Donnerstag, 12. März 2020

CocoRosie - Put The Shine On

Rosie und Coco. Foto: Peter Hönnemann
(ms) Wenn man sofort begeistert ist, dann hat eine Band etwas inne, was nur schwer zu fassen ist. Ein Sound, der die Kinnlade nicht wieder hochwandern lässt. Ein Auftritt, der wunderbar unkonventionell ist. Ein Klang, der verdammt nochmal sitzt und unbeschreiblich facettenreich ist. Ein Duo, das nur genau so zusammen kommen kann. CocoRosie. Ich sah sie vor Jahren auf einem tollen Festival live und bin froh, dass sie mich direkt in ihren Bann gezogen haben. Denn das lässt bis heute nicht los. Initiierend für mich war ihr Album Tales Of A GrassWidow von 2013. Und glücklicherweise veröffentlichen sie diesen Freitag (13. März) ein weiteres, formvollendetes Werk. Es hört auf den Namen Put The Shine On und erscheint auf Marathon Artists. Die sieben Alben der beiden Schwestern sind also dann auf fünf verschiedenen Labels veröffentlicht worden. Wieder: schön unkonventionell. Und für jedes dieser Label ein Glücksgriff.
Bianca, Coco, und Sierra, Rosie, können nur so ihre Musik machen - mal als These in den Raum geworden -, weil sie Schwestern sind. So diametral entgegengesetzt und doch harmonierend. Ich weiß wovon ich spreche, meine drei Jahre ältere Schwester und ich haben absolut gar nichts gemein, führen vollkommen unterschiedliche Leben doch ich liebe sie so, wie man halt seine große Schwester liebt. Es ist ein bizarrer Mix aus Vertrautheit, blödeligem Kinderhumor und Sorge um die gemeinsamen Eltern.
Die enorme Herausforderung bei CocoRosie ist eine ähnliche wie bei einer Rap-Formation, die auch aus mindestens zwei Protagonisten besteht: Jeder Song muss auf beide abgestimmt sein. Sierra kann, nein, sie muss ihre wunderbare, klare, kräftige Gesangsstimme einfach in Szene setzen und wie wunderbar konträr ist Rosies bewusst enger, gewissermaßen quängelnder Sprechgesang. Das ist eigentlich so unvereinbar, dass es funktionieren muss!



12 Tracks sind auf Put The Shine On enthalten und jeder davon eine Perle. Jeder so einzigartig, dass es eigentlich skurril ist, dass das Album so rund erscheint. Hier werden keine Kompromisse gemacht, hier muss niemandem gefallen werden. Hier wird einfach nur gemacht. Herrlich. Das ist in meinen Augen und Ohren die der Musik dienlichste Kunstform.
Über jeden einzelnen Song könnte man ein kleines Büchlein schreiben, doch beschränken wir uns hier mal auf die augenscheinlichsten Momente des Albums. High Road, der Opener, ist so ein typischer CocoRosie-Track. Beginnt reduziert, eine Spieluhr läuft im Hintergrund, eigenwillige Dissonanzen machen sich im Hintergrund breit, bis Harmonie und Beat sich breit machen und sich zu einem catchy Refrain ausbreiten. Auch hier ist schon der gönnerhafte Gebrauch von viel Bass zu spüren, der sich später noch krasser bemerkbar macht. Die Single Restless ist ungewöhnlich für CocoRosie, weil sie so poppig ist und daher für eine Auskopplung sinnvoll. Dazu gibt es ein herrliches Retro-Rollschuh-Video (s.u.). Das Lied versprüht beinahe eine fröhlich-ausgelassene Stimmung auf dem Gesamtwerk. Wobei eine übergeordnete Stimmung nur schwer zu fassen ist; es ist weder melancholisch noch euphorisierend; eher konfrontativ und unterhaltsam, aber auf einem unpoppigen Level. Did Me Wrong ist noch so ein Track, der durch sein Arrangement eine gewissermaßen hypnotisierende Wirkung hat, den Hörer wie eine Spirale mit sich zieht. Dafür verantwortlich das schlängelnde Klavierspiel im Hintergrund und das teils arhythmische Schlagzeug. Und ab 1:33 kommt dann wieder der signifikante Bass. Der spielt dann seine Paraderolle in Burning Down The House. Eher im Hintergrund, aber doch furchtbar prägnant bestimmt er diesen Song. Ich hab mal an meiner Anlage den Bass versuch raus zu drehen, er war immer noch deutlich zu vernehmen. Eine perverse Aufnahme, gerade wenn man das Lied generell etwas lauter stellt, in der Rosie mal wieder die Harfe zupft.

Neben diesem sehr auf den Klang fokussierten Bericht lohnt in jedem Fall das Booklet in die Hand zu nehmen. Denn die Texte sind genial, brutal, verstörend und durch ihre schwere Greifbarkeit wiederum passend zur Musik. Sicher könnte man die anschaulichen Verse auch in brachialer Metalmusik umsetzen, CocoRosie arbeiten die feinen Zwischentöne in ihrer Art und Weise jedoch noch prägnanter heraus.
Dieses herrlich planvolle und experimentelle Vorgehen weiß seit Jahren eine gewachsene Fanschar zu begeistern. Klar, CocoRosie ist eine dieser typischen Feuilleton-Bands, die immer auch von den Hochkulturschaffenden gelobt wird. Zurecht. Ihre Aufgabe muss es aber auch sein, das normale Indie/Alternative-Publikum zu erreichen. Dafür muss man sich drauf einlassen. Das geht aber schnell. Und dann breitet sich eine irre Schönheit, viel enormes musikalisches Können und Begeisterung aus. Put The Shine On ist für mich derzeit ein heißer Anwärter auf das Album des Jahres!

Daher auch die dringende Empfehlung, sich das live anzuschauen. Die kommenden Möglichkeiten gibt es hier:

23.03.20 Festsaal Kreuzberg (Berlin)
27.03.20 Mojo (Hamburg)
28.03.20 Zakk (Düsseldorf)
31.03.20 Wagenhalle (Stuttgart)



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