Montag, 24. Februar 2020

Agnes Obel - Myopia, Teil 2

...Es gab in der Welt kein Ding, das ich hätte haben wollen.
facebook.com/agnesobelofficial
Ich kannte niemanden, den ich beneiden müsste.
Was Böses geschehen war, hatte ich vergessen.
Ich schämte mich nicht zu denken, ich sei, wer ich bin.
Ich spürte keinerlei Schmerz im Leibe...

- Czesław Miłosz

Camera’s Rolling – Broken Sleep – Island Of Doom

Vollkommene Dunkelheit.
In meinen Kopf rauscht der Kosmos.
Ich stehe aufrecht und still auf festem Grund.
Ohne Angst öffne ich die Augen. Nacht empfängt mich. Über mir wölbt sich der Sternenhimmel. Ich blicke hinauf und verliere mich für einen Moment in der Unendlichkeit. Der Klang der Sterne ist schön.
Dann senkt sich mein Blick und ich nehme im Sternenlicht diffus eine weite Brachfläche wahr. Kein Baum, kein Strauch. Leichter Schwindel erfasst mich. Ich sehe, dass meine Füße auf einer Betonplatte stehen.
Langsam setze ich mich in Bewegung, den Blick in die Ferne gerichtet. Betonplatte reiht sich an Betonplatte. Immer wieder berührt ein Fuß kleine hubbelige Polster: Gras wächst in den Abgrenzungen der Betonplatten. Auch rechts und links des breiten Weges wächst niedriges Gras. Ich gehe auf einem unbeleuchteten, maroden Rollfeld.
Seitlich rechts nehme ich bald ein großes, fensterloses Gebäude wahr. Seine Wände leuchten metallisch hell. Gemächlich aber zielstrebig bewege ich mich darauf zu. Ab und an berührt ein warmer, angenehmer Windhauch mein Gesicht. Schon bald habe ich eine Halle erreicht. Mächtig türmt sie sich vor mir auf.
Plötzlich Stille im Kopf.
Meine Fingerspitzen berühren die Wand aus geprägtem Metall. Sie fühlt sich rau und warm an. An der Begrenzung zum Boden schimmert bläuliches Licht. Ich entdecke einen Griff in der Wand, umfasse ihn mit beiden Händen und schiebe überraschend leicht ein Tor so weit auf, dass ich gerade hindurchpasse. Leise ächzt und quietscht es, als ich es von innen wieder schließe. Gespannt wende ich mich dem Raum zu. Ein angenehm samtenes Blau geht in Schwarz über. Darin, überall, tanzen sacht Lichtpunkte. Flugzeugteile hängen von der Decke. An der linken Wand steht ein kleines Flugzeug ohne Tragflächen.

Roscian – Myopia – Drosera – Can’t Be

Zarte Klänge wie von einer Windharfe füllen den Raum aus.
Ich gehe vor bis in die Mitte der Halle. Nun bin auch ich bedeckt mit leuchtenden Punkten und verschmelze mit der Umgebung. Langsam breite ich meine Arme aus und tanze. Dabei verändert sich die Bewegtheit der Lichtpunkte. Ich passe meinen Rhythmus an.
Ganz allmählich werden die Lichtpunkte schwächer, bis sie schließlich ganz erloschen sind. Es bleibt ein blaues Licht, das den Raum aber nicht ganz ausleuchtet. In den Ecken, am Rand Schwärze.
An der dem Eingangstor gegenüberliegenden Wand entdecke ich eine Tür, auf die das blaue Licht gerichtet zu sein scheint. Ich bewege mich auf sie zu. Meine Schritte fühlen sich ein wenig schwer an. Nach dem Erreichen der Tür wende ich mich noch einmal dem Raum zu.
Jetzt Dunkelheit und Stille.

Promise Keeper – Parliament Of Owls – Won’t You Call Me

Ich öffne die Tür und trete hinaus. Gras unter meinen Füßen. In der Ferne leuchten die Lichter einer Stadt. Angelehnt an die warme Wand in meinem Rücken schaue ich den Lichtern entgegen. Schon bald zieht Dämmerung auf. Ich beobachte, wie die Sterne allmählich verschwinden und einem warmen Schimmer weichen. Erste Sonnenstrahlen bahnen sich den Weg in Richtung Himmel, bis sie die Stadtsilhouette umkränzen. Ich trete hinein ins Licht des beginnendes Tages und gehe der Stadt entgegen.
In meinem Kopf singt leise das Lied der erwachenden Stadt, das mit jedem Schritt lauter wird.


(ms) Diesen wunderbaren Text haben wir als Antwort auf unsere etwas experimentelle Rezension bekommen und veröffentlichen ihn mit der Erlaubnis unserer anonymen Autorin. Vielen, vielen Dank!

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