Donnerstag, 7. November 2019

Live in Rotenburg: Lisa Hoppe's Third Reality

Foto: Gaya Feldhheim Schorr
(ms) 1. Von Jazz habe ich keine Ahnung, obwohl ich vor gut zehn Jahren selbst Jazz gespielt habe. Aber nach gestern Abend steht fest: 2. Von Jazz habe ich überhaupt keine Ahnung.
3. Musik greift dann, wenn die Worte das Ausdrückbare übersteigen (womit wir streng genommen auch schon in der Mystik sind).
4. Damit sind wir beim gestrigen Abend und dem Konzert von Lisa Hoppe's Third Reality (das Deppenapostroph sei an dieser Stelle verziehen).

Erste logische Frage: Wo?! In Rotenburg! Aber nicht die Stadt des Kannibalen, sondern an der Wümme, zwischen Bremen und Hamburg. Ländlich beschreibt es ganz gut. Zweite logische Frage: Wer? Lisa Hoppe und ihr Trio Third Reality. Hoppe kam zurück nach Hause, daher waren im Heimathaus nicht nur ihre Familie sondern auch Wegbegleiter aus Schulzeiten anzutreffen. Nach Studium in Bremen und der Schweiz, pendelt sie heute zwischen New York und Hamburg, spielt Kontrabass und komponiert. So. Das ist die Ausgangslage.

Wie wenig ich von Jazz verstehe wurde mir ab dem ersten Takt bewusst. Das, was die Drei (später Sechs) dargeboten haben überstieg jedes Jazz-Klischee. Gut so. Doch wie um Alles in der Welt soll man beschreiben, was dann passierte? Mit David Leon am Saxophon und Tal Yahalom an der Gitarre fing sie an zu zaubern. Ihre Lieder heißen zum Beispiel: Mauerbauertraurigkeit, 8 Hungry Birds & A Sick Weasel oder The Weirdness Of You.
Völlig irre, welch Witz sie in die Musik bringt. Ihre Kompositionen sind komisch und verrückt. Anstrengend und neugierig machend. Extrem lässig und herausfordernd. Genauso David Leon am Saxophon; den Schalk, den er im Blick hat, hat er auch im Spiel: virtuos, schräg, genau. Tal Yahalom war das Grinsen aus dem Gesicht nicht zu nehmen, so sehr hat er es genossen. Und Lisa Hoppe selbst: Die Ruhe in Person, die mit einer Leichtigkeit ihrem großen, schönen, warmen Instrument die verschiedensten Töne entlockte. Die Ergänzung um Yumi Ito ("Gesang"), Tom Millar (Piano) und Phelan Burgoyne (Schlagzeug) machte es noch irrer.
Das ist Avantgarde. Das ist Hochkultur. Das ist pure Unterhaltung. Das sind Bilder im Kopf.
Und da mir die Worte fehlen, diese musikalisch herausragende, außergewöhnliche Darbietung zu beschreiben, hier mein Bild im Kopf aus den ersten zwei Stücken:

Ein Mensch geht durch eine Großstadt. Durch verregnete Straßen, die von großen, unpersönlichen massiv-grauen Häusern begrenzt ist. Das Bild ist schwarz-weiß. Er ist klassisch im Dreiteiler gekleidet, trägt Hut. Was um ihn herum passiert ist unwichtig, doch es herrscht leichte Hektik, von der er aber nicht direkt betroffen ist. Autos fahren vorbei, andere Passanten queren seinen Weg. Es ist nichts zu hören. Unser Mensch geht dennoch schnell, ist etwas getrieben.
Dann bricht das Bild.
Mit einem großen, unvorhersehbarem Knall wird die Szenerie mit Farben gefüllt: BAM! Gelb, pink, hellblau! Es knallt an jeder Ecke. Es ist grell, unruhig und sticht direkt ins Auge. Wie auf Droge. Das Tempo vervielfacht sich. Es wird laut, wirklich hektisch, leicht angsteinflößend. Der Sprung des Bildes ist ein Blick in seine Gedanken. Das Bild verzerrt sich von oben bis unten, doch Umriss und Setting bleiben erkennbar.
Cut. Aus.

Lisa Hoppe's Third Reality spielen heute noch in Essen im Goethebunker.
8.11. - Bern, SonarraumU64
9.11. - Zürich, Rechberg

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