Freitag, 29. November 2019

KW 48, 2019: Die luserlounge selektiert

Quelle: xyzapk.com
(ms/sb) Diese Woche ereignete sich folgende Begegnung in der Bahn: Ich war auf dem Weg nach Hause, der Arbeitstag war ziemlich okay. Die kleinen Erledigungen für zu Hause auf dem Schirm, holte ich allein im 4er mein Buch heraus (Ocean Vuong - Auf Erden waren wir kurz grandios) und freute mich in diese schaurige Geschichte einzutauchen. Eine bildstarke Handlung von Nachkommen Überlebender des Vietnamkrieges. Zwischen Liebe und Gewalt schreibt der Protagonist an seine Mutter. Und ich frage mich stets beim Lesen - völlig ummantelt von Stereotypen - ob es eine bestimmte asiatische Art des Wortgebrauchs gibt, bis.... ja... bis ich die Töne des Reisenden vor mir gehört habe, die aus seinen In-Ear(!)-Kopfhörern ballerten. Eine mir wohl bekannte Melodie, die vor einundzwanzig Jahren Platinstatus hatte. Dööp DöpDöp DöDöö DöpDöp DööDööö... Es war Narcotic von Liquido. Dachte ich. Bis der Track nach einer halben Minute noch unerträglicher wurde, indem ein irrer Technobass einsetzte, das Tempo sich erhöhte und im Abteil Clubatmosphäre herrschte. Mein Gott. Was für ein Riesenschrott. Oder wie es bei uns heißt: Turboscheißdreck3000! 4000! 5000!

Zurück zu den guten Tönen. Den Lauten und Leisen. Es ist Freitag. Du bist bei der luserlounge. Wir haben für dich selektiert! Lass dich treiben.... döpdöpdödöö...

The Chemical Brothers
(ms) Als das Album Surrender von The Chemical Brothers erschien, war ich neun Jahr alt. Neun! Das heißt, ich bin gerade in die dritte Klasse gegangen. Keine Ahnung, was ich zu der Zeit cool fand. Vom Electro-Duo und ihres Meisterwerkes war ich jedoch mit Sicherheit weit entfernt. Tom Rowlands und Ed Simons hatten vorher auch schon zwei Alben veröffentlicht, doch Surrender war dann halt der Durchbruch. Man braucht nur Hey Boy Hey Girl oder The Sunshine Underground erwähnen. Das Beeindruckende: Sie bleiben bis heute super erfolgreich! Glücklicherweise konnte ich sie im Sommer als Headliner vom Deichbrand Festival sehen und war total baff! Da standen die beiden Herren Ende vierzig auf der Bühne zwischen tausenden Applikationen und aus den Boxen ballerte es nur so heraus! Sie haben die norddeutschen Äcker im Nu in eine riesige Tanzfläche verwandelt. Das gefiel mir nach viel Gitarrenmusik an dem Tag extrem gut.
Letzte Woche - mea culpa - erschien die Jubiläumsausgabe von Surrender. Alles ein bisschen aufpoliert und massiv Extramaterial: Von Remixen, unveröffentlichten Titel, Live-Mitschnitten auf DVD bis zu Kunstdrucken; natürlich auch auf Vinyl. Sollte man in der Plattensammlung haben!



Sleep Token
(sb) Alter Verwalter, was ist das denn Geiles? Wenn das musikalische Spektrum eines Albums von Bon Iver über die Editors bis hin zu Killswitch Engage reicht, handelt es sich normalerweise um eine Compilation, in vorliegendem Fall stammen sämtliche Tracks jedoch von einer Band: Sleep Token sind genau so ein Rätsel wie ihre musikalische Einordnung und dieser Umstand macht das Künstlerkollektiv natürlich nochmal einen Hauch mysteriöser und spannender. Die anonyme Band um ihren stets maskierten Frotmann Vessel weiß in jedem gewählten Genre zu überzeugen und lässt den Hörer mit ihrem Album Sundowning (VÖ: 22.11.) nicht nur verblüfft, sondern extrem fasziniert zurück. Der Albumtitel bezieht sich dabei übrigens auf das Sundown-Syndrom, ein neurologisches Phänomen, das bei Patienten mit Demenz oder Delirium mit zunehmender Verwirrung und Unruhe einhergeht. Bei Betroffenen treten abends bzw. bei Sonnenuntergang vermehrt eine Vielzahl von Verhaltensproblemen auf - ein weiteres Mysterium also, aber wie viel passender könnte der Titel gewählt sein? Abwechslungsreich, überraschend, kraftvoll, verletzlich, laut, leise, schnell, gemäßigt: das alles ist Sleep Token und das Ergebnis ist herausragend.


The Offenders
(sb) Punkrock aus Italien, jedoch (leider) auf Englisch - größtenteils zumindest, denn sprachliche Barrieren stellen für die Veteranen aus Cosenza, die mittlerweile nach Berlin umgesiedelt sind, ebenso wenig ein Hindernis dar, wie musikalische Genres. Punk, Ska, Folk, Reggae - The Offenders bedienen sich aus mehreren Schubladen und picken sich dabei die Rosinen raus. Auf Class Of Nations (VÖ: heute!) geht es (natürlich) hochpolitisch zu - etwas anderes war von dem Quartett aber auch nicht zu erwarten.
"Die Rosenblüte überragt einen grünen Stängel mit scharfen Auswüchsen, die im Allgemeinen als Dornen bezeichnet werden. Die Blüte wird in der Regel von der dominierenden, herrschenden Gesellschaftschicht gepflückt, also von den Reichen. Für den Rest von uns bleiben die Dornen übrig, die scharf genug sind, um in die Haut einzudringen. Solange soziale Gerechtigkeit und Gleichheit nur hohle Phrasen in Wörterbüchern sind, werden wir diese Dornen nicht los."
Eine treffende Metapher, oder? Musikalisch kommt Class Of Nations - wie beschrieben - recht abwechslungsreich daher, die textlichen Aussagen stimmen auch und doch ist mir das Album an manchen Stellen fast schon etwas zu party- und massentauglich. Bestes Beispiel dafür ist der Track Marchez, der multilingual diverse Widerstandsparolen aufgreift und unters Volk bringt. Das klingt leider ziemlich plump und ist der tollen Offenders irgendwie unwürdig.


Lion's Law
(sb) Punkrock aus Frankreich, jedoch (leider) auf Englisch. Da kann ich aber sehr gerne darüber hinwegsehen, denn die Cut The Rope EP von Lion's Law ist deutlich mehr als nur ein Appetizer für das im Frühjahr erscheinende Album The Pain, The Blood & The Sword, sie funktioniert auch als eigenständiges Werk mit ihren leider nur zwei Tracks hervorragend. Aus meiner Sicht sind Punk und Politik untrennbar miteinander vereint und auch die Band aus Paris scheint dieser Meinung zu sein und schickt ein deutliches Statement in Richtung der gewählten Volksvertreter. Dass die Aussage des Tracks in den Kommentaren auf YT dann leider komplett umgedreht wird und des Öfteren gefordert wird, man möge den Strick doch bitte beim ein oder anderen Politiker anwenden, lässt jedoch tief blicken und dürfte nicht im Sinne der Musiker sein. Starker Song und wachsende Vorfreude auf den Longplayer!


Bock auf Kultur
(sb) Unsere Europareise setzen wir in Österreich fort: Dort veranstaltet das Flüchtlingsprojekt Ute Bock in Wien jährlich ein Benefizfestival namens Bock auf Kultur und präsentiert dort nicht nur Musik vom Feinsten, sondern natürlich auch seine eigenen Aktivitäten. Den Initiatoren geht es darum, eine Stimme für Menschen zu erheben, die per Gesetz keine eigene Stimme haben, darum, aufzustehen für Menschen auf der Flucht. Es geht um Solidarität, um soziale Verantwortung, darum, eine Bewegung der Menschlichkeit zu unterstützen. Es geht darum, sich gegen die drohende soziale Eiszeit und gegen die politische Abgrenzung zu stellen, denn die Krise sind niemals die Menschen - die Krise sind die Ressourcen und wie man sie verteilt.
Zum diesjährigen Festival (09.-30.11.) gibt es für 15 € zzgl. Porto einen äußerst hörenswerten Charity-Sampler, mit dem auch Ihr die Initiative unterstützen könnt. Zahlreiche österreichische Acts haben sich versammelt und sind auf diesem limitierten, ausschließlich auf Vinyl erschienenen Schmuckstück vertreten. Mit dabei sind u.a. Bilderbuch, Granada, Mavi Phoenix, Friedberg und als musikalischer Höhepunkt die großartige All-Ladies-Supergroup My Ugly Clementine, nähere Informationen findet Ihr HIER und HIER - Klicken lohnt sich!


Oehl
(ms) Die Wege des Herrn sind unergründlich. Vom Duo Oehl habe ich zum ersten Mal in der Vorberichterstattung zum Reeperbahn Festival gehört. Leider war ich an einem anderen Tag da, sonst hätte ich sie mir gern angehört. Und genau dafür liefern sie sehr viele gute Anregungen. Der neuste Streich: Wolken. Genauso wie das Video, ist der Track schön verspielt. Ganz angenehmer Beat, dazu leichte Synthie-Flächen, sympathischer Bass plus Gesang bilden ein ziemlich catchyiges (kann man das so sagen?) Hörerlebnis. Nochmal zum Video: Das ist ästhetisch so dermaßen ansprechend, schräg und wunderbar. Man kann viel staunen! Schön auch, dass es irgendwie nicht zum Text des Liedes passt. Denn trotz seiner leicht melancholischen Zeilen, bleibt ein eher positiver Eindruck zurück!
Das Duo war beim RBF als Newcomer nominiert. Entsprechend erscheint am 24. Januar ihr erstes Album Über Nacht bei Groenland Records. Der lässig-elektronische Indie-Pop stammt aus der Feder vom Wiener Ariel Oehl (auch Gesang) und dem isländischen Komponisten Hjörtur Hjörleifsson. Extrem spannende Mischung.
Die Musik ist der kluge Gegenentwurf zu den ganzen aufkommenden Sprösslingen, die ihren Bandnamen mit Der/Die/Das garnieren. Das ist ein Lob!
Die Band geht im Frühjahr auf Tour, wir schauen da auch vorbei!

14.02.2020 München, Milla
15.02.2020 Stuttgart, Club Cann
18.02.2020 Nürnberg, Stereo
19.02.2020 Bremen, Lagerhaus
20.02.2020 Hamburg, Hafenklang
21.02.2020 Berlin, Kantine im Berghain
05.03.2020 AT-Innsbruck, p.m.k.
06.03.2020 AT-Dornbirn, Spiegelboden
07.03.2020 AT-Salzburg, ARGE
13.03.2020 AT-Graz, Orpheum Extra



June Cocó
(ms) Ja, wir sind der Neoklassik-Schiene komplett verfallen. Nicht weil es in irgendeiner Hinsicht cool und modern ist und auch ein bisschen avantgarde. Nein. Weil es einfach so wunderwunderschön ist und funktioniert. Klar, June Cocó gehört jetzt nicht zu diesem Genre dazu, ist ein bisschen poppiger, aber ebenso wohlklingend. Die Pianistin singt und spielt und die neuste Single Letter weiß schnell ins Ohr zu gehen. Das Klavier klingt ein wenig wie bei Hauschka, das Arrangement wie bei Hanne Hukkelberg und doch ist der Gesamteindruck nicht so sperrig, sondern sehr fein zugänglich. Man meint ja, dass das eine Schwäche sei. Mitnichten! Der Track vermittelt eine grundlegend mystische Atmosphäre, aber ein Funken Hoffnung ist in jedem Takt zu spüren! Die Dame mit Wahlheimat Leipzig (jaja, das neue Berlin...) veröffentlicht heute (!) ihr neues Album, das auf den Titel Fantasies & Fine Lines hört. Absoluter Tipp!
June Cocó ist auch auf Tour und macht hier Halt. Ihr auch?

29.11.19 Hamburg - Hebebühne
30.11.19 Berlin - Privatclub
26.02.20 Göttingen - Apex
27.02.20 Magdeburg - Moritzhof
28.02.20 Rostock - Helgas Stadtpalast
02.03.20 Mainz - Schick & Schön
04.03.20 Tübingen - Sudhaus
05.03.20 Stuttgart - Club Cann
06.03.20 Heidelberg - Karlstorbahnhof
07.03.20 Bonn - Waschsalon




So, Ihr müsst jetzt alle ganz stark sein, denn wir tun es wirklich: Wir rezensieren Weihnachtsalben! Freiwillig, auch wenn's hart ist, sowas im November anzuhören und generell ja eh schon. Aber was tut man nicht alles...

The Great Collections
(sb) Ein paar einleitende Worte, bevor ich zur Musik komme: Christmas for Everyone (VÖ: 15.11.) ist nicht irgendeine beliebige Scheibe, sondern das Debüt von The Great Collections und zudem gleich auch noch ein Doppelalbum. Das alleine ist ja schon ungewöhnlich und irgendwie cool, aber auch musikalisch hat das gute Stück einiges zu bieten. 39 neue Tracks und 2 Coverversionen umfasst der Longplayer der siebenköpfigen Band, die als Session-Gruppe der LAVA-Studios zueinander fand und bereits auf zahlreichen Filmmusikproduktionen zusammen musizierte. Lasst es Euch nochmal auf der Zunge zergehen: 39 neue Weihnachtslieder! Oida, was für ein Output! Gott sei Dank blubbert das Album nicht so vor sich hin, sondern bietet reichlich Variation: Swing, R'n'B, County, Funk, Blues etc. finden ihren Platz und bieten eine angenehme Alternative zu den Weihnachtsklassiker á la Winter Wonderland oder Last Christmas. Klar ist aber auch: Nach den Feiertagen wird das Ding eingemottet und nie wieder rausgeholt - trotz der doch sehr ansprechenden Hymne Beer for X-mas... Eins noch: Lasst Euch von der wirklich furchtbaren Singleauskopplung (siehe Youtube) nicht abschrecken - schlimmer wirds auf dem Album nicht mehr. Versprochen!


Robbie Williams
(sb) Geldnot wirds nicht sein. Verzweiflung? Verblassender Ruhm? Langeweile? Warum um alles in der Welt tut Robbie Williams das? Weils jeder macht? Ich bin ja bekennender Robbie-Sympathisant, habe ihn auch schon live gesehen, finde ihn extrem cool und liebe seine Stimme, habe aber immer gehofft, dass der Welt ein Robbie-Weihnachtsalbum erspart bleibt. Und da isses nun...
Gut, einmal durchatmen und unvoreingenommen an The Christmas Present (VÖ: 22.11.) rangehen! Also, los gehts: 24 Songs auf zwei CDs, viele auch hierzulande bekannte Weihnachtsklassiker, mal mehr mal weniger inspirierte Interpretationen, einige Eigenkompositionen und namhafte Gäste wie Rod Stewart, Bryan Adams, Jamie Cullum oder , äh ja, Helene Fischer - zugegebenermaßen ist das alles schon sehr stimmig und wird sich völlig zurecht prächtig verkaufen. Der Mann weiß halt, wie es geht und wie er sein Publikum unterhält. Kann gut sein, dass das Album auch bei meinen weihnachtlichen Familienfeiern laufen wird. Aber hey, mal ganz ehrlich: brauchts des wirklich?

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