Dienstag, 24. März 2020

Buchempfehlung: Sound of the Cities

Quelle: mitvergnuegen.com
(ms) Es gibt ja auch schöne Geschichten dieser Tage. Eine davon ereignete sich in den letzten Tagen bei meiner Lieblingsbuchhandlung. Da sie auch Zeitschriften verkaufen, dürfen sie in einem sehr schmalen Zeitfenster täglich öffnen. Von 10 bis 11 Uhr. Dann kann man einzeln eintreten und sich mit Lesestoff eindecken. Das tat ich letztens. Und das irgendwie Schöne: Ich musste draußen warten, weil auch andere dies vor hatten.
Warten vor der Buchhandlung. Super!
Was ich damit sagen will: Wem es erlaubt ist, der/die hat nun Zeit zum Lesen. Ruhe, Muße, Geduld, Neugier. Für diese Tage möchte ich Euch das Buch Sound of the Cities von Philipp Krohn und Ole Löding ans Herz legen. Es ist zwar schon gut fünf Jahre alt, aber das macht überhaupt nichts, da sich der Inhalt seitdem nicht wesentlich verändert haben dürfte.

Worum geht es? Die beiden Autoren haben über einen längeren Zeitraum eine Reise durch die westliche Musikwelt unternommen; durch 24 Städte. Und immer mit der gleichen Frage: Wie klingt diese Stadt? Warum hat sie im Großen und Ganzen genau diesen Klang hervorgebracht, diese KünstlerInnen angelockt?! Was ist ausschlaggebend, dass der Sound von Austin so anders ist als in Detroit, Köln sich so von Düsseldorf und Hamburg von Berlin unterscheidet?!

In ihrer Grundannahme mussten sie natürlich ständig Kompromisse eingehen, das war mit Beginn des Projekts klar. Einige Städte fallen raus: München, Paris. Und: Es kann nie um eine Stadt gehen. Es geht immer um die Menschen hinter der Musik. Und in den allermeisten Fällen ist es so, dass die KünstlerInnen aus der Provinz in die Großstadt ziehen, um sich dort zu verwirklichen. In der Stadt finden sie die Strukturen, die ihnen in ihrer Arbeit helfen: Labels, andere Kreative, Vertriebe, Plattenfirmen, Clubs, eine Szene, die eine eigene Energie hat.
Aber Städte bieten noch viel mehr. Sie bieten viel Raum für Diskussionen, für Streit, für Utopien, für produktive Auseinandersetzung. Beispielsweise in Hamburg, wo die Hausbesetzerszene und die sogenannte Hamburger Schule unterschiedliche Musik hervorgebracht hat. Oder Berlin: immer schon elektronisch gewesen. Mit Akteuren wie Hans-Joachim Roedelius, der nicht nur immer noch (mit über 80) Musik macht, sondern mit Kluster einen Grundstein für die elektronische, berlinerische Musik gelegt hat. Ohne solche Strukturen aus den 70er Jahren, wäre ein Erfolg der Clubs wie dem Tresor und vielleicht auch dem Berghain nicht zu erklären.
Manchmal sind es auch ganz andere äußere Einflüsse. Es scheint äußerst nachvollziehbar, dass eine Stadt wie Birmingham, die dermaßen von ihrer Industrie geprägt ist auch schwere, laute Musik hervorbringt (Black Sabbath). Es kann auch Spekulation bleiben, doch der Zusammenhang bleibt spannnend.

Spannend auch mitunter Städte, die man überhaupt nicht auf dem Schirm hat. Antwerpen zum Beispiel. Die verhältnismäßig kleine, belgische Stadt zog mit und nach dEUS hochgradig spannende, experimentelle und extrem begabte MusikerInnen an, deren Werk bis heute nachhallt. Oder Austin, Texas. Nicht nur das SXSW-Festival ist weltweit für sein herausragendes Booking bekannt, die Stadt hebt sich deutlich von den übrigen Strukturen in Texas ab. Bunt, jung, kreativ, beinahe hippiemäßig. Und: Absolut lesenswert, ja, spannend!

Löding und Krohn haben - so ist zu vermuten - ein irres Pensum an Arbeit in dieses sehr, sehr gute Buch gesteckt. Dazu muss man nicht mal Fan von Pop und Rock sein. Denn das sind - mit all seinen extrem individuellen Ausläufern - die großen Musikrichtungen, um die es geht. Die, die erfolgreich sind und prägend. Natürlich geht es auch immer weider um Blues oder Techno, doch es bleiben Randerscheinungen.
Sie waren in allen Städten, bei einigen ist zu entnehmen, dass ihr Aufenthalt nur ein paar Tage dauerte (insbesondere in der USA), die Wege in Deutschland sind natürlich viel einfacher zu bewerkstelligen. Vor Ort haben sie sich mit allerhand Menschen getroffen, stundenlange Gespräche geführt, Tipps bekommen, Konzerte geschaut, alles sorgsam festgehalten. Und wen sie nicht persönlich angetroffen haben, der wurde zumindest per Mail, aber häufiger via Telefon oder Skype kontaktiert. Das sind nicht nur MusikerInnen gewesen, sondern auch ProduzentInnen, PlattenhändlerInnen undundund...
So hat sich ein sehr breites, fundiertes Netz an Informationen gebildet, deren Essenz man herausspüren kann. Und hören! Denn am Ende eines jeden Stadt-Kapitels gibt es einen Soundtrack der Stadt mit 20 KünstlerInnen und Liedern in chronologischer Reihenfolge. Zusätzlich einige Ausgehtipps. Darunter Clubs, besuchenswerte Orte, Plattenläden.

Es ist kein Indie-Buch. Es wird natürlich auch über ABBA geschrieben. Was muss, das muss. Es hat sicher auch seine Schwächen. Doch es steckt eine unheimliche Menge Liebe, Arbeit, Wahnsinn darin. Man ist vor jedem neuen Stadt-Kapitel gespannt, was kommt, wen sie interviewten und was die Quintessenz ist.
Es ist wunderbare Lektüre; unterhaltsam, informativ, nerdig.
Wenn die Grenzen dann wieder offen sind und der Touristrom fließen darf... jetzt kann man gut planen. Mit dem Buch Sound of the Cities von Philipp Krohn und Ole Löding!

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