sind. Unterschiede in einer gleichen Spielweise: dem klassischen, entspannten Jazz. Ja, er geht hier eher Richtung Blues und Soul, doch bleibt in erkennbaren Strukturen. Sofort, ab dem ersten Ton, ist wesentlich mehr Wärme, Liebe und Leidenschaft im Klang zu hören, wenn Archie Shepp und Jason Moran zusammen spielen, brillieren. Shepp am Saxophon und Gesang, Moran am Klavier. Und - Holla, die Waldfee - wie intensiv kann Musik, kann Jazz nur sein? Hört man in die Single Sometimes I Feel Like A Motherless Child, dann weiß man es, spürt man es. Es geht kein Weg dran vorbei. Klar, Shepps Saxophonspiel strotzt vor Leidenschaft. Doch wenn er singt, geht es durch Mark und Bein. Ah, wie viel Verzweiflung, Liebe, Hingabe kann nur in einer Stimme liegen?! Es ist großartig!
Zu finden ist das Lied auf einem gemeinsamen Album, dass sie vor ein paar Jahren live eingespielt haben: Let My People Go. Da klingelt es natürlich sofort. Nicht nur die herrliche Dichte und Wärme im Klang überzeugen sofort. Sondern auch die Konstellation. Shepp und Moran kommen aus gänzlich unterschiedlichen Generationen und Traditionen. Doch zusammen lassen sie ihr Talent aufleben. Und es strahlt. Herrlich, großartig, phantastisch. Das macht wirklich große Freude. Die Platte erscheint am 26. März - ein Muss!

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