Freitag, 23. Oktober 2020

KW 43, 2020: Die luserlounge selektiert

Quelle: 43einhalb.com
(sb/ms) Das Problem, wenn man dieses kleine, schöne, aber auch zeitaufwendige Hobby betreibt, ist manchmal folgendes: Man wird nach der eigenen Meinung zu unterschiedlichen Künstlern und Musikerinnen gefragt. Das kann ich nachvollziehen, denn viele Leute laber ich gerne mit meinem Pseudomusikwissen voll. Dann tritt aber auch zutage, dass man halt sehr, sehr ausgewählt hört. Viele Bands sagen mir natürlich was, aber ich kann damit nichts verbinden. "Wie findest du eigentlich The National?" - "Keine Ahnung, habe ich nie gehört."
"Was sagst du zum neuen Lied von Die Ärzte?" - "Hör mir auf. Eine Band, mit der ich mich noch nie beschäftigt habe. Ab und an hört man ja einen Track, und da merke ich, dass die Texte der Ärzte mir vollkommen egal sind. Dieser Humor zündet bei mir überhaupt nicht. Was soll das eigentlich?" - "Jaja, du Besserwisserboy."
So kann das dann gehen. Das Problem von Die Ärzte ist ja auch, dass sie ein hohes Ansehen genießen, aber ich weiß nicht so wirklich, warum. Wegen des Unterhaltungscharakters? Weil sie irgendwie Kult sind? Weil sie ein paar händevoll Hits hatten? Weil sie sich so rar machen? Weil sie es geschafft haben, so lange zu halten? Puh, alles irgendwie fadenscheinig. Weiß ich nicht. Und ganz ehrlich: Ist mir auch egal. Man muss auch mal gegen etwas sein.

Und man muss für etwas sein. Hier ist eine Auswahl von beiden. Also: Hingelesen, hingehört!
 
Woodkid
(sb) Sieben Jahre ließ Woodkid die Musikwelt auf den Nachfolger seines erfolgreichen Debütalbums The Golden Age warten. Eigentlich ja marketingtechnischer Selbstmord, die Erfolgswelle nicht auszureiten, aber halt auch extrem konsequent - und das passt zum Franzosen, der auch schon Regie bei aufwändigen Musikvideos von beispielsweise Taylor Swift und Rihanna geführt hat.
Jetzt meldet sich Yoann Lemoine (so sein bürgerlicher Name) also zurück, von der zwischenzeitlichen Ankündigung, das neue Album solle etwas positiver und fröhlicher klingen, ist jedoch nichts übrig. Wehmut, Sehnsucht und Pathos dominieren S16 (VÖ: 16.10.), der kalte, industrielle Sound und die gleichzeitig meist warm anmutende Stimme gehen eine fruchtbare Symbiose ein, die bestens funktioniert. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, man lausche einem Soundtrack. Inhaltlich dreht sich das Album in erster Linie um Zweifel und die Möglichkeit, sich Hilfe zu erbeten, wenn man alleine nicht mehr zurecht kommt. "It’s a celebration of fragility and the power in admitting that there is fragility behind the processes of love and creation.” Da hat er wohl recht und projiziert seine Gefühlswelt sehr gekonnt und wirksam in eine bombastische musikalische Inszenierung, die dennoch den Spagat zur Intimität schafft.


beabadoobee
(sb) Es ist ja immer so eine Sache mit den Hypes und wenn diese vom britischen NME kommen nochmal mehr. Aktuelles Beispiel: beabadoobee! Anfang des Jahres wurde der philippinisch-englischen Künstlerin der Radar-Award verliehen und sie wurde als Support von The 1975 gebucht, ehe Covid-19 sie abrupt ausbremste. Am vergangenen Freitag erschien nun endlich ihr langersehntes Debütalbum Fake It Flowers und nach mehrmaligem Anhören kann ich nicht mal ansatzweise nachvollziehen, warum um die 20-Jährige derlei Rummel gemacht wird. Mich erinnert dieses ganze Gehabe fatal an die junge Avril Lavigne, falls die noch jemand kennt. Da wird marketingtechnisch schon sehr geschickt dieses "junge Frau mit rockigen Gitarren"-Spiel ausgereizt, aber bei mir ziehts einfach nicht. Textlich nicht, musikalisch nicht und auch dieses zwischenzeitliche Pseudo-Emo-Gehabe kann ich einfach nicht ernst nehmen. Ich wünsche der Zielgruppe viel Spaß damit, bei mir wird das Album im Festplatten-Nirvana verstauben. Wenn ich Grunge hören will, greife ich zum Original (am liebsten Pearl Jam, Alice in Chains oder die Screaming Trees) und wenn ich Alanis Morissette hören möchte, dann halt zu der - aber das kommt eher nicht vor...


Psychedelic Porn Crumpets
(ms
) Dass Musik direkte körperliche Symptome auslösen kann, sollte uns allen bekannt sein. Von großer, weltschmerzlicher Melancholie, übers genüssliche Heulen bis zu schier unendlicher Euphorie. Auch rauschähnliche Zustände können durch Klang geschaffen werden. Das geht durch hypnotische Töne, Mantras oder sehr flächigem, sphärischem Sound.
Die Psychedelic Porn Crumpets haben nicht nur einen genialen Namen sondern auch das Talent mit ihrer sehr wilden, ungebremsten, fast verrückten Musik den Körper zu stimulieren. In kleinen Dosen verabreicht sind ihre Sounds wirklich krasse Aufputschmittel! Der Puls geht ab dem ersten Tön in die Höhe, die Beine können nicht still halten und man weiß nicht so genau, wie man sich bewegen soll, wenn ein Track wie Tally-Ho erklingt. Da gibt's keine Eingewöhnungszeit, keinen einzigen Moment, dem die Band dem geneigten Hörer gibt, um sich darauf vorzubereiten. Es dreht sich sofort wirbelwindartig, völlig wild, laut, mit einer irren Schlagzahl. Das Schlagzeug kloppt ohne Ende, die Gitarren lagern sich nur so übereinander, ein Bass gibt keine Pause und der verzerrte Gesang gibt einem den Rest. Geil ist das. Kann man nicht anders sagen. Gut, dass es kommendes Jahr Nachschub in Albumlänge gibt, worauf dieses Lied enthalten ist. SHYGA! The Sunlight Mound heißt das Werk. Einfach zu merken und genauso wundervoll bekloppt wie der Sound der Band!


Schatzi
(sb) Deutsche Bilderbuch, Oida! Die Frage ist: Brauchts des? Wenn der PR-Text die Musik von Schatzi als "ganz und gar einzigartig und hochmysteriös" bezeichnet, kann man da in Österreich vermutlich nur drüber schmunzeln und voller Stolz auf seine vier Top 20-Alben in deutschen Gefilden blicken. Animalia Parc (VÖ: heute!) ist dabei sicher keine schlechte Debüt-EP, hält aber nicht mal ansatzweise, was das Drumherum verspricht und verlässt sich zu sehr auf die PR-Maschinerie und die in den Videos transportierte Ästhetik. Die lenkt gekonnt von der Musik ab, die über weite Strecken alles andere als unique ist. Die erste Singleauskopplung Glock wusste noch zu überzeugen und weckte Erwartungen, die nachfolgenden Tracks sind dann aber halt doch nur ein Bilderbuch-Abklatsch. Da muss mehr kommen, wenn man ein eigenes Profil schärfen und seinen Ansprüchen gerecht werden möchte.


Herman Dune
(ms) Es ist ja nun mal genau so: Man kann sich nicht alles merken. Und wenn ich mir eine dieser Rubriken aus dem letzten Jahr durchlese, erinnere ich mich nicht an viele Bands. Vielleicht an einige gute Songs, aber das Hirn ist ein Sieb. So auch mit Namen, die man vor Jahren mal gehört hat. Dazu gehört Herman Dune. Der veröffentlicht am 13. November sein neues Album Notes From Vinegar Hill. Vor zwölf Jahren erschien sein Lied Try To Think About Me, das einzige, was ich bislang mit diesem Namen verbinden konnte - ein Song, der eine wundervoll leichtfüßige Melancholie ausstrahlt, sowohl traurig als auch fröhlich ist. Kunst ist das.
Klar, in zwölf Jahren ist viel passiert. Doch das Grundgerüst seines Klangs ist nicht sooo anders geworden. Es pendelt vielleicht eher ein Stückchen mehr zum Fröhlichkeitspol als zur eingekehrten Andacht. Den Klang von Herman Dunes Musik könnte man als country'esken, folkigen Singer/Songwriter bezeichnen, der nicht nervt, sondern auch ganz sanfte, feine, kluge Weise unterhält. Es ist leicht, sich in seine Geschichten fallen zu lassen, als auch die Musik ein wenig nebenbei zu hören. Auch das ist Kunst. Wir empfehlen: Vorfreude auf das neue Herman Dune-Album!


Matthew Caws
(ms) Nada Surf ist wirklich eine der größten Bands für mich. Sie berühren mich auf wundervolle Art und Weise. Mit ihren Liedern. Mit ihren Texten. Mit ihren Aussagen. Aber vor allem mit ihrer ungeheuer großen Menschlichkeit. Mit ihrem wahnsinnig freundlichen, liebenswürdigen, humanistischen Lächeln und dieser nie enden wollenden positiven Energie. Das ist wirklich toll. Ein großer Anker im Alltag, wenn man denkt, alles geht mal wieder den Bach runter. Ihr aktuelles Album Never Not Together läuft regelmäßig und haut mich in seiner schönen, leisen Eleganz um. Sänger, Texter und Gitarrist Matthew Caws streut immer wieder politische, gesellschaftliche Themen in ihre Lieder ein, äußert sich in den sozialen Netzwerken sehr, sehr klar. Und dies nun auch unter seinem eigenen Namen. Es ist ein Protestsong zur Wahl den den USA. Die Band kommt aus New York, lebt dort. Und selbst in diesem Protestsong, When History Comes, glänzt der Text von kaum zu glaubender Menschlichkeit. Es gibt unzählige Gründe, gegen Trump zu sein. Caws wird die Demokraten wählen, das erzählt er im Text. Doch nicht ein böses Wort gegen den Präsidenten. Er wollte sogar das beste für ihn, es trat halt nur nicht ein. So viel Größe muss man erstmal haben.
Dennoch ist When History Comes ein wütendes Lied, auch wenn das Soundgewand nicht so erscheint. Und es ist ein realistischer Song, wenn er Zweifel äußert, ob das Lied wirkt, einen Republikaner umstimmt oder so. Dennoch ist es wichtig. Dennoch muss es geäußert werden. Dennoch muss gesungen werden. Mattew Caws - ein ganz Großer!


Coin
(sb) Kennt Ihr Miles noch? Drei der vier Songs der EP Indigo Violet (VÖ: heute!) von Coin haben mich beim ersten Durchhören an diese wunderbare Band des großartigen Tobias Kuhn, der uns später auch mit Monta so bezauberte, erinnert. Entsprechend positiv fällt natürlich auch das Fazit aus, denn mit zauberhaften Alt-Pop-Melodien kann man uns halt durchaus in den Bann ziehen. Bei der EP handelt es sich um Teil 1 eines dreiteiligen Projekts mit dem Titel Rainbow Mix-Tape. Jedes der Extended Plays wurde nach Farben benannt und die Stimmung der Tracks entspricht den jeweiligen Farben ihres Titels. Wir sind gespannt auf die Fortsetzungen.


Wanda
(sb) Auf den letzten Drücker haben wir eben noch die neue Single von Wanda reinbekommen. Die Wiener bleiben ihrem Motto "never change a winnig team" treu und so gibts wenig Überraschendes auf die Ohren. Was haltet Ihr von Jurassic Park?

 
The Weather Station
(ms) Wenn es eine Band beim ersten Hören schafft, schiere Begeisterung auszulösen, dann muss viel passiert sein. Ja, ich gebe zu: Ich bin ein anspruchsvoller Hörer. Das kommt hier nicht immer so wirklich durch, aber ich behaupte es einfach mal von mir. Vieles wird für kurze Zeit als gut empfohlen, doch nur wenig hat eine wirklich lange Halbwertszeit. Ehrlich gemeinte, leicht verzauberte und hohe Wahrscheinlichkeit genau dazu hat nun The Weather Station. Dahinter steckt Tamara Lindeman. Es ist ein Solo-Projekt, doch hört es sich so raumeinnehmender, vielschichtiger, feiner an. Heißt auch: Lindeman ist eine herausragende Künstlerin. Vor Kurzem ist ihr neuer Track Robber erschienen (digital und als 7"!) Dieser leicht versetzte Beat. Die klug platzierten Bläser. Die Klaviertöne am richtigen Ort. Streicher, die den Song nicht zu sehr aufladen, sondern ihm zusätzliche Spannung verleihen. Der Gesang, dem leichter Zweifel und genau die richtige Mimik des Videos einher geht. Das Video sowieso: Alles an einem Ort, alles etwas unwirklich. Man könnte auch sagen: Es sind fünfeinhalb perfekte Minuten. Die richtige Dramatik. Der richtige Grad an cineastischer Gewalt. Das richtige Maß an extrem hoher Kunst im Songwriting und im Arrangement. Hui! 

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